Religiosität – Humanität – Ästhetik

Anfang Dezember fand im Forschungsinstitut Brenner-Archiv die Tagung „Religiosität – Humanität – Ästhetik“ statt, veranstaltet in Verbindung mit der Forschungsplattform Weltordnung – Religion – Gewalt sowie dem Brenner-Forum.
Christine Busta
Christine Busta

Dekanin Prof. Dr. Waltraud Fritsch-Rößler eröffnete informiert, was gleich zur Konzentration einlud. Vortragende waren aus Wien, Köln, Bielefeld, Moskau angereist, eine Vielfalt, die immer auch die Prägung durch Mentalitäten bewusst werden lässt. Der Schwerpunkt war auf die Geschichte der Literatur der Nachkriegsjahre bis etwa 1955 gelegt.

 

Prof. em. Dr. Birgit Lermen (Köln) stellte poetologische Reflexionen dieser Jahre vor (Bachmann, Benn, Brecht, Celan), die, auf den entsprechenden Traditionen schon seit der Antike fußend, auf der einen Seite die Bewusstseinzustände der einzelnen Schaffenden, auf der anderen Seite die sozialen Umstände zum Ausgangspunkt machen, und diskutierte sie anhand literarischer Beispiele. Mag. Dr. Michael Hansel (Österreichisches Literaturarchiv, Wien) stellte den von ihm herausgegebenen Band „Christine Busta - Texte und Materialien“ vor und verschaffte damit dem Publikum Informationen, die den anschließenden Vortrag von Mag. Dr. Judith Bakacsy, MMag. Christine Tavernier und Mag. Verena Zankl unterstützte und das aktive Gespräch ermöglichte. Die drei Mitarbeiterinnen des FWF-Projektes zu Christine Busta am Brenner-Archiv zeigten anhand bisher unbekannter Gedichte aus den Jahren 1945-51, dass Zäsuren in Bustas Lyrik (und womöglich auch der Lyrik anderer Autorinnen und Autoren) weniger von historischen, als von persönlichen Umständen geprägt sind (etwa dem Abschluss ihres Entnazifizierungsverfahrens). Sie gingen in diesem Kontext Bustas lyrischer Umsetzung von „Gerechtigkeit“ nach. Das Projekt, das die biographische Perspektive und eine differenzierte zeitgeschichtliche Analyse abzugleichen hat, profitierte deshalb außerordentlich von der Tagung. Den fesselnden Abschluss des ersten Tages bildeten die Ausführungen von Prof. Dr. Wolfgang Braungart (Bielefeld) im Rahmen der Raymund-Schwager-Vorlesungen, die auf seinen umfangreichen Forschungen über den Einfluss des Christentums auf die Poetologie der Tragödie beruhten. Er legte in seiner Re-Lektüre Brechts „Heilige Johanna der Schlachthöfe“ als die ästhetische Form eines Humanisierungsprojektes aus, wobei das Humane von christlichen Vorlagen nicht zu trennen ist: Auch bei Brecht ist also das Schlachthaus ohne Gott nicht humanisierbar. Prof. Dr. Dirk Kemper (Moskau) stellte, am zweiten Tag, Döblins und Holthusens Suche nach den Kriterien einer neuen Literatur nach dem Krieg einander gegenüber: Döblin ging von der deutschen, Holthusen von der internationalen modernen Dichtung aus, aber Döblin hätte Holthusens Forderung wohl zugestimmt, dass es um das „dichterisch Einleuchtende“ gehe und Religiosität dabei einen Weltzugangsmodus unter anderen bilde. Die Podiumsdiskussion öffnete sich bald zu einem aufgeschlossenen Publikum.

(ip)