Von Innsbruck zum höchsten Vulkan der Erde und zurück

Mit einer 14-tägigen Reise von Innsbruck auf den fast 7000 Meter hohen Ojos del Salado in Chile setzten Innsbrucker Forscher die Erkenntnisse ihrer Höhenakklimatisationsforschung in die Praxis um und nutzten das Akklimatisationspotenzial des menschlichen Organismus optimal.
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Anstieg zur Tejos-Hütte (5800 m). Im Hintergrund Ojos del Salado (6893 m).

Zwei Forscher der Leopold-Franzens-Universität (Martin Burtscher) und der Medizinischen Universität Innsbruck (Robert Koch)  setzten die Erkenntnisse ihrer Höhenakklimatisationsforschung erfolgreich in die Praxis um. Sie reisten in 14 Tagen von Innsbruck zum fast 7000 m hohen Ojos del Salado, dem höchsten Vulkan der Erde in der Atacama-Wüste im Norden Chiles und zurück. Was sie damit zeigen wollten, war, dass es bei einem optimalen Akklimatisationsprogramm auch für Normalbergsteiger möglich ist, in relativ kurzer Zeit sicher in große Höhen und auch wieder zurück zu gelangen.

Die Reise führte von Innsbruck über Frankfurt und Sao Paulo nach Santiago de Chile, von dort ganz in den Norden Chiles nach Arica und Putre, zurück nach Arica und Copiapó und über 3 Zwischenstationen auf den fast 7000 m hohen Ojos del Salado. Das Höhenakklimatisationsprogramm startete kurz nach Weihnachten 2015 mit 3 Skitouren im Kühtai (2000–2700 m) nahe Innsbruck und 2 Nächtigungen in der Höhenkammer (3500 m und 4000 m simulierte Höhe) des Institutes für Sportwissenschaft der Universität Innsbruck.

Anstiegsskizze Ojos del Salado
Anstiegsskizze: Die punktierten Linien zeigen die Höhenan- und abstiege mit dem Fahrzeug und die durchgehenden schwarzen Linien jene zu Fuß und die roten waagrechten Linien die jeweiligen Schlafhöhen an den 3 Akklimatisationstagen in Putre und während des nachfolgenden Anstiegs auf den Ojos del Salado.

Am Abend des 2. Jänner 2016 startete dann die Flugreise nach Chile, wo in Pazifiknähe Temperaturen von über 30 °C die Minusgrade im Kühtai rasch vergessen ließen. Die Weiterreise führte in das kleine Aymara-Dorf Putre (3650 m), wo bei etwas kühleren Temperaturen das Höhenakklimatisationsprogramm mit 3 Übernachtungen in einer von sympathischen Mailändern geführten kleinen Pension fortgesetzt wurde. An den 3 Tagen wurden weitere Höhenreize durch Anstiege auf 4000 m, 5000 m und 5700 m im beeindruckenden Lauca-Nationalpark gesetzt (siehe Anstiegsskizze). Am 4. Tag erfolgte die Rückreise nach Arica (0 m) und mit dem Nachtbus weiter nach Copiapó (383 m). Dort warteten 2 chilenische Ortskundige mit einem geeigneten Allradfahrzeug und bewerkstelligten den Personen- und Gepäcktransport bis zu einem kleinen Lager in etwa 4800 m. Nach Übernachtung wurde noch einmal das Fahrzeug ins Camp bei der Atacama-Hütte auf 5250 m genutzt. Dort wurden 2 weitere Nächte verbracht und an einem Tag das notwendige Gepäck, Verpflegung und Wasser gemächlich zum Camp bei der Tejos Hütte (5800 m) getragen. Diese Art des Anstiegs gewährleistete, dass der Akklimatisationsprozess plangemäß und gut verträglich voranschritt. Die wiederholten Anstiege über die Schlafhöhe förderten im Sinne einer hypoxischen Konditionierung die Akklimatisation. Besonderes Augenmerk wurde auf ausreichend Schlaf und Verpflegung und nur leichte körperliche Belastung gelegt. So war es nicht unerwartet, dass nach einer weiteren Übernachtung in 5800 m Höhe die problemlose Ersteigung des Ojos del Salado (6893 m) gelang. Obwohl bei durchwegs herrlichem Wetter die Nachttemperaturen auf etwa -25 °C abfielen, waren die Tagestemperaturen angenehm und die Windgeschwindigkeit moderat und aufgrund hervorragender Ausrüstung gut erträglich. Die knapp 1100 Höhenmeter am Gipfeltag gestalteten sich zwar mühsam durch Schutt- und Geröllhalden und Umgehung von Büssereisfeldern, wurden aber mit einem unvorstellbar faszinierenden Ausblick auf die unzähligen 5000er und 6000er des umgebenden Bergpanoramas belohnt. Das Akklimatisationsprogramm war so optimal gewählt, dass zu keinem Zeitpunkt auch nur leichte Symptome der akuten Bergkrankheit auftraten. Der Akklimatisationsstatus wurde durch verschiedene physiologische Reaktionen (Herzfrequenz, Atemtätigkeit, arterielle Sauerstoffsättigung durch Pulsoximetrie und Sauerstoffsättigung im Hirngewebe durch Nahe-Infrarot-Spektroskopie (NIRS; Firma Artinis Medical Systems) regelmäßig kontrolliert. Sicherheitshalber wurden als zusätzliche Akklimatisationshilfe vor der 1., 5. und 8. Nacht (siehe Anstiegsskizze) jeweils 125 mg Acetazolamid (Diamox), ein zur Vorbeugung der Höhenkrankheit verwendetes Medikament, eingenommen, dessen Wirkung auch in eigenen Studien der beiden Forscher untersucht wurde. Dennoch muss betont werden, dass ein organisiertes Bergrettungssystem, wie es bei uns seit Jahrzehnten perfekt funktioniert, nicht vorhanden ist, sodass oft bereits banale Verletzungen aufgrund der Höhe, der Distanzen und der Temperaturen die Bergkameraden vor nahezu unlösbare Probleme stellen kann.

Der Abstieg erfolgte dann mit einer zusätzlichen Übernachtung an der Laguna verde in etwa 4300 m Höhe, von wo es weiter in den Hochsommer am Pazifik und wieder zurück in den Tiroler Winter ging. Die wohl „gefährlichste“ Situation wurde kurz vor Rückreise in einem kleinen Ort am Pazifik erlebt, wo mehrere Exemplar der gefürchteten Giftspinne Loxosceles die Betten bewohnten. Diese Reise ist weder eine Heldentat noch eine herausragende bergsteigerische Leistung, soll aber demonstrieren, dass eine gut durchdachte Reise- und Akklimatisationsplanung, gewissenhafte Vorbereitung, gute Ausrüstung und natürlich ausreichende Fitness und entsprechendes Wetterglück es möglich machen, auch bei limitiertem Zeitbudget berufstätiger Personen hohe Ziele sicher zu verwirklichen.

(Univ.-Prof. Dr. Martin Burtscher, Univ.-Prof. Dr. Robert Koch)