Mehrstimmiges Singen in Tirol, Frankreich, Italien …

Nicht ganz Europa singt mehrstimmig, aber überall dort, wo es eine polyphone Tradition weltlichen Volks- oder sakralen Kirchengesangs gibt, wird diese mit großer Hingabe gepflegt. Ein Symposium des interdisziplinären Frankreich-Schwerpunkts der Universität Innsbruck beleuchtete die „Europäische Mehrstimmigkeit“ in Theorie und Praxis.
Anna-Maria Hefele füllte den altehrwürdigen Claudiasaal mit modernen Oberton-Klängen.
Anna-Maria Hefele füllte den altehrwürdigen Claudiasaal mit modernen Oberton-Klängen. (Foto: Eva Lavric)

Der 21. Juni ist inzwischen auch schon in Innsbruck als Tag der „Fête de la Musique“ bekannt: Das ist jenes sommerlich Straßenfest der Musik, dessen Idee aus Frankreich stammt und bei dem in etlichen Städten – und seit vier Jahren auch in Innsbruck – auf öffentlichen Plätzen gesungen und musiziert wird, was das Zeug hält. Die Prinzipien dabei sind, dass jede/r mitmachen kann und dass keine Gagen bezahlt werden. Bei idealem Wetter strömte auch heuer das zahlreiche Publikum von einer Bühne zur anderen, und auch die frei aufgestellten „Spiel mich“-Klaviere waren keinen Augenblick still.

Organisiert wird die „Fête de la Musique“ vom Institut français d’Innsbruck; seit dem Vorjahr beteiligt sich der Frankreich-Schwerpunkt daran in Form eines musikwissenschaftlichen Symposiums, das in Kooperation mit Prof. Thomas Nußbaumer vom Abteilungsbereich Musikalische Ethnologie des Mozarteums geplant wird. Prof. Eva Lavric, die Leiterin des Frankreich-Schwerpunkts, erklärt: „Auch heuer haben wir zu einem Symposium mit Spezialisten der französischen und der italienischen und der Schweizer Volksmusik eingeladen. Das Besondere ist, dass jeder Vortrag mit einer live-musikalischen Darbietung illustriert wird; der Claudiasaal ist dafür nicht nur ein sehr schöner Rahmen, sondern er bietet mit seiner Holzdecke auch eine ausgezeichnete Akustik. Die Idee ist, dass die Musiker/innen und Sänger/innen dann auch beim großen Straßenfest mitmachen und dieses um einen internationalen „Touch“ bereichern.“

Aus Frankreich kam Prof. Jean-Jacques Castéret, der die historischen und geographischen Ähnlichkeiten zwischen den polyphonen Traditionen Europas hervorhob. Er brachte aus den „Alpes Maritimes“ das Ensemble Aurea mit, ein Trio aus zwei Frauen und einem Mann, das den mehrstimmigen Gesang seiner Region pflegt und auch neue Lieder in diesem Stil komponiert. Es war erstaunlich, wie sie später, auf der Bühne auf der Maria-Theresien-Straße, mit ihrer intensiven Darbietung ganz ohne Orchesterbegleitung das Publikum in ihren Bann ziehen konnten. Aus Italien kam Prof. Ignazio Macchiarella; er sprach über mehrstimmiges Singen in Sardinien im Vergleich mit anderen Regionen; seine Ausführungen illustrierten die „Cantori di Verméi“ aus dem italienischen Trentino, eine Gruppe von zwölf Männern aus dem Sonnental, die später mit den ganz traditionellen Liebes- und Kriegsliedern, Psalmen und Kirchenliedern aus ihrer Region das Goldene Dachl zum Klingen brachten. Den Abschluss machte Prof. Raymon Ammann aus der Schweiz, der in der Alphornmusik und in dem darauf basierenden Naturjodel spezielle mehrstimmige Praktiken aufzeigte. Statt Schweizer Alphornmusik gab es im Anschluss daran allerdings Tirolerisches und Salzburgisches: Zwei junge Frauen zeigten, dass man auch als einzelne Sängerin mehrstimmig singen kann, Lissie Rettenwander mit tontechnischen Hilfsmitteln, und Anna-Maria Hefele mit Hilfe der Obertöne. Das Publikum lauschte gespannt.

Bei so viel alpinem Gesang und so spannenden wissenschaftlichen Perspektiven fanden sich denn auch eine Reihe von Sponsoren: Allen voran die Alpenkonvention und das Land Tirol, außerdem die Innsbrucker Filiale des Mozarteums, und auf Seiten der Universität das Italien-Zentrum und das Vizerektorat für Forschung ließen es sich nicht nehmen, die Veranstaltung großzügig zu fördern.

Prof. Eva Lavric und Prof. Thomas Nußbaumer sind schon am Überlegen, welches Thema im nächsten Jahr behandelt werden könnte. Warum nicht zum Beispiel „Chanson“?

(Eva Lavric)