„Probleme des Kommentierens“ – Buchpräsentation im Literaturhaus am Inn

Am 13. März 2014 luden das Institut für Germanistik, das Forschungszentrum Prozesse der Literaturvermittlung und das Brenner-Forum zur Präsentation des von Prof. Wiesmüller herausgegebenen Sammelbandes „Probleme des Kommentierens“ ein.
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Prof. Wiesmüller bei seiner Präsentation. (Foto: Matthias Domanig)

Der Kommentar gilt vielen als die meistunterschätzte literaturwissenschaftliche Textsorte. Der Sammelband „Probleme des Kommentierens. Beiträge eines Innsbrucker Workshops“, herausgegeben von ao. Univ-Prof. i. R. Dr. Wolfgang Wiesmüller in der Germanistischen Reihe, die dieses Jahr 40. Geburtstag feiert, will dem entgegentreten.

Ergebnis aus sieben Workshop-Terminen

Bei der Präsentation am 13. März 2014 im Brenner-Archiv, Literaturhaus am Inn, konnte Institutsleiter Univ.-Prof. Dr. Wegmann, der die einleitenden Worte sprach, in den Reihen des Publikums neben vielen Beiträgerinnen und Beiträgern auch Gäste von der Salzburger Germanistik begrüßen.

Der gemeinsam mit Prof. Sigurd Paul Scheichl im Rahmen des Forschungsschwerpunktes „Prozesse der Literaturvermittlung“ ins Leben gerufene Workshop „Probleme des Kommentierens“ fand in den Jahren 2006 bis 2012 sieben Mal statt. Prof. Wiesmüllers Anliegen war es, eine Auswahl der dabei gehaltenen und im Anhang dokumentierten 35 Referate, auch von auswärtigen Expertinnen und Experten, in Form eines  Sammelbandes zu präsentieren und damit den auch in den Editionswissenschaften in den letzten Jahren etwas vernachlässigten Bereich wieder stärker ins Bewusstsein zu rufen.

Die im Sammelband vereinten 16 Beiträge von 15 Forscherinnen und Forschern wurden in der Präsentation von Prof. Wiesmüller kurz vorgestellt. In seinem einleitenden Beitrag, „Kommentieren aus der Sicht neugermanistischer Editionswissenschaften“ wird der Forschungsstand der Kommentartheorie skizziert. Dabei geht es um Formen und Inhalte, Grundprinzipien und Ziele des Kommentars, wie den „Brückenschlag zwischen Text und Leser“ (Gunter Martens), unter Berücksichtigung des jeweiligen Benützerkreises. Die Grenzen des Kommentars, besonders hin zur Interpretation, sind Gegenstand des einführenden Beitrages von Sigurd Paul Scheichl.

Weiter Bogen

Die folgenden Beiträge spannen einen thematisch und chronologisch weiten Bogen, von Oswald von Wolkenstein und François Villon über Johann Wolfgang von Goethe, Adalbert Stifter, Georg Trakl und Ernst Toller bis hin zur Gegenwartsliteratur, wobei die Kommentierung von Briefwechseln breiten Raum einnimmt. Das germanistische Feld wird im Band auch um eine translationswissenschaftliche Perspektive erweitert. Mehrsprachigkeit und Interkulturalität stellen neue Anforderungen an die Gattung des Kommentars.

Mehrere Beiträge stehen in Zusammenhang mit Projekten des Brenner-Archivs, aus dessen Beständen etwa der Brief von Grete Langen-Trakl stammt, der wegen seiner herausragenden graphischen Eigenschaften für die Umschlaggestaltung ausgewählt wurde. Die zahlreichen, teilweise farbigen Abbildungen veranschaulichen die materiellen Aspekte der Kommentierungstätigkeit.

Ein stetiger Balanceakt im Kommentieren ist gerade bei Georg Trakl die Abgrenzung von ‚primärer‘ und ‚sekundärer‘ Dunkelheit (Manfred Fuhrmann) im literarischen Text, also zwischen Unklarheiten, die vom Verfasser intendiert sind und für den Leser erhalten bleiben soll, und solchen, die erst durch die historische Distanz entstanden sind und daher erhellt werden müssen.

Vortrag „Spannungsfelder beim Editieren“

Nach der Buchpräsentation ergänzte ein Vortrag von Dr. Johannes John (Bayerische Akademie der Wissenschaften) über „Spannungsfelder beim Edieren“ die Thematik. Auch hier lieferte Adalbert Stifter, mit dessen historisch-kritischer Gesamtausgabe die Innsbrucker Germanistik besonders verbunden ist, reiche Beispiele für Problembereiche des Edierens und Kommentierens. So erscheint das Manuskript oft als Schlachtfeld, auf dem der Autor um Worte ringt. Dadurch werden zwar seine Gedankengänge im Prozess des Schreibens transparent, bei ihrer komplexen editorischen Rekonstruktion ist aber auch die „Einschüchterungsgermanistik“ nicht weit. Bei der kritischen Aufbereitung von Texten müssen die Herausgeber ihre Entscheidungen jedenfalls immer vollkommen transparent gestalten. Was die Kommentierung betrifft, muss stets ein Mittelweg gefunden werden zwischen interpretativer Bevormundung der Leserschaft und Unterkommentierung des Textes.

Digitale Editionen bieten neue Möglichkeiten, doch veränderte Technologien stellen die Editionswissenschaften auch vor neue Herausforderungen. Der computergestützte Produktionsprozess bei Autorinnen und Autoren der Gegenwart entzieht sich weitgehend dem forschenden Blick, womit die Festplatte zum drohenden „Variantenkrematorium“ wird. Mit den Songtexten von Bob Dylan als Beispiel für ein editorisches „work in progress“ schlossen Vortrag und offizieller Teil des Abends. The Times They Are a-Changin’.

(Matthias Domanig)