Ohne Theorie keine Revolution

Unter diesem Leitgedanken fand im Juli 2013 die Summer School „Counterculture and ‚Counterconcept‘“ an der Universität Innsbruck statt. Ziel der Veranstaltung war es, die These von ‚Gegenkulturen‘ als „Motor sozialer Veränderungen“ zusammen mit Doktoran-dInnen und ExpertInnen aus Deutschland, Österreich, Schweden und der Schweiz weiter auszudifferenzieren.
blog_summerschool_counterculture.jpg
Prof. Lennartz eröffnete mit seiner Key Note Lecture die Summer School.

Im Vorfeld zur Summer School wurde vom Organisationsteam (Jennifer Hein, Eva-Maria Hochhauser, Erich Kistler) die bisher innerhalb des Forschungsbereichs Cultural Encounters and Transfers (CEnT) und des DoktorandInnenkolleg „Figuration ‚Gegenkultur‘“ geführten Diskussionen zum Thema ‚Gegenkultur‘ in einem Konzeptpapier zusammengefasst und um den Begriff ‚Gegenentwurf‘ erweitert. Dieser soll insbesondere zu einer genaueren Unterscheidung der Gegenkulturen von anderen „teilkulturellen“ (z.B. subkulturellen oder parallelkulturellen) Phänomenen bzw. Gruppierungen führen. Dabei wurde keine allgemeingültige Definition von ‚Gegenkultur‘ angeboten, sondern es wurde eine Maske zur Verfügung gestellt, die einzelne Aspekte problematisieren und für die Grenzen und Möglichkeiten des analytischen Konzepts ‚Gegenkultur‘ sensibilisieren sollte. Das Konzeptpapier als theoretischer Baukasten verstand sich als Impuls, der alle Vortragende an der Summer School zu Reaktionen und Stellungnahmen aus ihren jeweiligen disziplinären Blickwinkeln und Untersuchungsfeldern provozieren sollte.

Bereits im ersten Workshop, der den Titel „Theory“ trug, machten Jennifer Hein (Klassische Archäologie) und Mara Persello (Semiotik) deutlich, dass „ohne Revolution“ auf wissenschaftlicher Ebene auch keine „Theorie“ zustande kommen kann. In Anlehnung an das Konzeptpapier beschrieb Tobias Neuburger (Europäische Ethnologie) am Beispiel der Roma und Sinti, wie fremdethnische Gruppierungen vom Establishment zu Gegenkulturen imaginiert werden können, die zwischen Exotik und Devianz oszillieren. Maria Kirchmair (Romanistik) widmete sich in ihrem Fallbeispiel postkolonialen Gegenentwürfen in der zeitgenössischen Literatur Italiens und bestritt damit den aufgrund zweier Absagen verkleinerten Workshop II „(Post-)Colonial (Counter-)Concepts“ alleine.

Wie es von den Theorien und Gegenentwürfen schließlich auch zur gegenkulturellen Praxis kommen kann, wurde in den Beiträgen der Workshops III und IV diskutiert. Als Scharnier zwischen Gegenentwurf und Gegenkultur können laut Philipp Hubmann (Germanistik/Rhetorik), Michael Preidel (Germanistik/Kunstgeschichte) und Verena Richter (Romanistik) Intellektuelle angesehen werden. Sie agieren in mehreren gesellschaftlichen Teilbereichen (den künstlerischen, literarischen, politischen und wissenschaftlichen) und wirken dabei sowohl als AutorInnen von Gegenentwürfen als auch als jene, welche diese in der Praxis ausleben. Den praktischen und auch tatsächlich beobachtbaren Formen von ‚Gegenkultur‘ in Bereichen wie Lifestyle und Pop widmeten sich im Anschluss daran Jonathan Voges (Zeitgeschichte), André Menke (Germanistik) und Bianca Ludwig (Europäische Ethnologie) im Workshop IV „Social Movements and Countercultures“.

Der Workshop V „Between Concept and Culture: Agents in the Political Field“ beschloss die Summer School mit den Vorträgen von Yvonne Gönster (Klassische Archäologie), Eva-Maria Hochhauser (Politikwissenschaft) und Burglinde Hagert (Romanistik). In ihnen wurde die Bedeutung von gegenkulturellen (Rand-)Positionen für die Politik im engeren Sinne und insbesondere auf der Ebene der national institutionalisierten Form von Politik herausgestellt.

Die Workshops wurden bereichert durch vier Key Note Lectures: Prof. Norbert Lennartz (Universität Vechta) gab einen Überblick über die sich in der Literatur zum Ausdruck gebrachten gegen- und parallelkulturellen Gruppierungen Englands vom 17. bis zum 19. Jahrhundert. Dr. Constance von Rüden (Universität Heidelberg) stellte auf Grundlage visuellen Verhaltens gegenkulturelle Tendenzen der Mittel- und Spätbronzezeit an der Levante den gegenkulturellen Bewegungen im zeitgenössischen Ägypten gegenüber. Markus Schennach (Freirad Innsbruck) berichtete aus der Akteursperspektive über den gegenkulturellen Ursprung und die Etablierung der Freien Radios in Österreich. Abschließend provozierte Prof. Alan Guggenbühl (Konfliktzentrum Zürich) mit seiner Feststellung, dass Innovation, also kultureller Wandel und gesellschaftliche Veränderung, durch Professionalisierung in der Unternehmens- und Wissenschaftskultur ausgebremst wird und somit nur noch von den Rändern her angestoßen werden kann. Somit unterstrich er, dass der Leitspruch der Summer School durchaus auch umzudrehen ist, dass also ohne gesellschaftliches Aufbegehren der ‚Randständigen‘ auch keine neuen Welterklärungsmodelle und Theorien gesucht werden müssen.

Die großzügigen finanziellen und tatkräftigen Unterstützungen des Vizerektorats für Forschung, der Philosophisch-Historischen sowie der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät, des Forschungsschwerpunkts Kulturelle Begegnungen – Kulturelle Konflikte sowie des International Relations Office trugen maßgeblich zum Zustandekommen sowie zum Erfolg der Summer School bei. Wir möchten uns dafür noch einmal recht herzlich bei allen Fördergebern bedanken!

(Jennifer Hein, Eva-Maria Hochhauser & Erich Kistler)