Stadion statt Seminarraum: Studierende forschen am Tivoli

Das Massenphänomen Fußball bietet mit seiner Zuschauerkultur ein anschauliches Feld zur Erforschung negativer und positiver Aspekte sozialen Verhaltens und gesellschaftlichen Zusammenlebens. Dies erlebten nun auch Studierende der Erziehungswissenschaft, die beim Cup-Viertelfinalspiel Wacker Innsbruck gegen Red Bull Salzburg zu Gast am Tivoli waren.
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Die Nordtribüne im Tivoli-Stadion. (Foto: Faninitiative-Verein zur Förderung der Fußball-Fankultur)

Ellbogenmentalität, übertriebene Männlichkeit und politische Instrumentalisierung - gleichzeitig aber auch Anti-Rassismus und Kommerzialisierungskritik. Das Massenphänomen Fußball bietet mit seiner Zuschauerkultur ein anschauliches Feld, um negative und positive Aspekte sozialen Verhaltens und gesellschaftlichen Zusammenlebens zu erforschen. Dies erlebten nun auch Studierende der Leopold-Franzens-Universität, die beim Cup-Viertelfinalspiel Wacker Innsbruck gegen RB Salzburg auf Einladung des Tiroler Bundesligisten und der Faninitiative Innsbruck zu Gast am Tivoli waren.

Die Studierenden sind Teilnehmer eines Seminars am Institut für Erziehungswissenschaft, das sich aus soziologischer und pädagogischer Perspektive der Fußball-Fanszene als besonderer Ausprägung von Jugendkultur widmet. Im Mittelpunkt stehen dabei jugendkulturelle Verhaltensweisen und Ausdrucksformen unter dem Eindruck zunehmender Kommerzialisierung und sicherheitspolizeilicher Repression im sozialen Raum des Zuschauersports. Die Exkursion ins Stadion diente dazu, per Beobachtung und Befragung - den klassischen Methoden der Feldforschung - Einblicke in die Subkultur der Innsbrucker Fußballfans zu erlangen.

Instruiert von Lehrveranstaltungsleiter Stefan Hebenstreit verfolgten die Studierenden deshalb weniger das sportliche Geschehen auf dem Rasen, sondern legten ihr Augenmerk vielmehr auf das Verhalten und die fankulturelle Inszenierung der Schlachtenbummler auf der Nordtribüne. Durch Gespräche mit einzelnen Fans erhielten die angehenden Pädagogen einen Überblick über das subkulturelle und politische Selbstverständnis der Innsbrucker Fußball-Anhängerschaft. So erfuhren sie, wie die Fanclubs einer Unterwanderung der Szene durch rechtspopulistische Gruppen entgegentraten und sich dauerhaft für ein antirassistisches und antisexistisches Miteinander im Stadion einsetzen. Ein langjähriger Anhänger erzählte den Studierenden zudem von der Kampagne der Fanclubs, die sich gegen einen Sponsorenschriftzug im Vereinswappen wehrte und in der Restrukturierung des FC Wacker als demokratischem Mitgliederverein mündete.

„Die Exkursion ans Tivoli entspricht der Zielsetzung des Seminars, wissenschaftliche Theorien mit aktuellen Beobachtungen aus dem Forschungsfeld und konkretem Praxiswissen zusammenzuführen”, resümierte Lehrveranstaltungsleiter Stefan Hebenstreit. Begeistert von der Erfahrung, den Seminarraum kurzzeitig gegen ein Fußballstadion eingetauscht zu haben, wollen die Studierenden ihre Eindrücke und Notizen nun beim nächsten Seminartermin gemeinsam reflektieren.

Die Lehrveranstaltung wird im Sommersemester anlässlich des 100-jährigen Vereinsjubiläums des FC Wacker angeboten. Kooperationspartner ist die Faninitiative Innsbruck, die bereits 2008 anlässlich der Europameisterschaft in Österreich und der Schweiz in Zusammenarbeit mit dem Institut für Erziehungswissenschaft eine Vorlesung unter dem Titel „Die Kanten des runden Leders” durchführte und seit anderthalb Jahren als Trägerverein der sozialpädagogischen Einrichtung „Fanarbeit Innsbruck - Sozialarbeit mit Fußballfans” agiert. Der FC Wacker Innsbruck unterstützt die Lehrveranstaltung im Rahmen seines sozialen Engagements, zu dem laut Statuten auch die Einrichtung eines wissenschaftlichen „Think Tank” gehört, sprich der Aufbau eines Netzwerks von Wissenschaftlern, die sich mit Aspekten des Fußballsports befassen und dadurch auch die öffentliche Debatte über den Profifußball und die Fankultur in Tirol fördern.