Internationale Konferenz zu Islam und Völkerrecht

Bei einer Konferenz Mitte Juni beleuchteten Expertinnen und Experten aus einem Dutzend Ländern aktuelle Aspekte des Verhältnisses von Islam und internationalem Recht.
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Keynote Speaker S.E. Awn Al-Khasawneh bei seinem Vortrag.

Verkörpern islamisches Völkerrecht und klassisches „westliches“ Völkerrecht unterschiedliche Paradigmen? Welche historischen Interaktionen oder vielleicht sogar  Befruchtungen haben sich im Verhältnis der beiden als wirkmächtig erwiesen? Welche Spannungsfelder ergeben sich im Hinblick auf das völkerrechtliche Gewaltverbot (Stichwort: „Jihadismus“) und insbesondere auch auf das Projekt universaler Menschenrechte?

Diesen und vielen weiteren Fragen gingen am 14. und 15. Juni Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus vier Kontinenten an der Universität Innsbruck nach. Darüber hinaus lockte die Veranstaltung über hundert Teilnehmer vor allem aus dem akademischen, aber auch gesellschaftlichen und NGO-Bereich aus ganz Europa nach Tirol. „Die Universität Innsbruck ist stolz, der Auseinandersetzung mit diesen wichtigen Fragestellungen und dem Dialog eine Plattform bieten zu dürfen“, zeigte sich Rektor Tilmann Märk über diese Initiative begeistert.

In ihrem Eröffnungsvortrag zeichnete die aus Bangladesch stammende Islamwissenschaftlerin Asma Afsaruddin (Indiana University, USA) die reiche Interpretationsgeschichte der so genannten „Schwertverse“ des Koran nach und setzte diese in Beziehung zu den vorherrschenden politischen Rahmenbedingungen. Dabei konnte sie zeigen, dass die frühen Exegeten die grundsätzlich defensive Jihad-Konzeption im Koran nach und nach zu einer Version des imperialistischen Angriffskrieges entwickelten bzw. umgedeuteten. Während in diesem Fall die Realpolitik eine aus Sicht des heutigen Völkerrechts bedenkliche Entwicklung angestoßen hat, konnte Harriet Rudolph (Universität Innsbruck) am Beispiel des Osmanischen  Reiches zeigen, wie pragmatisches Kalkül zur Institutionalisierung der Diplomatie beitrug. „Wenn es eine religiöse Vorschrift ist, dass man den Feind zum Übertritt zum Islam auffordert, bevor man ihn  angreift, erfordert das zumindest rudimentäre Einrichtungen der Diplomatie“, erklärte sie.

In der Folge analysierte Irmgard Marboe (Universität Wien) das Konzept der „Rule of Law“ vor dem Hintergrund der islamischen Völkerrechtstradition. Ihr Fazit: Trotz gewisser Spannungen gibt es weitgehende Entsprechungen.

Brennpunkt Menschenrechte

Mohammed Hisham (International Islamic University, Malaysia) trat in seinem Vortrag für einen harmonisierenden hermeneutischen Zugang zu den zwei maßgeblichen Rechtsquellen des Islams, Koran und Prophetentradition (Sunna), ein. Am Beispiel des umstrittenen Verbots, den Islam zu verlassen, machte Hisham dies deutlich: Auch wenn laut Koran Zwang in der Religion nicht erlaubt sei, wäre damit keine Aufhebung des Apostasie-Verbots gemeint, da dies der Prophet selbst nicht zugelassen habe. Die Frage der Religionsfreiheit beschäftigte auch in den Menschenrechts-Panels der Konferenz, wo etwa Necmettin Kizilkaya (Çanakkale Universität, Türkei) argumentierte, dass das islamische Apostasie-Verbot richtigerweise nicht im Strafrecht, sondern im Völkerrecht angesiedelt werden müsse. Denn ursprünglich sei nicht der Konvertit als solcher bestraft worden, sondern dieser in seiner Rolle als Deserteur bzw. Hochverräter.

Dass allzu hoffnungsvolle Ansichten über die Komptabilität von Islam und Menschenrechten unangebracht sind, demonstrierte auch der Vortrag von Abdulmumini Oba (Universität Illorin, Nigeria). „Vieles, was im Westen als Menschenrecht gilt, kann aus islamischer Perspektive in dieser Form nicht akzeptiert werden“, so Oba, der konkret auf bestimmte Frauenrechte und die Gleichstellung Homosexueller verwies. Der heiklen Frage von Blasphemiegesetzen und Bestrebungen, diese im Völkerrecht zu verankern, widmete sich Lorenz Langer (Universität Zürich). Saraj Kahn (University of Edinburgh) setzte sich mit der gängigen Praxis islamischer Staaten auseinander, mittels eines so genannten Scharia-Vorbehalts internationale Menschenrechtsabkommen nur bedingt anzuerkennen. Abdul Ghafur Hamid (International Islamic University, Malaysia) zeigte am Beispiel der UN-Kinderrechtskonvention, dass bestimmte Menschenrechte (namentlich Kinderrechte) aus islamischer Sicht auch weitgehend unproblematisch sein können. Anders liegt sie Sache hingegen im Fall von Frauenrechten, wie Jana Ilieva (MIT University Skopje, Mazedonien) sowie Sajid Suleman (King’s College London) veranschaulichten.

Das Verhältnis des islamischen Rechts zur aufstrebenden völkerrechtlichen Disziplin des Völkerstrafrechts behandelten Markus Beham (Universität Wien) und Matthias Cernusca (Universität Freiburg). Abschließend nahmen die drei Schlussvorträge das vielschichtige Verhältnis von Islam, Internationalen Beziehungen und Weltordnung in den Blick.

Hochkarätige Keynote-Lecture

Den Höhepunkt der Konferenz stellte die Keynote Lecture von S.E. Awn S. Al-Khasawneh dar, der bis April diesen Jahres Premierminister von Jordanien war. Zuvor war Al-Khasawneh Richter und Vizepräsident am Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Al-Khasawneh beleuchtete grundsätzliche Aspekte des Verhältnisses von Islam und Völkerrecht in seiner Funktion als Chairman des „Committee on Islamic Law and International Law“ der International Law Association, der global wichtigsten professionellen Vereinigung im Bereich des Völkerrechts.

In seinem Keynote-Vortrag betonte Al-Khasawneh, dass die Entstehung des modernen Völkerrechts nicht einer Zivilisation oder Rechtstradition alleine zu verdanken sei. Vielmehr hätten sich römische, abendländische und islamische Traditionslinien verbunden. Umso bedauerlicher sei es daher, dass das moderne Völkerrecht für außerwestliche Rechtskulturen förmlich blind sei. „Doch gerade in so aktuell wichtigen Bereichen wie etwa dem Umweltrecht könnte das islamische Völkerrecht Impulse geben“, so Al-Khasawneh, der zugleich aber auch nur schwer überbrückbare Unterschiede, etwa in der Stellung islamischer Staaten zur Todesstrafe, herausarbeitete.

Akzente setzen

Die Konferenz entstand als Teil eines fakultätsübergreifenden und von der Nachwuchsförderung der Universität Innsbruck unterstützen Forschungsprojektes von Marie-Luisa Frick (Institut für Philosophie) und Andreas Th. Müller (Institut für Europa- und Völkerrecht). „Mit der Veranstaltung ist es gelungen, Akzente in einem sehr kontroversen, aber auch hochaktuellen und gesellschaftlich bedeutsamen Feld zu setzen“, erklären die Organisatoren.

Erfreut zeigten sie sich nicht nur über den überaus positiven Zuspruch der Teilnehmer, sondern auch über das hohe sachliche Niveau der Diskussionen, die den Vorträgen folgten: „Hier zeigte sich in schönster Form der Wert des akademischen Austausches im Sinne eines aufrichtigen und durchaus kritischen, aber stets wertschätzenden Diskurses.“ Die Ergebnisse der Konferenz werden in einem Buch dokumentiert, das der bekannte wissenschaftliche Fachverlag Brill/Martinus Nijhoff in sein Verlagsprogramm aufgenommen hat. Die Veröffentlichung ist für Anfang 2013 geplant.

(mlf/atm)