Wie Online-Dating soziale Normen verändert

Online-Dating Plattformen wie Tinder sind inzwischen sehr bekannt. Offensichtlich ist diese Art von Dating anders als beim Offline-Dating. Online-Dating ist ein Markt und kann dazu führen, dass soziale Normen aufgebrochen, umgeformt oder verändert werden. Inwiefern Online-Dating einen Markt darstellt und wie es die Werte der Menschen verändert soll in diesem Beitrag beleuchtet werden.

Wintersemester 2022/23: Florian-Pascal Dalaker und Marie-Theres Heimpel

 

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https://www.derstandard.at/story/2000134729454/tindern-im-ausland-ihre-erfahrungen

 Zunächst brauchen wir eine grundlegende Definition des Begriffes Markt, wie von Max Weber:
„Von einem Markt soll gesprochen werden, sobald auch nur auf einer Seite eine Mehrheit von
Tauschreflektanten um Tauschchancen konkurrieren.“ (Weber 1992 zitiert nach Schmitz 2014).
Schmitz leitet daraus für einen Partnermarkt folgende Definition ab: „Von einem Partnermarkt soll
gesprochen werden, wenn ein sozialer Interaktionskontext primär über Konkurrenz um
partnerschaftliche Tauschchancen bestimmt ist.“ (Schmitz 2014, S. 113) Nach dieser Definition
ähnelte die Partnersuche schon im Offline-Dating einem Markt wie beispielweise hier: Stellen wir
uns einen Single vor der/die in eine Bar geht um einen zukünftigen Partner kennenzulernen.
Er/Sie wird nun verschiedene Personen (Angebote) miteinander vergleichen, ihnen demnach einen
Marktwert zuordnen und sich selbst dabei bestmöglich darstellen. Singles die auf Partnersuche
sind agieren also wie Teilnehmer eines Marktes im Wettbewerb um ein gewisses Gut. Jedoch
spielen hier irrationale Verhaltensweisen, Emotionen, Chemistry, sowie soziale Normen und
Kontexte eine große Rolle.

Im Gegensatz zum Offline-Dating ist bei Interaktionen im Online-Dating klar, dass beide Beteiligten
zumindest auf kurz- oder langfristiger Partnersuche sind. Meist sind aber – im Gegensatz zum
Offline-Dating – kürzere Beziehungen gesucht (Castro Á & Barrada JR, 2020). Gleichzeitig
bewegen sie sich außerhalb ihrer gewöhnlichen sozialen Sphären, wodurch die Rolle sozialer Normen
gemindert wird. Außerdem weisen Online Partnerbörsen geringere Suchkosten und höhere operatorische
Markteffizienz auf. Die Eigenschaften von Online-Dating Plattformen lassen vermuten, dass bereits
vorhandene Marktmechanismen der Dating Welt durch Online-Dating verstärkt und hervorgehoben werden.
Des Weiteren haben die Teilnehmenden von Online Portalen eine hohe Kontrolle über die
Selbstpräsentation in Form ihrer Profile und weiterer Kommunikation. Daher spielt Selbstvermarktung
im Online-Dating eine größere Rolle und bietet Raum für Täuschung und Enttäuschung. Durch Online-
Dating bietet sich eine Fülle an potentiellen Partnern wie nie zuvor. Durch die erhöhte Masse an
Nachfragern ergibt sich ein intensiverer Wettbewerb als im traditionellen Dating Kontext.
Dieser Wettbewerb wird noch einmal intensiviert durch die optimierte, oftmals unauthentische und
überhöhte Selbstdarstellung der Marktteilnehmer. (Schmitz, 2014)

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https://twitter.com/m_tatsiou/status/78301613729456947

Eine qualitative Analyse von tiefgründigen Interviews mit 34 Teilnehmern einer großen Online-
Dating Seite zeigte, dass den Teilnehmern diese Marktmechanismen auffielen und sie Strategien
verwendeten, die die Annahmen der Markt-Perspektive unterstreichen. Während den Interviews
beschrieben sie Online-Dating mit Marktmetaphern, ohne dazu aufgefordert zu sein. Sie verglichen
Online-Dating mit ökonomischen Transaktionen, und beschrieben die Plattform wie einen Katalog,
durch den man blättert und sich die passenden Produkte aussucht (Heino et al, 2010).
Je mehr Zeit die Teilnehmenden dem Online-Dating widmeten, umso mehr entwickelten sie Strategien,
die auf einen Marktmechanismus abzielen, und weniger auf sozialen Normen beruhen. Die Forschenden
konnten hier fünf Schritte aufdecken, durch die Teilnehmende sich durch den Markt navigieren. (1)
Bewertung des Marktwertes anderer, (2) Bewertung des eigenen Marktwertes, (3) Shopping nach
perfekten Teilen (4) Maximierung des Inventars und (5) Kalibrierung der Selektivität. Die
Teilnehmenden berichteten wie sie nach und nach ihre Strategien optimierten (z.B. Filtern,
Bewerten, ihre Suchkosten reduzierten (Zeit, Aufwand, Emotionales Engagement)) und damit ihr
Online-Dating effizienter gestalteten. (Heino et. Al 2014, Dröge, Voroil 2011). Diese Strategien
scheinen auf zwei Phänomene des Online Dating abzuzielen. Zum einen will man verhindern, dass es
beim Face-to-Face Meeting zu Enttäuschungen und Frustration kommt, zum anderen versucht man mit der
Fülle an Optionen klar zu kommen (Dröge, Voroil 2011). Diese Strategien scheinen dazu zu führen,
dass Individuen ihre Entscheidungen vermehrt auf selbstberichtete Demographiken und Attribute legen
und weniger auf soziale Interaktionen und Chemie. Es würde also naheliegen, dass Online-Dating zu
oberflächlicherer Entscheidungsfindung anregt, als Offline-Dating. Online Plattformen könnten den
Eindruck vermitteln, man müsse einfach nur den richtigen Partner finden durch optimales
selektieren, anstatt sich zu bemühen, eine emotional funktionierende Verbindung aufzubauen. (Heino
et Al, 2010).

Zusammenfassend kann man sagen, durch Online Dating wird kein neuer Markt erschaffen,
jedoch werden die Markmechanismen, die bereits in der traditionellen Partnersuche existieren,
massiv verstärkt. Die Marktteilnehmer sind sich dieser Dynamiken bewusst und reagieren darauf mit
Strategien, die den Marktmechanismus intensivieren. Dadurch ist anzunehmen, dass durch das
Online-Dating eine zunehmende gesellschaftliche Distanzierung von traditionellen sozialen Dating
Normen stattfindet.


Literaturverzeichnis:

Castro, Á & Barrada, JR. (2020). Dating Apps and Their Sociodemographic and Psychosocial
Correlates: A Systematic Review. Int J Environ Res Public Health. 2020 Sep 7;17(18):6500. doi:
10.3390/ijerph17186500. PMID: 32906632; PMCID: PMC7557852

Dröge, K., & Voirol, O. (2011). Online dating: the tensions between romantic love and economic
rationalization.
Zeitschrift für Familienforschung, 23(3), 337-357. https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-
456740

Heino, R. D. & Ellison, N. B., & Gibbs, J. L. (2010). Relationshopping: Investigating the market
metaphor in online dating. Journal of Social and Personal Relationships, 27(4), 427–447.
https://doi.org/10.1177/0265407510361614

Schmitz, Andreas (2014) : The online dating market: Theoretical and
methodological considerations, economic sociology_the european electronic newsletter, ISSN
1871-3351, Max Planck Institute for the Study of Societies (MPIfG), Cologne, Vol. 16, Iss. 1, pp.
11-25

Schmitz, A. (2014). Online-Dating als Partnermarkt. In: Häring, A., Klein, T., Stauder, J., Stoye,
K. (eds) Der Partnermarkt und die Gelegenheiten des Kennenlernens. Springer VS, Wiesbaden.
https://doi.org/10.1007/978-3-658-02794-0_6

 

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