Was würde Homo oeconomicus machen?

Rationalität, Risikoaversion, nutzenmaximierendes Verhalten, den Überblick über alle Entscheidungsoptionen und vollkommene Informationen. So wird der perfekte Mensch in den Wirtschaftswissenschaften gerne beschrieben.

Sommersemester 2022: Louis David Fred Lewandowski

 

Der Homo oeconomicus. (Pollert, Kirchner, Polzin, & Pollert, 2016) Oft ist er Teil der Grundannahmen wirtschaftlicher Modelle und Theorien. Doch von realistischem menschlichem Verhalten, ist seins relativ weit entfernt. Zur Veranschaulichung reicht ein Blick auf die Konsumenten von Zigaretten. Diese geben Geld aus, um in der Konsequenz ihrem Körper erheblich zu schaden. Das lässt nicht vermuten, dass diese Entscheidung nach rationalen Gesichtspunkten getroffen wurde. Doch was sind Gründe für das irrationale Handeln der Menschen und welche Rolle spielen Emotionen und Erfahrungen dabei?

Dazu richten wir vorerst ein Blick auf die Risikoeinschätzung. Auch bezüglich der realitätsnähe der strikten Risikoaversion des Homo oeconomicus tun sich Zweifel auf. So meiden Menschen mit Flugangst das Reisen mit dem Flugzeug und fahren beispielsweise lieber mit dem Auto in den Urlaub. (Popoola, 2019) Dabei geht aus einem Bericht des European Transport Safety Councils hervor, dass das Auto nach dem Motorrad, dem Fahrrad und dem zu Fuß gehen, das unsicherste Verkehrsmittel ist. Weitaus unsicherer als Fliegen. (European Transport Safety Council, 2003)

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Quelle: http://etsc.eu/wp-content/uploads/2003_transport_safety_stats_eu_overview.pdf

Sunstein erklärt das Phänomen folgendermaßen. Bei Emotionsgeprägten Entscheidungen liegt der Fokus auf dem Schlimmstmöglichen Ausgang der Situation und nicht auf der Wahrscheinlichkeit, dass dieser Ausgang auch eintritt. Dieser falsche Fokus kann von negativen Erfahrungen und Emotionen abhängig sein. (Sunstein, 2002) Eine Person mit Flugangst hat demnach dauerhaft die Angst des Absturzes, oder einer Flugzeugentführung im Kopf. Diese omnipräsente Angst führt zur
Fehleinschätzung der Eintrittswahrscheinlichkeit eines solchen Ereignisses. Folglich wird eine Entscheidung getroffen, die nicht logisch erscheint.
Und genauso kann der Effekt auch andersherum auftreten. So könne Risiken bei der Entscheidungsfindung komplett ignoriert werden, obwohl sie sehr real sind und gravierende Folgen haben können. (Sunstein, 2002)
Dieses Verhalten konnte beispielsweise im Zuge der Corona-Pandemie vermehrt beobachtet werden. Immer wieder war in den Medien von großen Partys zu Lockdownzeiten die Rede. Viele Menschen sind zusammengekommen und haben ausgelassen gefeiert. Das eigene Infektionsrisiko wurde genauso ignoriert, wie das Risiko im Nachhinein andere Menschen anzustecken und somit zur Verbreitung der Krankheit beizutragen.
Menschen scheinen also aus irrationalen Gründen wie Emotionen oder Erfahrungen, Risiken falsch einzuschätzen, was in der Folge zu irrationalem Verhalten führt. Bei diesem Phänomen handelt es sich um die Wahrscheinlichkeitsvernachlässigung.

Ein weiteres Beispiel, wie Emotionen und Erfahrungen zu irrationalem Verhalten führen können, wird durch die Verfügbarkeitsheuristik beschrieben. Hierbei handelt es sich um ein Phänomen, bei dem die Eintrittswahrscheinlichkeit von Ereignissen überschätz wird, weil sie entweder vor nicht allzu langer Zeit bereits eingetreten sind oder weil sie häufig im Alltag wahrgenommen werden. Je öfter man also mit bestimmten Informationen konfrontiert wird, desto wichtiger erscheinen sie. Man kann also von einer Übergewichtung der eigenen Erfahrungen sprechen. (Glaser, 2019)
Dieses Phänomen kann wieder deutlich gemacht werden an einem Beispiel aus der Corona-Pandemie. Genauer gesagt an der Debatte um den AstraZeneca Impfstoff. Dieser war in den Verruf geraten, da bei Verabreichung für einige Bevölkerungsgruppen eine Thrombosegefahr besteht. Diese Information wurde medial kontrovers diskutiert. Wochenlang gab es Diskussionen für welche Bevölkerungsgruppen der Impfstoff nun sicher ist und für welche nicht. Das negative Bild was dadurch in der Öffentlichkeit gezeichnet wurde, entsprach zum einen nicht dem Thromboserisiko des Impfstoffes, zum anderen manifestierte sich dieses Bild über alle Bevölkerungsgruppen. (Stangl, 2022)
Als Folge wollten viele einen anderen Impfstoff verabreicht bekommen, obwohl für sie keine erhöhte Thrombosegefahr bestand.

Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass Emotionen und Erfahrungen mit ausschlaggebend für irrationale Entscheidungen sind. Sie können dazu führen, dass wir das Worst-Case-Szenario aufgrund seines Ausmaßes für viel wahrscheinlicher halten, als es eigentlich ist. Auch werden bekannte und frische Erfahrungen oft als viel wahrscheinlicher eingeschätzt. In manchen Situationen kann es sich vielleicht als sinnvoll erweisen kurz innezuhalten und sich zu Fragen: Was würde Homo oeconomicus machen?

 

Literaturverzeichnis

Bernau, P. (25. März 2015). Nach dem Absturz; Die Gefahr de Fliegens. Frankfurter Allgemeine. Abgerufen am 26. Mai 2022 von https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/absturz-in-den-alpen/wie-gefaehrlich-ist-fliegen-die-risiko-statistiken-13505192.html

Bobeth, S. (2022). Ingenta Connect. Von https://www.ingentaconnect.com/content/oekom/gaia/2016/00000025/00000001/art00011# abgerufen

European Transport Safety Council. (2003). TRANSPORT SAFETY PERFORMANCE IN THE EU A STATISTICAL OVERVIEW. Brüssel, Belgien. Von http://etsc.eu/wp-content/uploads/2003_transport_safety_stats_eu_overview.pdf abgerufen

Glaser, C. (2019). Verfügbarkeitsheuristik. In C. Glaser, Risiko im Management, 100 Fehler, Irrtümer, Verzerrungen und wie man sie vermeidet (S. 129-132). Wiesbaden: Springer Gabler.

Gomoll, W. (2022). Auto Bild. Von https://www.autobild.de/artikel/e-autos-batterie-zukunft-21260619.html abgerufen

Kords, M. (2022). Statista. Von https://de.statista.com/statistik/daten/studie/168350/umfrage/bestandsentwicklung-von-elektrofahrzeugen/ abgerufen

Pollert, A., Kirchner, B., Polzin, J. M., & Pollert, M. C. (2016). Duden Wirtschaft von A bis Z : Grundlagenwissen für Schule und Studium, Beruf und Alltag. 6. Aufl. Mannheim: Dudenverlag.

Popoola, R. (2019). Spezialfall Flugangst. In R. Popoola, Chefsache Freiheit (S. 129-136). Wiesbaden: Springer Gabler.

Rudschies, W. (2022). Von ADAC: https://www.adac.de/verkehr/tanken-kraftstoff-antrieb/alternative-antriebe/synthetische-kraftstoffe/ abgerufen

Stangl, W. (2022). Lexikon Stangl. Von https://lexikon.stangl.eu/4713/verfugbarkeitsheuristik abgerufen

Sunstein, C. (2002). Probability Neglect: Emotions, Worts Cases and Law. The Yale Law Journal, 122(1), S. 61-107.

Wieler, J. (2022). ADAC. Von https://www.adac.de/rund-ums-fahrzeug/tests/elektromobilitaet/stromverbrauch-elektroautos-adac-test/ abgerufen

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