Warum es Sinn machen kann, Umfragen zu fälschen

Eine verhaltenswissenschaftliche Analyse

Wintersemester 2021/22: Marina Farbmacher und David Stigger

Wie man aktuell in Österreich sieht, ist es nicht unüblich, dass Umfragen gefälscht werden, insbesondere wenn es um politischen Einfluss und Macht geht. Wenn man sich aussuchen kann, in welchen Themengebieten wie beispielsweise Wirtschaft oder Innovation man in Umfragen vorne liegt, ist nicht nur die Kreativität in den Spitzenpositionen ein bisschen zu weit geraten, sondern müssen sich Spitzenpolitiker doch auch etwas dabei gedacht haben.

Zunächst kurz zum Kontext, zur aktuellen Lage in Österreich:
Seit Ende September werden Ermittlungen seitens der Korruptionsstaatsanwaltschaft gegen den (ehemaligen) Bundeskanzler Sebastian Kurz durchgeführt, wobei auch zahlreiche Chats zwischen Kurz und Schmid (damaliger Generalsekretär) aufgetaucht sind. Dabei entstand aufgrund dieser der Verdacht, dass mit Steuergeldern Umfrage- und Meinungsforscher bestochen wurden, damit die Umfragen so erstellt werden, wie dies von den Auftraggebenden der Volkspartei gewollt wurde. Dies nicht nur Umfragen betreffend welche Partei vorne liegen wird, sondern auch, in welchen Themen welche Partei laut Umfragen an der Spitze ist. (Kurier, 2021)

Weshalb geht man allerdings das Risiko eines Polit-Skandals ein? Was sind aus verhaltenswissenschaftlicher Sicht die Hintergründe dafür und wieso wird das Fälschen von Umfragen als Erfolgsfaktor für die Wahl gesehen?

Bandwagon- beziehungsweise Mitläufereffekt

Erklären lässt sich dies vor allem durch den Bandwagon- bzw. Mitläufereffekt, welcher ein psychologisches Phänomen beschreibt, wodurch politische Wahlausgänge von Meinungsumfragen beeinflusst werden können. Manche Menschen übernehmen die Mehrheitsmeinung, wenn man sie mit Meinungsforschungen konfrontiert. Ebenso gibt es einen gegenteiligen Effekt, den sogenannten Außenseitereffekt, welcher dazu führt, dass einige Menschen die in Umfragen abgeschlagene Partei unterstützen. Das Resultat einer Befragung, welches eine Partei als Wahlgewinner zeigt, könnte demnach zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden. Marsh (1985) führte eine Studie durch, welche sich bewusst nicht mit Wahlverhalten befasst, sondern um die Präferenz der Befragten, Abtreibungen schwerer oder leichter zugänglich zu machen. Diese kommt zum Ergebnis, dass vor allem dargestellte Trends einen starken Einfluss auf die eigene Einschätzung vom gesellschaftlichen Trend haben. Wurde den Teilnehmern zum Beispiel mitgeteilt, dass sich die öffentliche Meinung eher in Richtung eines leichteren Zugangs zu Abtreibungen entwickelt, wurde dies sehr oft in der eigenen Wahrnehmung des gesellschaftlichen Trends übernommen (Marsh, 1985, pp. 51-70). Man kann an diesem Beispiel gut erkennen, wie mächtig Meinungsforschung sein kann, indem sie persönliche Eindrücke beeinflusst.

Ob oder wie Umfrageergebnisse die eigene Entscheidung beeinflussen können, kann durch eine Vielzahl von Effekten erklärt werden. So können beispielsweise die oben genannten Bandwagon- oder Underdog-Effekte oder eine Mobilisierung beziehungsweise Demobilisierung bestimmter Wählerschichten durch Umfrageergebnisse unterstellt werden, ein gewisses Streben nach Konformität, weil die Umfragen eine Art Norm darstellen oder der Wunsch, Teil des gewinnenden Teams zu sein. Farjam (2020) kam zu dem Ergebnis, dass der Bandwagon- Effekt einen sehr großen Einfluss auf die eigene Entscheidung hat. Seine Studie legt nahe, dass das Betrachten der Umfrage im Vorhinein zu einer vermehrten Entscheidung für die Mehrheitsmeinung führte. Ungefähr 7 Prozent mehr der Befragten - im Vergleich zur Entscheidung ohne Umfragen im Vorhinein - wählten die dargestellte Mehrheit (Farjam, 2020, pp. 412-418).

Es lässt sich schlussfolgern, dass politische Umfragen und dargestellte gesellschaftliche Trends aufgrund des Bandwagon-Effekts die eigene Wahrnehmung und vermeintlich persönliche, eigenständig getroffene Entscheidungen stark in Richtung der Mehrheit verändern können.

strategic voting

Zusätzlich zu diesem Effekt ist das sogenannte strategic voting im Zusammenhang von gefälschten Umfragen zu thematisieren. Das Phänomen des strategischen Wählens bedeutet, dass Wähler eine andere Partei wählen als diejenige, die sie eigentlich vorziehen, um insgesamt ein Wahlergebnis herbeizuführen, das ihren Präferenzen entspricht. Dabei wird angenommen, dass Wähler, die strategisch wählen, Informationen über die erwarteten Chancen der Parteien gewinnen. In Analyseverfahren wird unter strategischem Wählen ein Wahlverhalten verstanden, das aus instrumentellen Gründen von der eigentlichen Parteipräferenz abweicht (Weßels, 2013). Wendet man die Theorie zum strategischen Wahlverhalten auf die Situation von gefälschten Umfragewerten an, ist die Voraussetzung, dass Informationen über den erwarteten Ausgang der Wahl eingeholt werden, verzerrt. Daher ist es möglich, dass aufgrund von manipulierten Umfragewerten Wahlen anders ausfallen.

wisdom of the crowd

Weiters spielt auch der wisdom of the crowd effect eine Rolle. In einer Studie von R. B. Morton et al. (2019) wurde gezeigt, dass obwohl alle Wähler unsicher sind und viele sich irren, eine Mehrheitswahl erfolgreich ist. Dabei wurde ersichtlich, dass soziale Informationen über Meinungen grundsätzlich die Wahl verbessern, allerdings ist die Mehrheitswahl kontraproduktiv, wenn die durchschnittlichen Wähler einer Verzerrung unterliegen. Angewandt auf manipulierte Umfrageergebnisse, wodurch die Sicht des durchschnittlichen Wählers auf den Ausgang der Wahl einer starken Beeinflussung unterliegt, wird die Wahl dadurch stark verzerrt, was als Konsequenz sogar das Versagen eines Mehrheitswahlsystems nach sich ziehen kann.

Dies gilt auch für das Verhältniswahlsystem. Wenn eine Umfrage vor der Wahl im Verhältniswahlsystem veröffentlicht wird, die nicht die die ganze beziehungsweise falsche Information enthält, wirkt sich dies negativ auf die Wahl aus, da vom Fall der kompletten Information abgegangen wird. Wird allerdings eine genügend große Zahl an Umfragen veröffentlicht, nähert sich das Wahlergebnis an den Fall an, in dem die Wähler alle Informationen erhalten. (Mavridis & Ortuño-Ortín, 2018)

Zusammenfassend sind Umfragen ein Instrument, um Wahlen grundsätzlich effizienter zu machen. Wenn diese allerdings beeinflusst sind, sind auch die Ansichten der Wähler verzerrt, was bis zu einem Versagen des Mehrheitswahlsystems führen kann. Dies kann vor allem durch den Mitläufer-Effekt, strategic voting und wisdom of the crowd effect näher erläutert und erklärt werden.

Literaturverzeichnis

Farjam, M. (2020). The Bandwagon Effect in an Online Voting Experiment With Real Political Organizations. International Journal of Public Opinion Research, 33(2), 412-421. https://doi.org/10.1093/ijpor/edaa008

Kurier: Einblicke in die ÖVP-Chats: Call me Mr Umfrage :-)). Dokumentation der Chats aus den Jahren 2016 bis 2018: "Muss beim Rechnen aufpassen, sonst wird es unglaubwürdig.". In: Kurier 2021. Online verfügbar unter https://kurier.at/politik/inland/oevp-ermittlungen-call- me-mr-umfrage/401761890.

Marsh, C. (1985). Back on the Bandwagon: The Effect of Opinion Polls on Public Opinion. British Journal of Political Science, 15(1), 51-74.

Mavridis, Christos; Ortuño-Ortín, Ignacio (2018): Polling in a proportional representation system. In: Soc Choice Welf 51 (2), S. 297–312. DOI: 10.1007/s00355-018-1117-5.

Rebecca B. Morton, Marco Piovesan, Jean-Robert Tyran (2019): The dark side of the vote: Biased voters, social information, and information aggregation through majority voting. In: Games and Economic Behavior 2019 (113), S. 461–481. Online verfügbar unter https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0899825618301714?via%3Dihub.

Weßels, Bernhard (2013): Wahlen und Wähler. Analysen aus Anlass der Bundestagswahl 2009. Wiesbaden: Springer VS (Springer eBook Collection). Online verfügbar unter http://swbplus.bsz-bw.de/bsz38183994xcov.htm.


Nach oben scrollen