Müssen autonome Autos genauso schlechte Autofahrer:innen sein wie wir, um endlich akzeptiert zu werden?

Der größte Teil der Verkehrsunfälle sind mit ca. 94% in den USA auf menschliches Versagen zurückzuführen (vgl. Singh, 2015). Ohne Zweifel stehen nicht alle diese Irrationalitäten im Straßenverehr im bloßen Zusammenhang mit Fehleinschätzungen. Dennoch stellt sich die Frage, welchen Heuristiken und Biases der Mensch beim Autofahren ausgesetzt ist.

Sommersemester 2022: Konstantin Strauß und Sebastian Endres

 

Das, was die Menschheit wohl am meisten von Maschinen und künstlicher Intelligenz (KI)
unterscheidet, ist das Treffen von irrationalen Entscheidungen. Wo dieses Problem sehr
deutlich wird ist im Straßenverkehr. Der größte Teil der Verkehrsunfälle sind mit ca. 94% in
den USA auf menschliches Versagen zurückzuführen (vgl. Singh, 2015). Ohne Zweifel stehen
nicht alle diese Irrationalitäten im Straßenverehr im bloßen Zusammenhang mit
Fehleinschätzungen. Dennoch stellt sich die Frage, welchen Heuristiken und Biases der
Mensch beim Autofahren ausgesetzt ist. Im Laufe des Blog-Beitrags versuchen wir zu
beantworten, ob menschliche Irrationalität am Steuer als ein immanentes Risiko betrachtet
werden muss, welches durch autonome Fahrzeuge und KI obsolet gemacht werden kann.

Ein wichtiger Faktor im Straßenverkehr ist dabei die Verlustaversion. Das bedeutet, dass
Autofahrer:innen bewusst und unbewusst Verluste vermeiden, auch wenn dies zum Teil sehr
riskant oder sogar irrational ist. Als Beispiel kann man sich folgende Situation vorstellen: ein
Wildtier springt auf die Straße und ein Zusammenstoß ist unvermeidlich. Dieser
unvermeidliche Unfall stellt in dieser Situation einen sicheren Verlust dar, den vermutlich die
meisten Menschen mit einem äußerst riskanten Manöver zu vermeiden versuchen 􀂱 obwohl im
Durchschnitt durch einen Zusammenstoß mit einem Baum oder dem Gegenverkehr kumuliert
ein höherer Schaden entsteht, wenn man in dieser Situation ausweicht, als wenn man den
kleineren Schaden akzeptiert und nicht ausweicht. (vgl. KFV, 2018) In anderen Worten ist
dabei der/die Fahrer:in in der Verlustdomäne risikofreudig, aber auch irrational.

Dieses Vorgehen hängt auch mit der Selbstüberschätzung der Autofahrer:innen zusammen.
Vor allem in solchen Extremsituationen überschätzen die Fahrer:innen ihre Fähigkeiten, das
Auto ganz von einem Unfall zu bewahren. (Mehr dazu später)

Ein weiteres spannendes Phänomen in Bezug auf Verlustaversion im Straßenverkehr wurde
von Avineri (2006) auf Basis der Forschungsergebnisse von Tversky und Kahnemann (1992)
herausgefunden. Demnach gibt es durch die Verlustaversion einen Effekt auf die Auswahl der
Verkehrsroute, je nachdem welcher Referenzpunkt als Vergleich zur Bewertung der Fahrdauer
herangezogen wird. Wenn Pendler:innen beispielsweise eine 20-minütige Fahrdauer zu ihrer
Arbeit gewohnt sind (Referenzpunkt), wird eine nur 15-minütige Fahrdauer als Gewinn
verbucht und eine 25-minütige Fahrdauer als Verlust angesehen. Spannenderweise stiftet dabei
der Gewinn von 5 Minuten einen geringeren positiven Nutzen als der Verlust von 5 Minuten
einen negativen Nutzen. Nun wird angenommen, dass es zwei Alternativrouten zu dem
normalen Verkehrsweg gibt, wobei die eine Strecke im Durchschnitt kürzer, aber mit höherem
zeitlichem Risiko verbunden und die zweite Strecke länger, aber mit einem geringeren
zeitlichen Risiko verbunden ist.

Eine pendelnde Person, die statt normalerweise 20 Minuten ausnahmsweise 25 Minuten
benötigt (was eine Verbuchung als Verlust nach sich zieht), wird nun bei der nächsten Fahrt
eher die riskantere Alternativroute auswählen. Pendelnde, die statt normalerweise 20 Minuten
nur 15 Minuten benötigt (was eine Verbuchung als Gewinn nach sich zieht), wird bei der
nächsten Fahrt eher die weniger riskante Alternativroute auswählen. Diese Entdeckung ist ganz
im Sinne der Verlustaversion, die Risikofreude in der Verlustdomäne und Risikoaversion in
der Gewinndomäne prophezeit. Auch hier handelt also der Mensch im Auto irrational.

Um nun auf Overconfidence bzw. die Selbstüberschätzung des eigenen Fahrkönnens zu
kommen, so stellt dies einen weitere Fehlschluss dar. Diese lässt sich wiederrum in zwei
Teilbereiche aufteilen. Einerseits, konnte eine unproportionale Verteilung der
Selbsteinschätzung des eigenen Fahrkönnens in Relation zu allen anderen Autofahrern
nachgewiesen werden. Nach einer Studie von Svenson (1981) hielten sich in den USA 93%
und in Schweden 69 % der Autofahrer:innen für geschickter als der/die Durchschnittsfahrer:in.
Das würde im Umkehrschluss den Gedanken zulassen, dass der Großteil der Autofahrer glaubt,
eine zusätzliche Fahrunterstützung durch das Auto oder eine KI sei nicht nötig. Der Grund
hierfür könnte die Selbstüberschätzung der Fahrer in Bezug auf ihre Fahrfähigkeiten und die
wahrgenommene Sicherheit im Auto sein.

Andererseits kann eine Selbstüberschätzung in bestimmten Situationen auch zu vermeidbaren
Unfälle führen. Hier kann das Fahren mit überhöhter Geschwindigkeit genannt werden, in
einem Bereich der fehlenden Kontrollierbarkeit für unverwertbare Gefahren beispielsweise
durch Wildwechsel oder unerwartete Manöver anderer Verkehrsteilnehmer:innen. Aber auch
eine geteilte Aufmerksamkeit, wie die Benutzung des Handys spiegeln eine
Selbstüberschatzung der eigenen Fähigkeiten dar. Ebenso können hierbei das Fahren unter
Alkohol oder Müdigkeit genannt werden, die auf Grund von Selbstüberschätzung zu einem
vermeidbaren Kontrollverlust des Fahrzeugs führen können. (vgl. Wohleber & Matthews,
2016)

Um zum Abschluss noch einmal den Gedanken von der Einleitung aufzugreifen, so konnte
aufgezeigt werden, dass der Mensch mit irrationalen Entscheidungen im Straßenverkehr
durchaus ein Risikofaktor darstellt. (vgl. Singh, 2015) Somit kann es keinesfalls die Bestrebung
sein, menschliches Fehlverhalten in die Entscheidungsstruktur von KI
miteinzuprogrammieren. Vielmehr muss die Gesellschaft die Availability Heuristic im
Zusammenhang mit Unfällen von autonomen Autos überwinden, um die Skepsis gegenüber
diesen abzubauen. Beispielsweise wurde von dem ersten Verkehrsunfall eines Telsa-Autopilots
im Jahr 2016 im Vergleich zu den restlichen 40.200 tödlichen Verkehrsunfällen in den USA in
diesem Jahr deutlich ausführlicher berichtet, weshalb sich die bestehenden Ängste und
Bedecken gegenüber dem autonomen Fahren sich verstärkt haben könnten. (vgl. Rachlinski &
Wistrich, 2021)

Literaturverzeichnis:

Avineri, E. (2006). The effect of reference point on stochastic network equilibrium.
Transportation Science, 40(4), 409-420.

Kuratorium für Verkehrssicherheit (KFV) (2016). Richtig reagieren bei Wildtieren auf der
Fahrbahn. Available at https://www.kfv.at/richtig-reagieren-bei-wildtieren-auf-derfahrbahn

Rachlinski, J. J., & Wistrich, A. J. (2021). Judging Autonomous Vehicles. Available at SSRN
3806580.

Singh, S. (2015). Critical reasons for crashes investigated in the national motor vehicle crash
causation survey (No. DOT HS 812 115).

Svenson, O. (1981). Are we all less risky and more skillful than our fellow drivers?. Acta
psychologica, 47(2), 143-148.

Tversky, A., & Kahneman, D. (1992). Advances in prospect theory: Cumulative
representation of uncertainty. Journal of Risk and uncertainty, 5(4), 297-323.

Wohleber, R. W., & Matthews, G. (2016). Multiple facets of overconfidence: Implications
for driving safety. Transportation research part F: traffic psychology and behaviour, 43,
265-278.

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