Mit behavioral economics and law gegen Korruption

Wie können Verhaltensverzerrungen (Behavioral Biases) und Heuristiken (Heuristics) ausgenutzt werden, um Korruption zu verringern?

Sommersemester 2021: Daniel Hämmerle

Wer das Treiben der wirtschaftsdeliktischen Gerichtsverhandlungen des Landes in den Medien verfolgt, der könnte meinen, dass Österreich mittlerweile gänzlich im Korruptionssumpf versunken ist: Vom ehemaligen Vizekanzler (Ibiza), zum Finanzminister (BUWOG), Postenbesetzungen in staatsnahen Konzernen (ÖBAG und Casinos), Problemen im Verfassungsschutz (BVT) und unzähligen kleineren „Gschichtn“ in der Privatwirtschaft – Korruption ist omnipräsent. Doch wie kann Korruption bekämpft werden?

Mit wissenschaftlichen Erkenntnissen aus der Verhaltensökonomie steht der Justiz, dem Gesetzgeber und der obersten Verwaltungsebene ein bedeutendes Instrumentarium zur Verfügung, dem Korruptionstreiben in der Privatwirtschaft und Hoheitsverwaltung entgegenzuwirken. Die Betrachtung von drei kognitiven Verzerrungen, Verfügbarkeitsheuristik (availability heuristic), Überoptimismus (over-optimism) und Verlustaversion (loss aversion), soll aufzeigen, dass Korruption mit verhaltensökonomischen Erkenntnissen entgegengewirkt werden kann:

Die Verfügbarkeitsheuristik liefert eine erste Begründung, wie Korruption bekämpft werden kann: Tversky und Kahneman1 haben herausgefunden, dass die Beurteilung der Wichtigkeit eines Ereignisses stark davon abhängt, wie präsent und verfügbar gleiche bzw. ähnliche Ereignisse im Gedächtnis sind. Ist ein Ereignis demnach noch sehr gut in Erinnerung, dann wird die Wahrscheinlichkeit eines erneuten Eintritts eines solchen Ereignisses höher eingestuft, als diese tatsächlich ist. Korruption und Schattenwirtschaft passieren im Dunkeln und bleiben oftmals unentdeckt. Große korruptions- und wirtschaftsstrafrechtliche Verfahren sind medial weit weniger interessant und verbreitet als andere Prozesse – es fehlt folglich an der Verfügbarkeit.2 Es ist somit notwendig, durch mediale Präsenz und öffentliche Reputation, Korruptionsverfahren an die Öffentlichkeit zu bringen. Je verfügbarer diese Verurteilungen und Aufdeckungen sind, desto größer wird schlussendlich von den Betroffenen die Wahrscheinlichkeit wahrgenommen, selbst bei einer (allfälligen) korrupten Tätigkeit entdeckt zu werden. Die Verfügbarkeitsheuristik kann also dahingehend ausgenutzt werden, dass bereits vor Tatdurchführung, den Straftätern die daraus resultierenden und drohenden Konsequenzen bewusst sind. So können Medienpräsenz und öffentlicher/politischer Diskurs helfen, Korruption zu verringern.

Selbstüberschätzung und der sogenannte „Besser-als-der-Durchschnitt“-Effekt führen dazu, dass Individuen ihre eigenen Fähigkeiten und Kompetenzen deutlich überschätzen.3 Daraus folgt, dass korrupte Menschen dazu tendieren, den aus der begangenen Straftat resultierenden Nutzen durch die eigenen Fähigkeiten zu überschätzen und gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit der Entdeckung und die Höhe der Sanktionen zu unterschätzen.4 Wird angenommen, dass der korrupt handelnde Mensch, trotz seiner unmoralischen Tätigkeit, zumindest beschränkt rational handelt, dann wägt dieser zwischen den anfallenden Kosten seines Tuns und dem erwarteten Gewinn ab – die Kosten aus seiner Tätigkeit (inkl. Sanktionen) werden vom erwartenden Nutzen abgezogen5. Die bei einer Entdeckung verhängte Strafe reduziert demnach den erlangten Gewinn. Höhere Strafen verbunden mit einer steigenden Aufklärungsquote können dabei helfen, diese kognitive Verzerrung einzubremsen und so, die Selbstüberschätzung zu minimieren – generalpräventiv verhängte Strafen haben im Wirtschaftsstrafrecht genau dieses Ziel. 6 „Plakative“ Strafen steigern die Überzeugung in einen alten Grundsatz: „Verbrechen begehen lohnt sich eben doch nicht“.

In Verbindung mit oben genannten Verzerrungen steht die Verlustaversion, die aus der Prospect-Theorie, ebenfalls von Kahneman und Tversky7, bekannt geworden ist. Wie bereits in den vorherigen beiden Absätzen dargestellt, handelt der korrupt handelnde Mensch, nicht gänzlich rational und weicht so vom Idealbild des homo oeconomicus ab. Verlustaversion nach Kahneman und Tversky bedeutet, dass die Verluste höher gewichtet werden als allfällige Gewinne. Wie bereits oben erwähnt, subtrahiert der zumindest teilweise rational handelnde Mensch Gewinne und Verluste, in diesem Fall durch Korruption erlangte Vorteile werden um die drohenden Strafen verkürzt. Werden nun das Straf- und Verfolgungssystem der inner- bzw. überstaatlichen Justiz und der Staatsanwaltschaften verbessert und ausgebaut, so ergibt diese Berechnung einen negativen Betrag, wonach das Individuum sich im Verlustbereich befindet (siehe auch oben). Im Verlustbereich steigt nach Kahneman und Tversky die Risikofreudigkeit an. Verbunden mit dem Überoptimismus führt dies dazu, dass diese Straftäter riskanter und durch das erhöhte Risiko weniger vorsichtig agieren.8 Es beginnt ein Kreislauf, der schlussendlich die Anhäufung von Fehlern in der Tatausführung fördert und die Wahrscheinlichkeit von Gewinnrealisierungen aus korrupten Tätigkeiten stetig sinken lässt – Korruptionsdelikte werden somit öfters verurteilt.

Die Ausführungen zeigen, der korrupt handelnde Menschen ist eben kein homo oeconomicus, kein rational handelnder Mensch. Die urmenschlichsten kognitiven Verzerrungen leiten ihn. Mit einer ökonomischen Analyse von lediglich drei Verzerrungen kann aufgezeigt werden, wie Korruption entgegengewirkt werden kann. Die mediale Präsenz von Verurteilungen und Prozessen muss gesteigert, der (generalpräventive) Strafrahmen und dadurch die Kosten für den korrupten Täter erhöht und schlussendlich das Verfolgungssystem (iSd Handlungsfähigkeit der (Korruptions)-Staatsanwaltschaft) stetig verbessert werden.

Literaturverzeichnis

Becker, G. (1976). The economic approach to human behavior. Univ. of Chicago Press.

Garoupa, N. (2003). Behavioral Economic Analysis of Crime: A Critical Review. European Journal of Law and Economics, 15(1), 5–15. https://doi.org/10.1023/A:1021152523137

Harel, A. (2014). Behavioral Analysis of Criminal Law. In The Oxford Handbook of Behavioral Economics and the Law. https://doi.org/10.1093/oxfordhb/9780199945474.013.0022

Kahneman, D. & Tversky, A. (1973). Availability: A heuristic for judging frequency and probability. Cognitive Psychology, 5(2), 207–232. https://doi.org/10.1016/0010-0285(73)90033-9

Kahneman, D. & Tversky, A. (1979). Prospect Theory: An Analysis of Decision under Risk. Econometrica, 47(2), 263–292. https://doi.org/10.2307/1914185

Kahneman, D. & Tversky, A. (1982). Intuitive prediction: Biases and corrective procedures. In Judgment under Uncertainty: Heuristics and Biases (S. 414–421). Cambridge University Press. https://doi.org/10.1017/CBO9780511809477.031

Schneider, H. (2012). Generalprävention im Wirtschaftsstrafrecht – Voraussetzungen von Normanerkennung und Abschreckung. In E. Hilgendorf & W. Heinz (Hg.), Festschrift für Wolfgang Heinz: Zum 70. Geburtstag (1. Aufl., S. 663–677). Nomos. https://doi.org/10.5771/9783845239729-663

1 Vgl. Kahneman und Tversky (1973)
2 Vgl. Harel (2014)
3 Vgl. Kahneman und Tversky (1982)
4 Vgl. Garoupa (2003)
5 Siehe dazu auch Becker (1976)
6 Vgl. Schneider (2012)
7 Vgl. Kahneman und Tversky (1979)
8 Vgl. Garoupa (2003

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