Lässt sich die Impfquote in Österreich bezüglich der momentanen Corona-Krise durch eine Opt-Out-Strategie beeinflussen?

In diesem Blogbeitrag wird versucht zu untersuchen, wie eine Erhöhung zur Impfbereitschaft durch Nudging möglich wäre.

Sommersemester 2021: Gabriel Metzler und Adrian Rupp

Das Leben mit dem Covid-19 Virus ist nicht das, welches wir kennen - aber eines, welches wir mit Sicherheit nicht vermissen werden. Viele Menschen verlieren den Kontakt zu den Mitmenschen, Ihren Job oder aufgrund einer Infektion sogar ihr Leben. Trotzdem ist die Bereitschaft sich impfen zu lassen, im Vergleich zu den Folgen einer Erkrankung, sehr gering. Doch warum ist das so? Im Folgenden versuchen wir zu untersuchen, wie eine Erhöhung zur Impfbereitschaft durch Nudging möglich wäre.

Nudging ist ein Begriff der Verhaltensökonomie, welcher von den US-amerikanischen Wissenschaftlern Richard Thaler und Sunstein geprägt wurde. Nudging war schon immer ein kontroverses Thema, da es das Verhalten in der Entscheidungsstruktur der Menschen unbewusst beeinflussen kann bzw. soll. Ein Nudge wird als ein sanftes „Stupsen“ bezeichnet, welches zu einer Verhaltensänderung führen soll. Allerdings passiert die Verhaltensänderung ohne Zwang oder Verbote. Es entsteht eine Entscheidungsarchitektur, die eine bestimmte Verhaltensweise einem Menschen nahelegt. Dies funktioniert etwa, indem man eben ein bestimmtes Wahlszenario entwirft. Beispiele dafür sind Bilder/Warnungen auf Zigarettenverpackungen, die Platzierung von Obst in der Kantine oder der lachende/traurige Smiley bei Geschwindigkeitsmessern auf den Straßen.

Jeder von uns ist bereits - ob bewusst oder unbewusst - „genudged“ worden. Diese dezenten Denkanstöße erweisen sich in vielerlei Hinsicht als zielführend, ohne viel Aufwand betreiben zu müssen. Zu diesem Ergebnis kommen auch die nachfolgenden Forschungsergebnisse, worauf unsere Arbeit bzw. unsere Überlegungen aufbauen.

Untersuchungen von (Benartzi et al. 2017) beschäftigen sich damit, ob Nudging in Bezug auf Kosten und effektiven Nutzen bei politischen Themen im Vergleich zu anderen Alternativen wie Steuern, Kampagnen, Kommunikation, Bildung etc. effektiver sind und ob dies somit mehr Anwendung finden sollte. Zur Veranschaulichung der Untersuchungsergebnisse trägt folgende Abbildung der Studie bei:

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Abbildung 1: Should Gouvernments invest more in Nudging? Quelle: (Benartzi et al. 2017)

Die Ergebnisse der Forschung sagen aus, dass in den meisten untersuchten Anwendungsbereichen Nudging über eine höhere Wirksamkeit verfügten als andere herkömmliche Methoden. Allerdings gilt es zu beachten, dass sich dies nicht auf jeden Bereich übertragen lässt. Nudging stellt zwar ein günstiges oder gar kostenloses Instrument dar, dennoch erfordert es in bestimmten Bereichen härtere Regulierungen oder ökonomische Anreize, um die gewünschte Wirkung zu erzielen. Interessant für unsere Überlegung ist die Untersuchung der „Influenza Vaccinations“, welche impliziert, dass Nudges besonders in diesem Bereich sehr wirkungsvoll sein können. Das Experiment von (Chapman et al. 2010), welches die Wirkung von Opt-In (Zustimmungsverfahren) und Opt-Out (Widerspruchsverfahren) Optionen in Bezug auf die Erhöhung der Rate von „Influenza Vaccinations“
untersucht hat, kommt zu dem selben Schluss. Die Opt-Out-Strategie (Opt-Out bedeutet, dass der Nutzer die Leistung vorab bekommt und sie aktiv ablehnen müsste, wenn sie nicht ausgeführt werden soll) erwies sich in ihrem Experiment mit einer Steigerung der Impfbereitschaft von 36% als klarer Sieger. Somit ist zu erkennen, dass durch gezieltes Nudging die Impfbereitschaft durchaus erhöht werden kann.

Betrachten wir das Land Österreich, so startete dieses noch im Dezember 2020 mit dem Impfplan der freiwilligen Impfungen. In den Medien wird gezielt eine Art Katastrophenszenario entworfen, welches in der Kommunikation eingesetzt wird. Es geht darum, Corona anders zu verankern als eine herkömmliche Grippe. Durch die verstörenden Bilder aus beispielsweise Italien und den Meldungen aus überfüllten Krankenhäusern wird eine neue Wahrnehmung des Risikos erzeugt.

In Österreich kann man sich für die Impfung freiwillig und kostenlos auf der Website des jeweiligen Bundeslandes registrieren, wobei der Impfplan in drei Phasen nach Risikogruppen und Vorerkrankungen aufgeteilt ist. Ab Mai 2021 (Phase 3) sollen alle Menschen aus der allgemeinen Bevölkerung, die sich impfen lassen wollen, die Möglichkeit haben, dies zu tun. Hierbei stellt sich für uns die Frage, ob sich die Impfquote durch eine Opt-Out-Nudging-Strategie beeinflussen ließe. Dies würde also bedeuten, dass sich eine jeweilige Person ausdrücklich aktiv der Impfung widerspricht, wenn sie keine haben möchte.

Nach unseren Überlegungen würde diese Widerspruchsmöglichkeit zu einer deutlich höheren Impfquote führen. Der sogenannte Default (auch Standard) stellt hier die Ausgangssituation dar, bei der jeder vorab automatisch für die Impfung angemeldet ist. Dies hat einen großen Einfluss auf die Entscheidung der Personen. Doch eine solche Opt-Out-Strategie birgt auch einige Risiken in der Gesellschaft. Die Bevölkerung könnte sich dadurch in ihrer Entscheidungsfreiheit angegriffen fühlen und dies mit einem modernen Impfzwang assoziieren. Allerdings würde man damit nur die Entscheidungsarchitektur anders framen. Die Entscheidung könnte durch eine andere Darstellung der Ausgangssituation in eine andere Richtung gelenkt werden, ohne dass jemandem die Meinungs- oder Entscheidungsfreiheit genommen wird. Wenn man die Opt-Out-Strategie im aktuellen Impfgeschehen zu einem Standard machen würde, könnten viele Menschen die Impfung auch als „richtig“ empfinden.

Eine etwas andere Thematik, aber die gleiche Strategie sehen wir im System der postmortalen Organspenden. In Österreich muss eine Eintragung in das Widerspruchsregister erfolgen, wenn eine Person eine Organspende explizit ablehnen möchte (Opt-Out). Ist keine ausdrückliche Eintragung erfolgt, ist sie automatisch mit ihrem Tod Organspender. Der prozentuelle Anteil liegt bei 99,5%. Anders sieht es in Deutschland aus. In Deutschland muss eine Person sich explizit für eine Organspende eintragen lassen. Willigt diese nicht aktiv ein, ist sie kein Organspender (Opt-In). Im Vergleich zu Österreich liegt hiermit Deutschland bei einem Anteil von lediglich 26%. Folglich sehen wir also den Default-Effekt und erkennen, dass eine Opt-Out-Strategie sehr wohl einen Einfluss auf unser Entscheidungsverhalten haben kann (Truscheit 2018).

Literaturverzeichnis

Benartzi, Shlomo; Beshears, John; Milkman, Katherine L.; Sunstein, Cass R.; Thaler, Richard H.; Shankar, Maya et al. (2017): Should Governments Invest More in Nudging? In: Psychological science 28 (8), S. 1041–1055. DOI: 10.1177/0956797617702501.

Chapman, Gretchen B.; Li, Meng; Colby, Helen; Yoon, Haewon (2010): Opting in vs opting out of influenza vaccination. In: JAMA 304 (1), S. 43–44. DOI: 10.1001/jama.2010.892.

Truscheit, Karin (2018): „Für ein Nein reicht ein Zettel im Geldbeutel“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 08.09.2018. Online verfügbar unter https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/gesundheit/organspende-in-oesterreich-fuer-ein-nein-reicht-ein-zettel-im-geldbeutel-15776549.html, zuletzt geprüft am 21.04.2021.

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