Gutes Herz sucht Niere

Im europäischen Raum gibt es große Unterschiede bei den rechtlichen Voraussetzungen zur Organspende.

Sommersemester 2021: Olivier Bennemann und Elian Tenschert

Organspenden sind, genauso wie die Blutspende, ein effektives Mittel, ohne negative Auswirkungen für den Spender (in der Regel finden Organspenden post-mortem statt), um den gesellschaftlichen Nutzen zu maximieren. Im europäischen Raum gibt es jedoch große Unterschiede hinsichtlich der rechtlichen Voraussetzungen zur Organspende. Diese Unterschiede werden deutlich, sobald man Statistiken zu Organspenden in verschiedenen europäischen Ländern betrachtet (siehe Abb. 1&2). Angesichts des immensen positiven Nutzens einer Organspende für den Empfänger und die Gesellschaft stellen wir uns daher die Frage: sollte es eine einheitliche Widerspruchslösung (opt-out) für Organspenden in der Europäischen Union geben? Bei Organspenden gibt es grundsätzlich zwei verschiedene Vorgehensweisen. Einerseits die sogenannte postmortale Organspende, bei der Organe von hirntoten Menschen, sprich nach dem Tod, entnommen werden (Gessat, 2010). Andererseits können Organe, wie Teile des Leberlappens oder Nieren, von lebenden Spendern entnommen werden (Breyer & Kliemt, 2007). Wir begrenzen uns jedoch bewusst auf die postmortale Organspende und die damit verbundenen rechtlichen Unterschiede und versuchen die positiven Auswirkungen einer Regelung nach dem österreichischen Modell zu verdeutlichen.

Für die postmortale Organspende gibt es zwei wesentliche Ansätze: die Zustimmungslösung und die Widerspruchslösung. In Ländern wie Deutschland, Dänemark, Rumänien, den Niederlanden oder Litauen gilt die Zustimmungsregelung. Dies bedeutet, es wird eine aktive Zustimmung des potenziellen Spenders benötigt, um post-mortem Organspender zu werden, sprich „Opt-in“. (Birnbacher, 2018). In vielen europäischen Staaten, darunter Österreich, Spanien und Belgien, gilt die Widerspruchsregelung, auch „Opt-out“ genannt (APA, 2017). Dabei wird grundsätzlich jeder Bürger in das Organspenderegister eingetragen und kann nur durch aktive Ablehnung ausgetragen werden (Birnbacher, 2018). Hierfür reicht in Österreich bereits ein Zettel im Portemonnaie aus (Truscheit, 2018). Die Möglichkeit zur Austragung haben in Österreich im Jahr 2016 nur knapp über 2.000 Menschen in Anspruch genommen.

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Abbildung 1: postmortale Organspender in Europa pro Million Einwohner 2014

Bei Betrachtung der Grafiken wird ersichtlich, dass der prozentuale Anteil an Organspendern, im Allgemeinen, in Ländern mit einer Widerspruchslösung (Österreich, Spanien, Belgien etc.) deutlich höher ist als der Anteil in Ländern mit Zustimmungslösung (Deutschland, Niederlande etc.).

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Abbildung 2: Postmortale Organspender pro Million Einwohner für ausgewählte Länder 2016

Um zu verstehen, weshalb es so gravierende Unterschiede bei der postmortalen Organspendequote zwischen Ländern mit opt-in und opt-out Strategien gibt, nutzen wir den status-quo bias, denn die niedrige Spenderquote in Ländern wie Deutschland ist unter anderem darauf zurückführbar, dass nur wenige Bürger einen Organspendeausweis besitzen. Der status-quo bias besagt, dass Menschen lieber in dem Zustand verbleiben, in dem sie sich bereits befinden oder für den sie sich zuvor entschieden haben (Samuelson & Zeckhauser, 1988). Vereinfacht dargestellt: wer ein Auto hat wird weiterhin sein Auto nutzen, auch wenn es die Möglichkeit gibt die öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen und dies vorteilhafter gegenüber der Nutzung des Autos wäre. Für die Organspende bedeutet dies also konkret: wer als Organspender eingetragen ist, wird sich wahrscheinlich eher nichtmehr austragen lassen. Bei einer einheitlichen opt-out Strategie wären somit alle automatisch Organspender und ein Großteil der Bürger würde dies auch bleiben. Bei der opt-in Strategie müssen sich die Bürger erst mit der Thematik auseinandersetzen und selbstständig dafür sorgen alle notwendigen Vorkehrungen zu treffen, um Organspender zu sein. Dadurch, dass sich viele Bürger in opt-in Ländern nicht rechtzeitig mit der Thematik befassen, können dringend benötigte Organe nicht transplantiert werden. 2017 befanden sich über 10.000 Menschen in Deutschland auf Organspendewartelisten. Postmortalen Organspenden gab es bedauerlicherweise lediglich 2.594 in diesem Jahr (Birnbacher, 2018). Durch die opt-out Strategie hätten zweifelsohne mehr Menschen eine dringend notwendige Transplantation erhalten können.

Gemäß der Nutzenmaximierung nach Becker bringt es einen positiven gesamtgesellschaftlichen Nutzen mit sich, wenn möglichst viele Organspender zur Verfügung stehen. Außerdem gibt es das weit bekannte Trittbrettfahrerproblem laut Greiner auch im Zusammenhang mit Organspenden. Dass bedeutet, Menschen profitieren in Ländern mit der Zustimmungsregelung von Organspenden und nehmen diese Spenden bei Krankheiten verständlicherweise gerne an. Jedoch ist trotz dem
erheblichen Nutzen, nur ein geringer Anteil der Bevölkerung, in Ländern mit Zustimmungsregelungen, im Besitz eines Organspendeausweises. Aus ökonomischer Sicht könnte man vermuten, dass es keinen Anreiz gibt einen Organspendeausweis zu haben, da auch Menschen ohne Organspendeausweis Spenden von anderen erhalten. Somit bietet diese Regelung Anreize zum Trittbrettfahren (Greiner, 1998). Daher könnte es sinnvoll sein, eine Reform auf europäischer Ebene in Gang zu bringen, die für alle Mitgliedsstaaten eine Widerspruchsregelung (presumed consent) vorschreibt, da es eine Korrelation zwischen der Spenderrate und der Gesetzgebung zu geben scheint, und der gesamtgesellschaftliche Nutzen positiv wäre. Durch postmortale Organspenden können Leben gerettet und wieder lebenswert gemacht werden. Eine rechtliche Regelung wie es sie in Österreich gibt, bei der alle Bürger grundsätzlich Organspender sind und ihnen der Widerspruch sehr leicht gemacht wird (daher: es gibt keinen Spendezwang), könnte europaweit jährlich hunderte Menschen retten, wenn sie auch in Ländern wie Deutschland oder den Niederlanden Anwendung finden würde. Deshalb sehen wir hier konkreten Handlungsbedarf. Selbstverständlich müssten hierzu auch Ethikräte und die Verfassungsorgane der Justiz miteinbezogen werden. Anstatt sich mit dem Durchmesser von Pizzas zu beschäftigen (Clamann, 2017) wünschen wir uns von der Europäischen Kommission mehr Aufmerksamkeit für dieses heikle Thema, um aktiv Leben zu retten.

Quellen

APA (2017), DerStandard: Zahl der Organspenden in Österreich nimmt zu. Verfügbar unter: https://www.derstandard.de/story/2000059630631/mehr-organspender-in-oesterreich (Abgerufen am 05.05.2021).

Birnbacher, D. (2018) Der Mangel an Spenderorganen und das Selbstbestimmungsrecht. Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik 23.1 (S. 125-148).

Breyer, F. & Kliemt, H. (2007) Der Mangel an Spenderorganen – Ursachen und Lösungsmöglichkeiten aus ökonomischer Sicht. Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 227.5/6 (S. 466-484).

Clamnn, A. (2017) Morgenpost.de: Gurke, Pizza, Tageslicht – die sechs schrägsten EU-Regeln Verfügbar unter: https://www.morgenpost.de/vermischtes/article210040297/Gurke-Pizza-Tageslicht-die-sechs-schraegsten-EU-Regeln.html (Abgerufen am 04.05.2021)

Gessat, M. (2010) Organspenden: Deutschland hat Nachholbedarf. Verfügbar unter: https://www.dw.com/de/organspenden-deutschland-hat-nachholbedarf/a-5640962 (Abgerufen am 05.05.2021).

Greiner, W. (1998) Organverteilungssysteme im Transplantationswesen aus ökonomischer Sicht. Ethik in der Medizin 10.2 (S. 64-73) Berlin: Springer.

Samuelson, W., & Zeckhauser, R. J. (1988). Status quo bias in decision making. Journal of Risk and Uncertainty (S. 7-59).

Thesen, C. (2019) Organspende in Deutschland 2. Verfügbar unter: https://gesundheitskompass-mittelhessen.de/677-organspende-in-deutschland-2/ (Abgerufen am 04.05.2021).

Truscheit, K. (2018) Frankfurter Allgemeine Zeitung: Organspende in Österreich. Verfügbar unter: https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/gesundheit/organspende-in-oesterreich-fuer-ein-nein-reicht-ein-zettel-im-geldbeutel-15776549.html?printPagedArticle=true#pageIndex_3 (Abgerufen am 04.05.2021)

Abbildung 1: https://www.bdae.com/journal/1084-spanier-spenden-am-haeufigsten-ihre-organe

Abbildung 2: https://gesundheitskompass-mittelhessen.de/677-organspende-in-deutschland-2/

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