Gefangen in den Schuhen der Eltern

Über die Vererbbarkeit sozialer Ungleichheit im Kontext der Schulbildung.

Wintersemester 2022/23: Hannah Kapfinger, Charlotte Müller

 

Schon lange ist bekannt, wie wichtig Bildung ist, um soziale Ungleichheit zu verringern. Bemühungen, diese für jedermann zugänglich zu machen, erkennt man unter anderem an sozialstaatlichen Systemen. Im Zuge dessen verlangen Schulen und Universitäten keine bis geringe Schul- oder Studiengebühren, da die anfallenden Kosten vom Staat mitfinanziert werden. Trotz dieser Ansätze steigt die soziale Ungleichheit in Deutschland seit Jahrzehnten an (Nier, 2018). Als Messkriterium für gesellschaftliches Ungleichgewicht wird dabei das Einkommen herangezogen. Es werden also Daten der arbeitenden Erwachsenenschicht erfasst – offen bleibt die Frage, welche Position Kinder und Jugendliche einnehmen. Hängt der jeweilige Bildungserfolg mit dem sozialen Status zusammen? Welche Türen werden geöffnet, welche bleiben verschlossen? Welche weiteren Folgen ergeben sich daraus?

Um eine Antwort auf diese Fragen zu finden, müssen zahlreiche Faktoren berücksichtigt werden. Denn soziale Ungleichheit auf der Individualebene und einhergehende Bildungsergebnisse basieren auf einem Zusammenspiel vieler Kriterien.

Jeder wächst in unterschiedlichen Umgebungen und mit unterschiedlichen Rahmenbedingungen auf. Vor diesem Hintergrund sind insbesondere jene Umweltfaktoren herauszustreichen, auf Grundlage derer die differenzierte schulische Entwicklung von Kindern gründet. Neben familiären Komponenten spielen dabei die institutionellen Voraussetzungen eine wesentliche Rolle (Isengard et al., 2019). Klassenunterschiede nehmen bereits im Grundschulalter zu und stabilisieren sich anschließend, ohne eine nachfolgende Reduktion dieser Diskrepanzen (Sacker et al., 2002). Studienergebnisse von Isengard und KollegInnen (2019) zeigen, dass Zusammenhänge der materiellen Deprivation und der Zusammensetzung der Schule deutlich das elterliche Engagement und ihre Ambitionen dominieren. Es entstehen also Nachteile für Kinder aus ärmeren Schichten, die sich nicht allein durch den Einsatz der Eltern eliminieren lassen.

Neben externen Faktoren wie diesen gibt es berechtigte Gründe für die Annahme, dass die Genetik einen tragenden Einfluss auf den jeweiligen schulischen Erfolg ausübt (Smith-Woolley et al., 2018). Dabei zeigt sich jedoch, dass ein einfaches Aufsummieren der Faktoren – Umwelt und Genetik – eine zu leichte Rechnung wäre. Auch hier müssen weitere Komponenten, wie Nationalität, Geschlecht und Geburtskohorte berücksichtigt werden, um konkrete Einschätzungen treffen zu können (Branigan et al., 2013).

Das Forschungsfeld rund um den Zusammenhang von sozialem Status und Bildungserfolg ist breit gefächert und zugleich mannigfaltig. Klar ist, dass es eine Mitberücksichtigung zahlreicher Faktoren bedarf, um mögliche Kausalschlüsse ziehen zu können. Gleichzeitig stellt sich die Frage, welche weiteren Folgen soziale Ungleichheit und korrelierende Schulerfolge für die jeweiligen Kinder und Jugendlichen haben.

Studien, die sich mit dieser Thematik befassen, zeigen, dass neben der Bildungschancen auch die psychosoziale Anpassung in wesentlichem Zusammenhang mit dem sozioökonomischen Status steht (Sacker et al., 2002). Kinder aus ärmeren Haushalten haben demnach ein stark erhöhtes Risiko für psychische Störungen (Murali & Oyebode, 2004). Auch viele physische Belastungen und medizinische Krankheitsbilder scheinen sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen häufiger zu betreffen (Lamper et al., 2015). Zudem resultieren finanzielle Nachteile, welche nicht einfach an die betroffenen Kinder weitergegeben werden, sondern über die Generationen hinweg kumulieren und dazu führen, dass das gesellschaftliche Ungleichgewicht weiter steigt (Isengard et al., 2019).

Neben dem jeweiligen Bildungsweg und späterem Berufserfolg schwingt soziale Ungleichheit in fast jeder Lebenslage mit, beginnend im Kindesalter. Es scheint wie ein Teufelskreis zu sein, der nur unter besonderen Bedingungen durchbrochen werden kann. Soziale Schichten werden hinsichtlich finanzieller und physischer sowie psychischer Gesundheitsfaktoren vererbt und haben tiefgreifende Auswirkungen. Leidtragende sind dabei Kinder und Jugendliche. Eine Verbesserung des sozioökonomischen Status der Eltern und ein höheres Bildungsniveaus der betroffenen Kinder können erste Schritte sein, um Betroffenen einen Aufbruch zu neuen Ufern zu ermöglichen. Es wird ein maßgeblicher Beitrag zu gesundheitlichen Faktoren geleistet und eine Verbesserung der kognitiven Funktionen resultiert (Murali & Oyebode, 2004).

 

Literatur:
Branigan, A. R., McCallum, K. J. & Freese, J. (2013). Variation in the Heritability of Educational Attainment: An International Meta-Analysis. Social Forces, 92(1), 109–140. https://doi.org/10.1093/sf/sot076

Isengard, B., König, R. & Szydlik, M. (2019). Wer hat, dem wird gegeben? Zur intergenerationalen Vererbung von Ungleichheit in Familiennetzwerken. Komplexe Dynamiken globaler und lokaler Entwicklungen. Verhandlungen des 39. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Göttingen 2018. https://www.zora.uzh.ch/id/eprint/176861/

Lampert, T., Ziese, T., Saß, A. C., & Häfelinger, M. (2005). Armut, soziale Ungleichheit und Gesundheit: Expertise des Robert-Koch-Instituts zum 2. Armuts-und Reichtumsbericht der Bundesregierung.

Murali, V. & Oyebode, F. (2004). Poverty, social inequality and mental health. Advances in Psychiatric Treatment, 10(3), 216–224. https://doi.org/10.1192/apt.10.3.216

Nier, H. (6. November 2018). Soziale Ungleichheit wächst. Statista. https://de.statista.com/infografik/15991/soziale-ungleichheit-in-deutschland/

Sacker, A., Schoon, I. & Bartley, M. (2002). Social inequality in educational achievement and psychosocial adjustment throughout childhood: magnitude and mechanisms. Social science & medicine (1982), 55(5), 863–880. https://doi.org/10.1016/s0277-9536(01)00228-3

Smith-Woolley, E., Ayorech, Z., Dale, P. S., von Stumm, S., & Plomin, R. (2018). The genetics of university success. Scientific Reports, 8(1), 1-9.

 

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