Erholung wo andere ums Überleben kämpfen: Wie uns das Leid anderer hilft

Per Backbacking quer durchs Land. Lügen die die Urlaubsfotos oder sind Menschen wirklich glücklich, wenn sie vom Leid anderer Menschen umgeben sind?

Wintersemester 2021/22: Emanuel Bazzanella

Spricht man mit Rucksacktouristen, aber auch mit All-Inclusive Touristen scheinen beide Gruppen glücklich über ihren Urlaub zu sein. Bei genauerer Überlegung erscheint das nicht trivial. Beide Menschen kommen aus einem gut entwickelten Land. Smartphone, Auto, Kino und regelmäßige Restaurantbesuche werden nicht als etwas Besonderes empfunden, sondern gehören einfach dazu. Der Luxusurlaub entspricht genau diesem Bild und kann absolut nachvollzogen werden. Wie entspannen Menschen, welche in ihrem Urlaub von Armut und Hoffnungslosigkeit umgeben sind? Können diese Menschen wirklich behaupten, dass sie glücklich sind?

Die ursprüngliche Prospect Theory besagt, dass selbst der marginale Verlust eines Besitzverhältnisses als sehr schmerzhaft empfunden wird (Tversky and Kahneman, 1997). Dabei stellt sie auf einen bestimmten konstanten Referenzwert ab. Dieser durch die „Loss Aversion“ induzierte Status quo, liegt beim Backpacker eindeutig in seiner jetzigen gesellschaftlichen Stellung mit all seinen Besitztümern. Im Gegensatz zum Luxusurlauber weicht er also „negativ“ von seinem derzeitigen Status quo ab. Aufgrund seiner Wertfunktion sind bereits marginale Abweichungen sehr schmerzhaft führ ihn. Aufgrund der ursprünglichen Prospect-Theory müsste der Urlauber das Reisebüro verklagen, stattdessen wird er aber eine fünf Sterne Bewertung hinterlassen.

In der neuen Prospect Theorie wird davon ausgegangen, dass sich der Referenzwert aufgrund von extrinsischen aber auch aufgrund von intrinsischen Werten beeinflussen lassen. Explizit angeführt werden Sehnsüchte, Erwartungen, Normen und soziale Vergleiche (Tversky and Kahneman, 1991). Diese Determinanten des Referenzpunktes werden nicht genauer diskutiert sind aber im Einklang mit den Arbeiten von (van de Hiub et al., 1985). Es spielt auch keine Rolle, dass das verlorene Gut nicht von besonderem Wert ist. Selbst ein gewöhnlicher Becher, der in den Besitz eines Menschen gelangt, verschiebt dessen Referenzwert von Besitzlos zu Besitz (Tversky and Kahneman, 1991).

Das bescheidenere Leben vor Ort hat ihn also dazu bewogen seine eigenen Werte zu überdenken und daher hat sich ein neuer Status quo gebildet. Technisch gesprochen: „Sein Referenzwert hat sich auf die linke Seite der Abszissenachse verschoben. Der „Outcome“ bleibt aber gleich, was dazu führen kann, dass er sein Auto als Fortbewegungsmittel zuhause mehr schätzt (vgl. Abb.: 1). Ein neueres Auto oder gar ein zweites Auto hätte aufgrund der konkaven Gewinnfunktion und dem größeren Abstand zum Referenzwert kaum mehr Bedeutung für den Urlauber“.

Natürlich ist ein neueres Auto wertvoller als das Ältere. Da er vor Ort aber kein Fortbewegungsmittel hat, würde er sich mit einem Auto sehr zufriedengeben. Ein neueres Auto, das einfach nur schöner ist, wäre nur von minimalem weiterem Nutzen, obwohl der monetäre Wert, in absoluten Zahlen, höher zu bewerten wäre. Der Outcome ist daher immer in Relation zum Referenzwert zu betrachten (Tversky and Kahneman, 1991).

Blogbeitrag_Bazanella

Abbildung 1: Quelle: https://www.marketing91.com/prospect-theory/

Wie geht es unserem Luxus-Urlauber. Auch sein Referenzpunkt hat sich verschoben (vgl. Abb.: 1). Wir finden ihn weiter rechts auf der Abszissenachse. Er erwartet sich die perfekten Wochen. Nichts darf schief gehen. Ein nicht gelungener Cocktail könnte Anlass dafür sein, dass die fünf Sterne Bewertung bröckelt. Der Status quo ist auf einem sehr viel höherem Niveau. Aber auch für ihn gilt die Wertefunktion. Eine marginale Abweichung von diesem Wert führt dazu, dass er unglücklich über seine Urlaubswahl ist, selbst wenn das vor einer Woche noch kein Problem gewesen wäre. Analog zum Beispiel vorher, macht ihm der Dritte Cocktail kaum glücklicher, da auch hier der relative Abstand zum Referenzwert entscheidend ist. Es funktioniert daher in beide Richtungen.

Die Prospect Theorie geht aber noch einen Schritt weiter. Befinden wir uns in einer Situation, in der wir Verlusten ausgesetzt sind, tendieren wird dazu große Wahrscheinlichkeiten zu unterschätzen und kleine Wahrscheinlichkeiten zu überschätzen (Tversky and Kahneman, 1997). Das bedeutet: „Verschiebt sich unser Referenzpunkt weit nach rechts gelangen wir in die Verlustzone und wir werden sehr viel Risiko auf uns nehmen, um potenzielle Gewinne zu erreichen.

Es stellt sich daher die Frage: „In welcher Situation befinden sich wohl die Einwohner nach unserem Urlaub?“

Referenzen

Tversky, A. and Kahneman, D. (1991) ‘Loss Aversion in Riskless Choice: A Reference-Dependent Model’, The Quarterly Journal of Economics, vol. 106, no. 4, pp. 1039–1061.

Tversky, A. and Kahneman, D. (1997) ‘Prsopect Theory: An Analysis of Decision under Risk’, Econometrica, vol. 47, no. 2.

van de Hiub, S., Arie, K. and van de Sara, G. (1985) ‘The Relativity of Utility: Evidence from Panel Data’, The Review of Economics and Statistics, vol. 67, no. 2, pp. 179–187.

Abbildung 1 Quelle: https://www.marketing91.com/prospect-theory/

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