Empfindet man Verluste stärker als Gewinne?

Dieser Blogeintrag beschäftigt sich mit der Frage warum sich viele Personen in ihren Investments nicht rational verhalten (e.g., Verlustaktien behalten, Gewinne realisieren; Casinobesuch). In den folgenden Zeilen werden diese empirisch festgestellten Phänomene versucht zu erklären.

 Sommersemester 2021: Thomas Klimmer und Fabian Igelsböck

Stellen Sie sich vor, falls Sie diese Erfahrung in der Realität noch nicht gemacht habe, dass Sie sich Aktien von drei verschiedenen Firmen kaufen. Nun warten Sie ein halbes Jahr und verfolgen die Kursentwicklung dieser Aktien mit Spannung. Es zeigt sich, dass sich die erste der drei Aktien zuerst sehr gut entwickelt, dann leicht zurückgeht und am Ende mit einer leicht positiven Bilanz wieder in etwa bei dem Kurs ist bei dem Sie gekauft haben. Die zweite Aktie wächst kontinuierlich vor sich hin und endet mit einem kleinen Gewinn der in etwa in dem Bereich der ersten Aktie liegt. Die dritte Aktie jedoch stürzt ab und nach einem halben Jahr ist der Kurs der Aktie etwa um 1/3 geringer als zu dem Kaufzeitpunkt.

Nun können Sie sich selbst fragen, welche dieser Aktien Sie behalten, verkaufen oder in welche Sie noch mehr investieren würden. Die Empirie zeigt, dass ein Großteil der Personen mit den oben beschriebenen Aktienverläufen die erste Aktie behalten würde, die zweite (obwohl die Gewinne in etwa gleich hoch sind) verkaufen würde und die dritte Aktie trotz den hohen Verlusten behalten würde. Dieser Effekt wurde erstmal von Shefrin und Statman (1985) empirisch gezeigt und als Dispositionseffekt bezeichnet (Thaler, 2017).

Ein ähnliches Verhaltensmuster lässt sich beim Casinobesuch feststellen: Wer schon einmal im Casino war, wird spätestens dort bemerkt haben, dass es wesentlich mehr schmerzt beispielsweise 100 € zu verlieren als es Freude macht 100 € zu gewinnen. Kahnemann und Tversky (1979) haben im Zuge ihrer Forschung zur Prospect Theory festgestellt, dass der subjektive Nutzen in steigender Gewinnhöhe flacher wird. Am Beispiel Casino zeigt sich wieder, dass Menschen eher aufhören zu spielen, wenn sie schon einen Gewinn haben, als wenn sie noch im Verlustbereich sind (Dennis, 2020).

Aus diesen Gedankenexperimenten lässt sich die Frage ableiten, ob dieses Verhalten (Verlustaktien behalten, Gewinne realisieren; Casinobesuch) rational ist und warum sich viele Personen so ähnlich verhalten? In den folgenden Zeilen werden diese empirisch festgestellten Phänomene versucht zu erklären.

Kauf von Lottotickets und Versicherungen – ein irrationales Verhalten?

Ein anderes Phänomen, welches offensichtlich irrational ist und erstmal durch die Prospect Theory erklärt werden konnte, ist folgendes: Viele Personen haben Versicherungen abgeschlossen und kaufen sich gleichzeitig Lottotickets. Dieses Verhalten würde man aus Sicht des homo oeconomicus als irrational einstufen, da man mit dem Kauf von Versicherungen einerseits Geld ausgibt, um (finanzielle) Sicherheit zu erlangen und andererseits mit dem Kauf von Lottotickets Geld ausgibt, um sich auf ein hohes (finanzielles) Risiko einzulassen.

Zur Erklärung dieses Verhaltens liefert die Prospect Theory drei wesentliche Erkenntnisse:

Erstens gewichtet man, wie bereits beschrieben, Verluste überproportional höher als (gleich hohe) Gewinne. Das würde ein Individuum verhältnismäßig schnell dazu bewegen eine Versicherung zu kaufen um sich gegen Verluste abzusichern.
Der zweite Punkt beschreibt ein Phänomen welches, nachdem man einmal davon gehört hat, viele von uns an dem eigenen Verhalten wiedererkennen werden. Da Individuen in der Regel geringe Wahrscheinlichkeiten übergewichten, fällt es leichter, ein Lottoticket mit sehr geringen Aussichten auf einen Gewinn zu kaufen. Um einen solchen Sachverhalt anschaulicher darstellen zu können hilft es, sich Situationen bildlich darzustellen. Angenommen man fährt mit dem Auto zu einer Trafik um sich dort ein Lottoticket zu kaufen, was würde Sie als wahrscheinlicher einstufen: 1. Auf dem Weg mit dem Auto zur Trafik einen Unfall zu haben oder 2. Einen Lottosechser zu erspielen? Wie Sie sich wahrscheinlich denken können, ist es um ein Vielfaches wahrscheinlicher auf dem Weg zur Trafik einen Autounfall zu haben als einen Lottosechser zu gewinnen.
(Kahneman & Tversky, 1979).

Derartige Entscheidungen werden stark davon beeinflusst, dass man Situation nicht als gesamtes betrachtet. Beim Lottospielen hört man zwar in den Medien immer wieder von den GewinnerInnen, jedoch denkt man nie an all den anderen SpielerInnen, die nichts gewonnen haben.

Dieses Problem bringt uns zu dem dritten Punkt, welcher an sich nicht direkt Teil der Prospect Theory ist, aber von Kahneman und Tversky (1981) als Grund für viele falsche bzw. irrationale Entscheidungen genannt werden kann: Viele Personen treffen Entscheidungen ohne die gesamte Situation zu betrachten. Würde ein Individuum seine Versicherungen mit den Käufen der Lottotickets aufwiegen, würde man zu einer „besseren“ Lösung kommen, wenn man beispielsweise Versicherungen kündigt und dafür keine Lottotickets mehr kauft. Diese Person wäre dann dem gleichen Risiko ausgesetzt und würde sich dabei Geld sparen. (Kahneman & Tversky, 1981)

Neue Erwartungstheorie


Abbildung 1: Risikobereitschaft (Kahneman & Tversky, 2000)


Wie man in Abbildung 1 deutlich erkennen kann, ist die Risikobereitschaft im Gewinn- beziehungsweise im Verlustbereich nicht symmetrisch. Ob man einen Gewinn oder Verlust einfährt, wird durch den Referenzpunkt (Nullpunkt) festgelegt. Oberhalb des Referenzpunktes sind die Gewinne und unterhalb des Referenzpunktes die Verluste. Der Verlauf der Kurve zeigt, dass höhere Gewinne beziehungsweise höhere Verluste eine geringere Empfindlichkeit aufweisen. Man sieht die Gewinne und Verluste immer im Verhältnis des aktuellen Vermögens. Daher kann man sagen, je kleiner die Vermögensveränderung ist, desto schwerer ist ihr Gewicht (Kahnemann, 2014).

Fazit

Zusammenfassend zeigen sich folgende fünf Punkte als wesentliche Erkenntnisse der Prospect Theory nach Kahnemann und Tversky (1979):
• Man verwendet Referenzpunkte von denen aus Gewinnen und Verluste beurteilt werden (Zeitpunkt des Aktienkaufs)
• Im Gewinnbereich ist man risikoscheu (positive/negative Entwicklung von Aktienkursen und ob man diese verkauft oder behält)
• Im Verlustbereich ist man risikofreudig (positive/negative Entwicklung von Aktienkursen und ob man diese verkauft oder behält)
• Verluste wiegen schwerer als gleich hohe Gewinne (Kauf von Versicherungen)
• Kleine Wahrscheinlichkeiten werden oft übergewichtet (Lottoticket)

Literaturverzeichnis

Dennis, L. (2020). Forschung und Wissen. Von https://www.forschung-und-wissen.de/nachrichten/psychologie/verlustaversion-warum-empfindet-man-verluste-staerker-als-gewinne-13373689 abgerufen
Kahneman, D., & Tversky, A. (1979). Prospect Theory: An Analysis of Decision under Risk. Econometrica.
Kahneman, D., & Tversky, A. (1981). The framing of decisions and the psychology of choice. Science.
Kahneman, D., & Tversky, A. (2000). Choices, Values, and Frames. Cambridge University Press.
Kahnemann, D. (2014). Schnelles Denken, langsames Denken. In Kahneman.
Thaler, R. H. (2017). Integrating Economics with Psychology.

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