Witiko

H31, S. 50a


lebt aber in der gegenwärtigen Zeit in Baiern, woher ich auch eben komme."

"Nun, Witiko, wenn du in dem Lande bleibst," sagte der Scharlachreiter, "und es sich öfter fügt, was ja sein kann, daß wir uns begegnen, so wirst du ja Freundschaft mit uns halten, und du wirst unser Leben nicht so sehr verschieden von dem deinigen erkennen, daß du es nicht manches Mal ein Zeitchen teilen solltest."

"Es kann geschehen, oder es kann auch nicht geschehen," antwortete Witiko, "ich habe jezt andere Dinge vor mir."

"Der junge Reiter muß eine lange Zeit in dem Lande sein, um sich an unsere Art zu gewöhnen," sagte Odolen.
Randnotiz: muß erst eine Zeit - - - -
"Vielleicht gewöhne ich mich gar nicht daran," entgegnete Witiko.

"Dazu bist du noch zu jung," erwiederte Odolen.

"Ihr seid ja auch alle jung," entgegnete Witiko, "und könnt euch einmal an meine Art gewöhnen."

"Das geht nicht," rief Odolen, "einer schikt sich leichter in alle als alle in einen."

"Das müßtest du dir zuerst abgewöhnen," sagte der Scharlachreiter, "daß du immer im Schritte reitest."

"Ich reite nicht immer im Schritte," antwortete Witiko, "sondern nur wenn ich reise, um mein Pferd tüchtig zu erhalten."

"Wir thun es nicht einmal, wenn wir reisen," sagte Odolen.

"Dann habt ihr Pferde zum Wechsel, ich habe sie nicht," entgegnete Witiko.

"Der Mann da kann mit uns nicht zusammenstimmen," rief der Scharlachreiter [geg], indem er sich auf seinem Pferde umwendete, gegen seine Begleiter zurük, "er reist im Schritte und wir nicht, er schont sein Pferd, und wir verderben die unsern."

"Übrigens," sagte er, indem er sich wieder vorwärts wendete, zu Witiko, "wird unser Weg, wenn wir auch deine Art zu reiten annähmen, nicht mehr lange der nehmliche sein, wenn es wahr ist, was ich mir denke, daß du gerade gegen Mitternacht reitest."

"Ich reite gerade gegen Mitternacht," sagte Witiko.1

"Dann trennen wir uns bei jener Eiche," entgegnete der Scharlachreiter, "siehst du den lichten2 Streifen, der von dem Baume schräg gegen Morgen geht, dahin, wo die schönen Lande Mähren liegen, das ist der Weg, den wir reiten werden. Der deinige geht gerade vorwärts."

"Er geht gerade vorwärts," sagte Witiko.
Randnotiz: Dann trennen wir uns; denn dort reite ich nicht hin, sagte W.

Sie legten die Streke bis zu dem Baume in kurzer Zeit zurük. Dort hielten sie. Witiko sah den Scharlachreiter an, und sagte: "Da ich dir nun gesagt habe, wer ich bin, so sage nun auch du, wer du bist, da dir diese gehorchen, und da du so vieles von den Herzogen und dem Lande aus der lezten Zeit weißt."

"Ich werde es dir sagen," entgegnete der Scharlachreiter, "ich bin der Neffe jenes Bretislaw, der wie ein Stern vom Himmel in dem Walde von Bürgliz auf die Erde gesunken ist, ich bin der Neffe des jezigen Herzogs Sobeslaw, der das Land mit Ernst und Weisheit beruhigt, und ich bin der Sohn des großherzigen hohen Wladislaw, des größten der drei Brüder, der zwischen den beiden andern in diesem Lande geherrscht hat. Mein Name ist auch Wladislaw."

"Wenn du das alles bist," sagte Witiko, "so .."

"Nun Witiko, so?" fragte der Scharlachreiter.

"So solltest du Ernsteres und Besseres thun, als du thust," entgegnete Witiko, "es kömmt eine strenge Zeit, und das Wirrsal kann sich aus Deutschland in diese Länder ziehen."

"Du reitest zum Herzoge, Witiko," sagte der Scharlachreiter.

"Ich reite zum Herzoge," entgegnete Witiko.

"Nun, wenn du auch die Dinge ernster fasset als wir, Witiko," sagte der Scharlachreiter, "so sehen wir uns doch noch. Lebe wohl. Gott segne dich, und führe |es| aus, was du vorhast."

"Lebe auch du wohl," sagte Witiko, und sie reichten sich die Hände.

"Lebe wohl, lasse dich bald wieder sehen, lebe wohl," riefen mehrere Stimmen durcheinander und viele Männer reichten Witiko die Hand zum Abschied.

Er reichte auch die seine, und sagte: "Lebt wohl."

Sie ordneten sich, und im nächsten Augenblike flogen sie auf dem Wege schräg gegen Morgen hin, daß der Staub
(1) [auf]wirbelte.
(2) über sie empor wirbelte.
Witiko konnte lange im Grün des Landes den milchweißen Zelter sehen, auf dem der Scharlachreiter an der Spize des Zuges dahin tanzte.

Dann sezte er selber sein graues Pferd in Bewegung, und ritt mitternachtwärts dem Mittagbrote der nächsten Herberge entgegen.

1 Ende der letzten vollständigen Zeile von h31/I (obere Hälfte des Blattes), gesamter Text mit Stift vertikal gestrichen. 2 siehst du den lichten ist nur zusammen mit h31/I (obere Hälfte des Blattes) zu entziffern, da das Blatt an dieser Seite quer durchgeschnitten ist. Eine geschwungene Klammer zeigt das Kapitelende an. Der gesamte Text von h31/II (untere Hälfte des Blattes) ist mit Stift vertikal gestrichen.