Witiko

H30, S. 47a


über wird eine große Verschiedenheit bestehen," sagte der Scharlachreiter, "und es könnte leicht wieder eine üble Zeit für unser Land herein brechen."

"Aber du hast ja selber gesagt, daß für den Todesfall des Herzogs Sobeslaw die Nachfolge gesichert ist," entgegnete Witiko.

"Sie ist gesichert," antwortete der Reiter, "in so ferne viele hohe und niedere Herrn ihr Wort verpfändet haben; allein Wladislaw1 der älteste Sohn des Herzogs ist noch so jung, daß, wenn er bald auf den Fürstenstuhl käme, es ein bedenkliches Ereigniß wäre, er ist noch viel jünger als du, und ist nicht so vorsichtig und nicht so klug wie du."

"Meine Vorsicht und meine Klugheit wird von mir selber nicht gar hoch geschäzt," entgegnete Witiko.

"Du hast gute Gedanken," sagte der Scharlachreiter, "und kannst die Worte trefflich wählen, um sie darzulegen oder zu verschweigen. Als ich in deinem Alter stand, war ich weit unbesonnener und leichtfertiger."

"Daß du die Worte zu wählen weißt, sehe ich, da du erzählest," antwortete Witiko, "und mir ahnt, daß du weit klüger bist, als es scheint."

"Möchte es so sein," sagte der Reiter, "es dürften Zeiten kommen, in denen mir Klugheit sehr vonnöthen wäre.
Randnotiz: und möchte es in Zeiten sein, wo ich es brauche.
Und wie du sagst, daß es Manchem sehr angenehm wäre, auf dem böhmischen Stuhle zu sizen, so ist es lustig anzusehen, wie jeder Tropf meint, daß er ein rechter Herzog wäre. Das ist gut, so lange der Tropf keine andern Mittel hat, als die Thaten der Herzoge zu tadeln, und seine eigenen Entwürfe anzupreisen; aber es ist übel, wenn der Tropf Anhänger hat, und Unruhe erregen kann. Mancher der Lechen und Herrn dürfte bei dem Hingange Sobeslaws erklären, sein Wort sei nicht ganz frei gewesen, er habe es nicht ungehindert aussprechen können."

"Wollen wir hoffen, daß Gott den Herzog Sobeslaw noch recht lange erhalten werde", entgegnete Witiko, "und daß dann dessen Sohn Wladislaw so gereift ist, daß er mit Kraft und Einsicht die Herrschaft übernehmen, und behaupten kann."

"Möge es so sein," sagte der Scharlachreiter, "aber wie schwierig es in unserem Zeitalter bei der Vermessenheit der Prinzen und der Wildheit ¢mancher¢
Randnotiz: der ?
Lechen und Herrn ist, in Ruhe die Leitung der Lande zu übernehmen und zu führen, zeigt das traurige Ende Bretislaws, zeigt der Fall seines Nachfolgers Boriwoys, zeigt der Sturz Swatopluks, zeigen die Unruhen [gegen] bei dem Beginne der Herrschaft des hohen Wladislaw, und zeigen selbst die Vorfälle, die in den ersten Zeiten der Verwaltung Sobeslaws vorkamen. Sobeslaw hatte durch die Unglüksfälle seiner Jugend und insbesondere durch die, in welche ihn seine heftigen Gefühle stürzten, nach und nach gelernt ein Mann zu sein. Er war mäßig geworden und bändigte sein Herz, er war muthig bei Unfällen, erhielt und stärkte das Reich, er war gelassen und freundlich gegen alle und gerecht gegen jedermann, er war einfach in seinem Hause, und ¢genoß nie den Meth, in dem sich viele Vornehme berauschten.¢ Es erschien als großes Glük für die böhmischen Lande, daß drei so hohe Söhne desselben erlauchten königlichen Vaters Wratislaw mit der kurzen Unterbrechung des ungestümen Swatopluks über dieselben kärftig herrschten: Bretislaw, Wladislaw und Sobeslaw. Dennoch wurde seine Herrschaft bestritten. Der schwarze Otto ging zu dem deutschen Könige Lothar. Der römische deutsche [König] Kaiser Heinrich der Fünfte war kurz nach dem hohen Wladislaw gestorben, und die deutschen Fürsten hatten zu seinem Nachfolger den sächsischen Herzog Lothar gewählt. Dieser sagte, daß er dem schwarzen Otto helfen werde. Ich habe dir schon gesagt, daß der Herzog Sobeslaw den deutschen König Lothar vollständig besiegt hat."2

"Ich war erst acht Jahre alt, als jene Schlacht geschlagen wurde," sagte Witiko, "aber später ist mir oft von derselben erzählt worden."

"Dadurch, daß die Nachkommen Premysls in ihren Streitigkeiten um ihr Erbe so oft ihre Zuflucht zu Fremden genommen haben, hätten sie das Land bald in die Macht der Fremden gebracht," entgegnete der Scharlachreiter. "Der Kaiser ist der weltliche Herr und Vogt der christlichen Kirche so wie der Papst der geistliche Vogt über die Christenheit ist, das kann nicht bestritten werden; aber der deutsche König ist noch nicht der Kaiser, und hat noch nicht seine Rechte, so lange er noch nicht von dem Papste dazu gesalbt ist, und es steht auch nicht fest, daß jedes

1 Kurzes mit langem s überschrieben 2 Ungefähr in der Mitte des Absatzes am Rand mit Stich markiert und mit der Bemerkung versehen: |gut|