Witiko

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Witiko den Klöppel des Thores erschallen. Da öffnete sich das kleine Pförtchen neben dem Thore, und der Thorwart trat heraus. Er fragte um den Namen des Reiters. Witiko nannte ihn. Darauf ging der Thorwart wieder hinein, und es wurde ein Flügel des Thores geöffnet. Die Reiter ritten in den Hof. Dort stiegen sie von den Pferden, und es kam ein Mann herzu, welcher sagte, er diene dem Marschalke des durchlauchtigen Markgrafen, und werde die Pferde besorgen. Witiko und Raimund brachten mit diesem Manne die Pferde in einen Stall, und gaben ihnen die erste Pflege. Dann führte sie der Mann in ein Wartegemach, und ging fort. Nach einer Zeit kam ein anderer Mann, der sagte, daß ihm der von den Reitern, welcher Witiko heiße, folgen solle. Witiko befahl dem Knechte, der Pferde zu achten, und auf ihm dann in dem Stalle oder in [diesem Gemache] dem Gemache, in dem sie jezt wären, zu harren. Dann ging er mit dem Manne fort. Dieser führte ihn über eine Treppe empor, dann über einen Gang, und dann in ein Gemach, in welchem junge Mädchen sassen, die spannen. Hier ließ er Witiko stehen, und ging wieder durch die Thür hinaus. Eines der Mädchen stand von seiner Spindel auf, öffnete die Thür in ein weiteres Gemach, und ging hinein. Nach einer Weile kam es wieder heraus, und sagte, Witiko möge hinein gehen.

Witiko ging in das Gemach. Es war eine geräumige Stube in einer Eke der Burg mit vier Fenstern in zwei Seiten. An einer Rükwand stand ein hölzernes Kreuz mit dem Heilande. Vor dem Kreuze stand ein Betschämel mit braunem Tuche, und über dem Kreuze war ein Dach von dem nehmlichen Tuche. Die ganze Stube war mit Eichenholz getäfelt. An einem Tische waren vier Frauen, die dunkelgraue Gewänder hatten. Die Gewänder wurden durch einen Gürtel zusammen gehalten. Auf dem Haupte trugen sie [eine] weiße Hauben. Die Frauen waren an einem großen Tuche mit der Nadel beschäftigt, eine Stikerei darauf zu verfertigen. Zwei von ihnen waren jung, eine war in mittlerem die andere in höherem Alter. Die Frau mittleren Alters saß etwas tiefer als die ältere, die jungen noch tiefer. Die Frau hatte ein sanftes Angesicht von feiner weißer ein wenig roth schimmernder Farbe. Ihre Augen waren blau, und die Haare, die unter der Haube hervor sahen, waren blond, und schienen blasser zu werden. Die älteste der Frauen hatte ebenfalls ein sehr feines Angesicht voll Freundlichkeit; aber das Roth darauf war schwächer als bei der andern. Die Augen waren dunkelblau, und die Haare waren weiß wie die Haube.

Als Witiko in dieses Gemach gekommen war, nahm er seine Haube ab, daß die blonden Haare sein Angesicht umwallten, neigte sich, und sprach nicht.

Die ältere der Frauen erhob sich von ihrem Size, legte die Nadel auf den Tisch, und sagte: "Du bist verwundert, Witiko, daß du in diese Stube der Frauen gekommen bist. Verharre ein Weilchen hier, und nimm zum Zeichen, daß du uns nicht verschmähest, einen Siz."

Eine der jungen Frauen stand auf, und wollte einen Stuhl gegen Witiko rüken. Er kam ihr aber zuvor, nahm [einen] den Stuhl, und da sie wieder zu ihrem Plaze gegangen war, sezte er sich auf denselben nieder.

Die ältere Frau hatte auch ihre Stelle wieder eingenommen.

Dann sprach sie: "Witiko, da du jezt unter uns bist, grüße ich dich. Ich bin Agnes, die Wittwe Leopolds, des vorvorigen Markgrafen von Österreich, die Tochter des Kaisers Heinrich des Vierten.<">

Witiko stand schnell von seinem Size auf.

Sie aber sagte: "Bleibe auf deinem Stuhle, und wenn du reden willst, so rede von ihm aus."

Witiko sezte sich nieder, und sprach: "Hocherlauchte Frau, da es sich so gefügt hat, so erlaubt, daß ich euch meinen Dank [sagen zu dürfen xxxx xxxx Aufnahme,] für die Aufnahme in diesem Gemache sage, und für die Huld, [wel] die ihr mir erweiset."

Agnes aber sprach: "Witiko, als mein Vogt in dieses Zimmer kam, uns deinen Namen zu sagen, so befahl ich, weil deine Mutter hier war, dich zu uns zu führen. Verzeihe mir; meine Augen wollten sehen, wie ein guter Sohn zu der guten Mutter komme. Unterlasse den Empfangsdank, und grüsse deine Mutter; denn das ist dein Erstes."

Witiko stand nach diesen Worten auf, näherte sich der Frau des mittleren Alters, ließ sich vor ihr auf ein Knie nieder, und sagte: "Ich grüsse dich, meine gute vielgeliebte Mutter!"

"Ich grüsse dich, mein treuer Sohn," antwortete die Frau.

Sie zog ihn an seiner Hand empor, und legte ihre Hände auf sein Haupt.

Da sie dieselben herab genommen hatte, beugte er sich auf ihre rechte Hand nieder, und küßte sie.

Als er sich wieder erhoben hatte, und in ihr Angesicht schaute, waren in ihren Augen Thränen, und es waren in seinen Augen Thränen.