Witiko

H222, S. 270b


Bruder stand da, und sah mich an. Die Frauen halfen mir nicht, weil sie den Bruder fürchteten. Da saß ein böhmisches Mädchen bei meinem Haupte, sie träufelte Wasser auf meine Stirne, und befeuchtete meine Lippen damit, und als ich wieder in dem Leben war, drükte sie ihren Mund auf den meinen, und streichelte meine Wangen, und liebkoste mich. Ich nahm mit meiner Hand ihren Arm, und sie half mir auf einen Stuhl. Und sie ist den ganzen Tag bei mir geblieben, und mehrere Tage. Dann ist sie mit den Ihrigen wieder in das Land Böhmen gezogen. Ich sagte endlich, daß ich Leopold, den Markgrafen von Österreich ehlichen werde. Es ist [das xxx] das Sterbejahr meines Gatten gewesen, und seitdem sind sieben und dreißig Jahre verflossen. Das böhmische Mädchen ist meine Freundin geworden, sie hat mich geliebt, und ich habe sie geliebt. Sie hat den böhmischen Herrn Zaton geheiratet, und ihre erstgeborene Tochter ist deine Mutter geworden, Witiko[.], [die mir] [die ist mir nach dem Tode ihrer Eltern freundliche] die mir auch freundlich geblieben ist, als ihre Eltern gestorben waren."

"Meine Mutter hat eine Christenpflicht geübt," sagte die Mutter Witikos.

"Und ich habe ihr christlich gedankt," antwortete Agnes.

Dann sprach sie: "Mein Eheleben ist mit Leopold sehr glüklich gewesen. Er ist sehr fromm gewesen, er ist gegen seine Unterthanen gut gewesen, und hat Münster und Kirchen gestiftet. Durch diese Fenster kann man auf das Kloster der neuen Burg hinab sehen, das er gegründet hat. Unsere Kinder sind in der Liebe zu uns und in der Liebe zu einander aufgewachsen. Dann ist er gestorben und ich muß hier um ihn trauern."

Sie schwieg eine kleine Zeit, die andern schwiegen auch.

Dann sprach sie wieder: "Es sind Heimsuchungen von vieler Art gewesen. Mein Vater hat seinen Sohn Konrad sehr geliebt. Er ist gewählter deutscher König geworden, und sollte nach dem Vater Kaiser werden. Da empörte er sich, und wollte dem Vater die Herrschaft entreißen. Die Fürsten entsezten ihn auf dem Reichstage in Mainz seines Anrechtes auf den Kaiserstuhl, weil keine Macht freventlich gegründet werden soll. Der Vater zog jezt seinen geliebten [jungen] Sohn Heinrich hervor, derselbe wurde zum deutschen Könige und Nachfolger des Vaters gewählt. Er wurde in Aachen gekrönt, und schwur, er wolle dem Vater in Allem gehorchen, und sich nie, so lange dieser lebe, freventlich erheben. Nach fünf Jahren ging er zu denen in Baiern, die sich gegen den Vater empört hatten. Der Vater sandte meinen Gatten, Friedrich von Hohenstaufen, den Herzog von Schwaben, dann die Erzbischöfe von Trier und Köln zu ihm, daß sie ihm seinen Eid und das vierte Gebot vorhielten. Aber es war vergeblich. Er gewann die Sachsen und manche andern, und da fruchtlos Worte hin und wider getragen waren, stand er mit einer Heeresmacht an dem Regen gegen die Heeresmacht des Vaters. Zuerst sagte er auch, er wolle nicht gegen den Vater kämpfen, er wolle nur d[a]es Vaters Seelenheil [desselben erringen], daß er sich von dem Banne löse, und [in] christlich[en Leben] mit seinen Kindern [sei.] lebe. Dann kam jene Nacht. Der Vater floh nach Böhmen. Boriwoy, der Herzog von Böhmen und Mähren, war ehrerbiethig gegen ihn, und geleitete ihn zu seinem Schwager Wipprecht von Groitsch. Wipprecht von Groitsch geleitete ihn weiter, bis er an den Rhein kam, und bei Koblenz ein neues Heer sammelte. Mein Bruder Heinrich ist auch an den Rhein gezogen, und es standen jezt wieder die Männer des Sohnes gegen die Männer des Vaters. Da schikte mein Bruder Boten an den Vater, welche die Worte melden mußten: Auf die heilige Weihnachtszeit ist ein Reichstag nach Mainz angeordnet worden, ich bitte demüthig meinen Vater, daß wir vorher zusammen kommen, und bereden, was unserer beiden Sache ist, und uns versöhnen. Der Vater kam zu der Unterredung, und als er den Sohn erblikte, floßen Thränen aus seinen Augen, und er sagte: Heinrich, um Gott des Allmächtigen willen bitte ich dich, lade nicht die schlechte That auf dich, die weder hier noch dort verziehen wird. Du und ich werden verzweifeln. Mein Bruder fiel auf die Erde, umfaßte die Knie des Vaters, und sagte, er bereue Alles, was er gegen ihn gethan habe, er bitte um Verzeihung, er werde gehorsamen, der Vater möge sich mit der Kirche versöhnen, und beide wollen sie auf den Reichstag nach Mainz gehen, und dort die Versöhnung besiegeln. Der Vater verzieh. Da sagte mein Bruder[. Er], er wolle nach Mainz gehen, und dort Alles vorbereiten, der Vater möge indessen warten. Er ging fort, der Vater wartete. Er kam wieder zurük, und schwor, er sei bereit, für den Vater Leib und Seele zu opfern, und er wolle ihn weiter geleiten. Sie zogen fort, und kamen bis gegen Bingen. Ein jeder hatte dreihundert Begleiter. Auf dem Wege wurden die Begleiter meines Bruders immer mehr. Vor Bingen sagte er: Vater, meine Besorgniß wächst, daß euch der Erzbischof von Mainz wegen des Bannes nicht in seine Stadt einlassen werde, bleibet in Bingen, und feiert dort das Weihnachtsfest, ich werde nach Mainz gehen, und für euch wirken. Der Vater antwortete: Heinrich, Gott richtet zwischen mir und dir, ich vertraue auf dich. Mein Bruder schwor zum dritten Male, daß er das Leben für den Vater lassen wolle. Er zog nach Mainz, der Vater nach Bingen. Aber in Bingen wurde er von Männern meines Bruders Heinrich, welche dort waren, und von Männern Gottharts, des Bischofes von Speier, welche sich zu ihnen gesellten, umringt, die Männer des Vaters wurden besiegt, und er wurde gefangen genommen. Und in der Haft wurde ihm des Leibes Nothdurft und Bequemlichkeit versagt. Und es kamen dann von Mainz die Erzbischöfe von Mainz und Köln, der Bischof von Worms, und der Markgraf von

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