Witiko

H213, S. 275


reiche Nachkommenschaft ist in Liebe unter einander und in Liebe zu uns um uns empor gewachsen. Einige sind schon bei dem Vater in himmlischen Herrlichkeiten, andere sind noch bei uns, und die lezten von ihnen suchen das Heil der Ihrigen oder ihres Landes zu begründen, und unsere geliebten Otto und Konrad beschäftigen sich mit den seligen Dingen der Kirche. Meine geliebte meine hochverehrte Freundin, ich werde es nie, so lange ich lebe, vergessen, was du in jener kurzen aber schreklichen Zeit an den Ufern des Regen für mich gethan hast, ich werde es dir in Dank gedenken, ich schließe dich in mein tägliches Gebeth, und möchte es dir und deinem guten Kinde werkthätig vergelten."1

"Du legst einen zu hohen Werth auf mein Benehmen, erhabne Frau," antwortete Witikos Mutter, "ich habe ein Menschengefühl gehegt, und habe eine Christenpflicht des Trostes geübt, die ich gegen jede Magd auch die geringste bewiesen hätte. Mein Bedauern war nur sehr groß, daß ich nicht länger bei dir bleiben konnte; denn die Männer Boriwoys gingen zurük in unser Land, und ich mußte mit unsern Frauen mit."

"Daß du mich wie eine geringe Magd an die Lippen gedrükt, und nicht an die Tochter des Kaisers gedacht hast, hat mir so wohl gethan," sagte Agnes, "und wenn du eine Christenpflicht geübt hast, so bedenke, wie wenige dieses gerne thun."

Sie schwieg ein Weilchen, dann wendete sie sich gegen Witiko, und sagte: "Ich habe damals Thaten gesehen, mein junger Witiko, ehe ich auf diesem Berge des Markgrafen von Österreich zur Ruhe gelangte, Thaten genug und sie sind auch immer in meinem Innern. Mein Vater Heinrich war schön am Leibe, er war gesegnet an seiner Größe, er hatte manche gute Kenntnis erlernt, von seinen Lippen gingen reiche und zierliche Worte, er war tapfer und großmüthig, sein Herz war nur zu gut gegen Freunde und Feinde, und gegen die, welche ihn mißhandelten. Sein Sohn Konrad stand gegen ihn auf, da die Kämpfe und Büßungen der früheren Zeit in dem Gemüthe des Vaters schon zur Ruhe zu kommen strebten, und wollte ihm die Herrschaft entreißen. Konrad war von dem Vater geliebt, er war der gewählte deutsche König und sollte dem Vater als Kaiser folgen. Auf dem Reichstage in Mainz entsezten die Fürsten Konrad seines Anrechtes auf den Kaiserstuhl, weil keine Herrschaft friedlich bestehen kann, die auf frevelhaften Grund gebaut ist. Der Vater zog jezt seinen geliebten jungen Sohn Heinrich hervor, derselbe wurde zum deutsche Könige und Nachfolger des Kaisers gewählt, er wurde am sechsten Tage des Eismonates des Jahres 1099 in Aachen gekrönt, und schwur seinem Vater in Allem zu gehorsamen, und nie, so lange dieser lebe, sich frevlich zu erheben. Nach fünf Jahren stand er gegen ihn auf, und war bei denen in Baiern, die sich gegen den Kaiser erhoben hatten. Mein Gatte Friedrich der Herzog von Schwaben der treue Freund des Kaisers und dann die Erzbischöfe von Trier und Köln gingen auf das Geheiß des Kaisers zu seinem Sohne, und hielten ihm seinen Eid und das vierte Gebot vor; aber vergeblich. Er gewann die Sachsen, manche andere fielen ihm bei, und nach vergeblichen Unterhandlungen und Zwischenfällen stand er an dem Regen, dem Heere des Kaisers gegenüber. Mein Gatte Friedrich [der] von dem hohen Staufen der Herzog von Schwaben, der immer ein Freund des Kaisers und seine festeste Stüze gewesen war, hatte in diesem Jahre das Zeitliche verlassen. Mein Bruder Heinrich ging mit seinen Schaaren über den Regen zurük, und sagte, er wolle nicht gegen den Vater kämpfen, nur sein Seelenheil liege ihm am Herzen, daß er von dem Banne gelöst werde, wie er selber und Sachsen davon gelöset sei. In der Nacht that er dann, wie ich früher gesagt habe. Boriwoy der Herzog von Böhmen nahm meinen Vater ehrenvoll in seinem Lande auf, geleitete ihn in das Erzgebirge, und der Schwager Boriwoys Wipprecht von Groitsch geleitete ihn weiter, bis er an [die E] den Rhein gelangte, und bei Koblenz ein neues Heer sammelte. Sein Sohn Heinrich mein Bruder war auch an den Rhein gekommen, und so standen sich jezt die Heere des Vaters und Sohnes wieder gegenüber. Da sandte mein Bruder Boten an den Vater, die sagten: Es ist ein Reichstag nach Mainz auf die heilige Weihnacht angeordnet worden, ich bitte demüthig meinen Vater, daß wir vorher zusammen kommen, und bereden, was unserer beiden Sache ist, und uns versöhnen. Der Vater kam zur Unterredung, und da er den Sohn erblikte, floßen Thränen aus seinen

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