Witiko

H167, S. 224

Gegen Mittag erblikte man allerlei Menschen in dem Lager, die man als Umwohner der Stadt zu erkennen glaubte. Diepold ließ gegen sie eine Warnungsfahne aussteken. Viele entfernten sich aber nicht alle.

Boten und Späher, welche Diepold ausgesendet hatte, kamen zurük, und sagten, das Heer der Feinde sei in Eile in der Richtung nach Morgen abgezogen, und werde sich auflösen, weil man Kmeten und Herren mit den Ihrigen auf dem Heimwege gesehen habe.

In der Zeit des Mittags sprengten Reiter vom Abende her gegen die Stadt, welche rosenfarbene Fähnlein auf ihren Lanzen trugen. Sie wurden eingelassen, wurden als Reiter des Herzoges Wladislaw erkannt, und meldeten, daß der Herzog am Abende mit seiner Schaar in Prag eintreffen werde, daß ihm König Konrad mit einem großen schönen Heere folge, daß das Heer vor Prag lagern werde, daß der König Konrad morgen kommen, und das Pfingstfest in Prag feiern werde. Die Feinde seien schon eine Tagesreise weit von Prag auf dem Wege nach Mähren zu, und werden sich wahrscheinlich zerstreuen. Zur Beglaubigung brachten[er] sie einen Brief Wladislaws an Diepold.

Die Nachricht wurde in der Stadt ausgerufen.

Diepold ließ nun durch eine Schaar der Seinen das verlassene Lager der Feinde zur Huth vor Strolchen besezen, öffnete Ausfallpforten der Thore zum Verkehre, und erwartete den Herzog.

Ehe die Abendsonne die [noch] Spizen der noch unversehrten Thürme von Prag vergoldete, blizten in ihrem Scheine vom Abende her unzählige Lanzen gegen die Zinnen der Stadt. Sie wogten auf und nieder wie von Reitern getragen, und bald erkannte man das blaue Banner und die rosenfarbenen Fähnlein. Es war die Schaar Wladislaws des Herzogs von Böhmen und Mähren.

Jubel erdröhnte in den Lüften, einer rief es dem andern zu, man ordnete sich, den Herzog zu empfangen. Das Vertheidigungsheer war auf den Mauern aufgestellt, die rosenfarbenen Seidenbanner waren zwischen den Abtheilungen erhöht, das große Banner wehte über dem Roßthore, und das größte nun angefertigte über den Trümmern der Kirche des heiligen Veit. Otto der Bischof von Prag und Daniel der Probst und alle Priester der Stadt standen an dem Thore, den Herzog zu empfangen. Es standen die Kmeten und Herren der Stadttheile neben ihnen, und gezierte Kinder und Jungfrauen mit schnell geflochtene<n> Kränzen und Frauen Männer und gedrängtes Volk.

Der Herzog ritt gegen das Stadtthor entblößten Hauptes. Nur den Schmuk des blonden Haares trug er auf demselben. Seine Haube hielt er in der Hand. An seiner linken Seite ritt der Bischof Zdik. Hinter den beiden ritten Welislaw Odolen und Witiko. Dann kamen die Reiter des blauen Fähnleins und die sehr vielen, welche sich ihnen angeschloßen hatten, als er über den Wald gegen sein Land hereingekommen war. In seinem Zuge befand sich kein Mann, der nicht ein Kind seiner Länder gewesen wäre.

Der Bischof segnete den Herzog und seine Schaar, und begrüßte ihn, die Bürger riefen ihm zu. Dann ging der Bischof und die Priester und die Vorstände der Stadt vor dem Herzoge einher, und dieser folgte unter Posaunenschall und Flötenspiel, und über Blumen Laub und Kränze, welche ihm Jungfrauen auf den Weg geworfen hatten. Der Zug ging zur Kirche des heiligen Veit. Vor derselben stieg der Herzog von dem Pferde, kniete auf den Boden der Stadt nieder und bethete. Dasselbe thaten Welislaw Odolen Witiko und die Führer der Abtheilungen. Zdik hatte sich unter die Priester gemischt, und sprach laut mit ihnen und dem Bischofe Otto die Gebethe der Kirche. Hierauf ließ der Herzog seine Schaar aufstellen, bestieg sein Pferd, und ritt mit seinem Gefolge auf die Wälle der Stadt. Dort angelangt, ritt er an dem ganzen Heere der Vertheidiger entlang. Er grüßte Diepold mit seinem Schwerte, und neigte sich tief vor ihm, er grüßte Diwis, er grüßte den alten Lubomir, er grüßte seinen Bruder Heinrich, der neben Lubomir war, er grüßte den greisen Bolemil, der auf einem Stuhle saß, er grüßte Chotimir, der neben Bolemil war, er grüßte seine Gattin Gertrud, welche den Gruß mit dem Schwerte erwiederte, er grüßte Dimut, welche neben der Herzogin stand, er grüßte Wisin, der der Befehlshaber der Bürgerbegleitung der Frau und der Jungfrau war, er grüßte Wsebor, der doch in der Stadt geblieben war, er

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