Witiko

H12, S. 21a


grüßte ihn als seinen Begleiter, nahm ihm einen Spieß aus der Hand, und schikte sich zum Gehen. Man begleitete ihn aus der Thür der Stube und des Hauses. Draußen beurlaubte man sich noch einmal, und Jörg schritt voran, und der Jüngling folgte ihm.

Sie schritten von der Hinterseite des Hauses, an der die Scheunen waren, in der Richtung gegen Mitternacht vor. Immer ging der starke Mann, Jörg geheißen, mit der Armbrust mit dem Ledergürtel, in dem die Bolzen staken, mit dem Sake um die Schultern und mit dem Spieße in der Hand voran. Der junge Reiter in dem Ledergewande mit dem Schwerte an der Seite und den Spieß tragend folgte ihm. Sie gingen immer dem Wasser entgegen, das in der Schlucht zu ihrer Linken abwärts rauschte, bis die Schlucht dort, wo sie an dem Walde ihren Anfang nimmt, seichter wurde, und sie dieselbe und das Wasser überschritten. Sie änderten nun ihre Richtung, und gingen gegen Abend. Bis hierher waren sie auf [den] Wiesen neben Feldern gegangen, jezt begann der Wald wieder. Sie gingen an seinem Saume fort. Da sie an dem Saume des Waldes fort wandelten, erhob sich wieder das Singen der Mädchen. Es klang, als ob die Mädchen auf einem Weglein von dem Hause in die Schlucht hinab gestiegen, jenseits wieder empor geklommen wären, und nun unterhalb der zwei Männer in dem Grunde, ¢auf welchem schöne und viele Ahorne standen,¢ fort wandelten. Der Reiter erkannte Berthas und Trudas Stimme, welche er vor dem Mahle in dem Walde gehört hatte, ¢deutlich¢,
Randnotiz: Tilgungszeichen ?
er stand stille, und bedeutete auch seinem Begleiter zu warten. Jörg stellte sein Gehen ein, und blieb ruhig stehen. Der Gesang der hellen Stimmen tönte herauf wie Glöklein, deren Klingen durch das ¢Laubwerk¢ kommt. Er enthielt die zwei Stimmen, die sich halfen, die sich ermuthigten, die sich stärkten. Er sagte junge Freude heiteres Leben und kräftiges Denken aus. Er schwieg zuweilen, dann begann er in einer ein klein wenig veränderten Weise wieder. Es war, als ob in der Tiefe der Ahorne die zwei Mädchen immer weiter und weiter von den Männern kämen. Endlich hörte man den Gesang ferner, und dann gar nicht mehr. Der Reiter sagte, daß Jörg weiter gehe, dieser ging, und die Männer schritten an dem Waldsaume vorwärts. Sie gingen an der Stelle vorüber, auf der die Hütte von Trudas Vater stand. Es waren da große Stämme und Brombeergebüsche. Weiterhin war lauter Wald. Die Wanderer traten nun in den Wald ein, und gingen in ihm in einer Richtung, welche zwischen Mitternacht und Untergang mitten inne liegt, sachte aufwärts. Sie gingen Anfangs unter großen und vielen Buchen fort, dann folgten1 sehr starke und finstere Tannen. Sie gingen so eine Stunde und eine halbe. Nach dem Verlaufe dieser Zeit kamen sie auf der Schneide des Waldes an. Dort gingen sie eine kleine Streke nach Abend zu, und kamen zu einem sehr großen aus dem Grase des Waldes über die Gipfel der Bäume aufragenden Steine. Das war der Stein der ¢drei Sessel¢. Es war, wie Bertha gesagt hatte, aus Baumstämmen und Querbalken eine Leiter gezimmert, welche mit sehr vielen Stufen auf den Gipfel des Steines leitete. ¢Dort war ein ebener Stand, der von drei Brustwehren überragt wurde. Der Reiter stieg auf den Fels, und blikte herum. Dann stieg er wieder nieder. Jörg wartete unten.¢ Dann stieg der Reiter wieder nieder. 2

Die zwei Männer gingen nun von den drei Sesseln in der Richtung gegen Sonnenaufgang auf der Schneide des Waldes fort. Sie gingen zwei Stunden lang in dieser Richtung. Dann gelangten sie an den Fels des Blökensteines. Von ihm gingen sie noch weiter gegen Morgen, und als sie ein Weilchen sogar abwärts geschritten waren, standen sie an dem obern Rande einer Felswand, welche in fallrechter Richtung nieder ging, und an ihren Füssen einen schwarzen See hatte, der zwischen Felsen und Wäldern wie in einer Höhle unten lag. Es war weit und breit lauter Wald, und auf dem Wasser zeigte sich nichts Lebendiges. Die Ufer an der Wand waren von hinabgestürzten Bäumen gesäumt. Der Jüngling trat auf eine Steinplatte, welche von der Wand weg gleichsam über den See vorragte, und blikte hinunter. Als er diesem Schauen ein Ende gemacht hatte, trat er von der Steinplatte wieder auf den Grund, auf welchem die Bäume standen, und ging auf diesem Grunde wieder gegen die Wasserscheide aufwärts. Von dort begann er abwärts nach entgegengesezter Richtung zu gehen. Jörg fand einen Weg aus. Sie gingen durch hohen Wald in der Richtung zwischen Mittag und Morgen sachte nieder. Dann gingen sie gerade zu gegen Mittag und öfter über hohe steile Stellen abwärts. So gingen sie fast zwei Stunden lang, bis der Wald sich unterbrach, bis ein freier Plaz und auf ihm das Haus Josts vor ihnen lag. Sie gingen auf dasselbe zu, und vor der Thür reichte der Reiter an Jörg seinen Spieß, und bedankte sich seines Geleites. Er hatte auf dem Wege nichts gegessen, und was ¢etwa¢
Randnotiz: Tilgungszeichen ?
in dem Sake gewesen war, trug Jörg ¢unversehrt¢ in das Haus.

Der Reiter ging in die Stube, und in derselben war Jost und seine Hausfrau. Sie begrüßten den Jüngling, und luden ihn zum Sizen. Er ließ sich auf einen Stuhl nieder. Die Frau ging aus dem Zimmer, und in Kurzem kam Bertha, und brachte Wein in einem Kruge und weißes Brot auf einem Brette. Sie reichte [es]beides dem Jünglinge, welcher von dem Wein genoß, und eines der Brote brach. Dann that sie beides auf den Buchentisch.

"Ich habe euch doch noch singen gehört, Bertha," sagte der Jüngling.

"Es wird so sein," antwortete Bertha, "wir singen ja nicht, daß es niemand höre. Der Gesang gehört nur in die freie Luft, und wenn wir da singen, ist es möglich, daß andere nicht so weit sind, daß unsere Stimme nicht an sie gelangt. Wir singen allein, und gehen nicht zu jemanden, daß er es höre, außer er geht in der Nähe, und wird unsere Stimmen gewahr. Ihr seid also noch nicht so weit in dem Walde gewesen, [als] daß unsere Stimme nicht mehr nachkommen konnte, da ich mit Truda unter den Laubbäumen war."

"Wir hatten den Wald noch gar nicht betreten, und standen an dem Saume desselben," sagte der Reiter.

"Dann habt ihr uns sehr gut gehört," entgegnete Bertha.

1 Darunter mit Stift: |kamen| oder |waren| 2 Absatz im oberen Teil am Rand mit Wellenlinie markiert und mit Fragezeichen und den Bemerkungen versehen: zu umständlich und nicht singen. Absatzschluß mit Bemerkung: Mehr vom Herumsehen

Seite vertikal mit Stift gestrichen