Witiko

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den ich auf dem Wahl[land]tage auf dem Wysehrad gesehen habe, und der mein Nachbar ist, gekommen, um ihn zu besuchen, und mit ihm zu sprechen."

"Ihr seid in unserem Hause und bei unseren Sippen willkommen," antwortete Ludmila.

Dann wendete er sich an die Jungfrau, und sprach: "Ihr werdet [gewiß] wohl auch den Fremdling [nicht aus] in der Gastlichkeit dieses Hauses [entfernen wollen."] nicht unhold ansehen."

"Die Freunde meines Bruders sind auch die meinigen," antwortete das Mädchen.

Nach diesen Worten war der Morgengruß geendigt, und man zerstreute sich.

Rowno führte Witiko in das Freie. Sie gingen durch das Thor auf die Erdzunge, die von ihm wegführte. Da sah Witiko, daß der große vierekige dunkle Thurm [in Moor- und Schilfgrunde stand.] von Moorgrunde umgeben war. Dann kamen sie über den Damm auf nasse Wiesen, in welchen hie und da kleine Teiche und andere Wässer waren. Endlich, wo der Boden sich hob, fingen die Felder an, auf denen die Getreide schon [die röthlich graue] Farbe der beginnenden Reife bekamen. Hinter ihnen war der Wald.

Als sie auf den breiteren festen Boden kamen, standen mehrere Hütten und Häuser. Von einigen ging Rauch auf,1 vor einigen spielten Kinder, und hie und da trat eine Frau aus der Thür, und sah ihnen nach.

Außerhalb der Häuser gingen sie durch die Felder, auf denen Menschen an verschiedenen Stellen arbeiteten. Wo die Felder zu Ende waren, ging noch Weidegrund empor, auf welchem zerstreut verschiedene Bäume standen, und auf welchem sich Heerden von Rindern Schafen Schweinen und Ziegen befanden, die ihre Hirten leiteten. Dann erst begann der undurchdringliche Wald.

"Wir pflegen die Güter, welche wir von unseren Vorvätern ererbt haben, ungetheilt und gemeinschaftlich," sagte Rowno, "ich bin zum Haupte erwählt worden, nach meinem Tode wird ein anderer erwählt. Sie liegen vor dir ausgebreitet: der Thurm die Wiesen die Felder die Weiden und der Wald. Der größte Theil des Bodens, der uns gehört, ist mit Wald bedekt. Wir streben ihn aber zu reuten, und unser urbares Besizthum zu vergrößern. Wenn die Zahl unserer Stammesglieder wächst, bauen wir stets ein neues Haus oder eine neue Hütte. In dem Thurme haben alle Menschen mit ihrer Nahrung und alle Thiere mit ihrem Futter Plaz. Wenn uns ein Feind bedrohte, so könnten wir in den Thurm gehen, und uns vertheidigen, bis er abzöge; denn lange könnte er nicht bleiben, weil er in dem Walde erhungerte. [Wenn] Brennt er die Häuser und Hütten vor dem Thurme [verbrennte] nieder, so [bauten] bauen wir sie nachher wieder auf. Seit den Zeiten unsers Urgroßvaters ist aber ein solcher Angrif nicht gemacht worden. Damals war ein Streit. Ob vorher einer statt gefunden hat, wissen wir nicht, da niemand lebt, der von jenen Zeiten etwas erzählen könnte."
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