Witiko

BZU261


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(Beilage zu Witiko 261)1

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sechsten Tage des Brachmonates des Jahres 1099 hatten sie die Gnade, Jerusalem zu sehen. Sie fielen auf die Knie, sangen Loblieder, und weinten vor Freude. Dann näherten sie sich der Stadt, und rüsteten sich zur Belagerung[.], und am [dreißigsten] neun und dreißigsten Tage nach ihrer Ankunft, am sechsten Tage des Heumonates erstiegen sie im Sturme die Stadt Jerusalem. Alle hatten die größte Anstrengung erwiesen, und man hatte diejenigen, welche auf dem Zuge gestorben waren, wieder unter den Kämpfern erblikt. Sie küßten den Erdboden, berührten Alles mit ihren Händen, feierten in der heiligen Kirche den Gottesdienst, thaten Buße, und gelobten mit lauter Stimme Beßerung. Dann errichteten sie, da sie riefen: Gott will es, ein christliches Reich, und erwählten Gottfried zum ersten Könige von Jerusalem. Dieses ist im dritten Jahre, nachdem sie die Heimath verlassen hatten, geschehen. Siehe, mein Bruder Zdik, das ist das Wunder, das von Gott durch gebrechliche Menschen gewirkt worden ist, wie du gesagt hast. Es ist nichts Größeres seit dem Leben und Sterben des Heilandes auf der Welt gewesen. Eine Freude war in der ganzen Christenheit."

"Es ist nichts Größeres gewesen," sagte Zdik, "und ich halte es mir immer vor die Seele."

"Aber die Menschen in Jerusalem sind nicht fortan reinen Herzens geblieben," erwiederte der Bischof Regimbert.

"Nein, sie sind nicht reinen Herzens geblieben," sagte Zdik, "und ich habe es selber in Jerusalem gesehen, daß sie nicht reinen Herzens geblieben sind."

"Darum mußte auch wieder die Heimsuchung kommen," antwortete Regimbert[,]. "Der fromme König Gottfried hat nur kurz geherrscht. Dann führte unter Mühen und Erwerbungen sein Bruder Balduin siebenzehn Jahre das Königthum. Dann kam der andere Balduin, sein Vetter, der Graf von Edessa, und stiftete ein Reich von Tarsus bis nach Egipten. Er vermählte in unseren Tagen seine älteste Tochter Melisenda mit Fulko, dem Grafen von Anjou, und als er gestorben war, wurde Fulko König. Der König Fulko ist jezt schon alt, er ist irdisch und unsicher, und auch die andern sind irdisch und habgierig. Da hat Gott zwei Feinde des Reiches erwekt. Der eine ist der griechische Kaiser Johannes, der Sohn des Kaisers A<l>exius, der in Griechenland geherrscht hatte, als Gottfried in die heiligen Länder gezogen war. Er ist ein tapferer Mann, und besiegte gleich nach dem Beginne seiner Herrschaft die Türken und Petschenegen. Darauf fingen die Ungarn gegen ihn Krieg an, weil er Almos, den flüchtigen Bruder ihres Königs gütig aufgenommen hatte. Er war auch gegen die Ungarn siegreich. Da er diese Dinge beendiget hatte, zog er mit seinem Heere nach Asien, und drängte die Ungläubigen zurük. Es mögen jetzt fünf Jahre sein, daß er Tarsus und das ganze Cilicien eroberte, und vor die christliche Stadt Antiochia kam. Weil ein mal diese Länder zu Griechenland gehört hatten, und weil die ersten Pilger dem Kaiser Alexius die Lehensherrlichkeit darüber versprochen hatten, so begehrte sie nun Johannes. Aber die jezigen Pilger verweigerten sie, und so sind nun Christen wider Christen. Der zweite Feind ist Emadeddin Zenki, der Ungläubige. Er ist Herr von Aleppo, Sirien und des Landes zwischen den Flüssen. Er hat seine Waffen gegen die Christen gekehrt, und Raimund, den Grafen von Tripolis gefangen, zugleich auch den König Fulko in einer Burg bei Akkon eingeschlossen. Den Grafen [Fu] Raimund <gab er> gegen ein Lösegeld und den König gegen die Burg frei. Jezt rüstet er gegen Edessa. Wenn nicht mit neuem Glauben und neuem Eifer Pilger von uns in das Morgenland ziehen, kann Alles verloren werden. Boemund hat ein irdisches Mittel angesagt. Man soll das griechische Reich erobern, dort eine starke abendländische Herrschaft stiften, und von ihr aus die weiteren Länder erwerben und anfügen. Gott wird aber die Seinigen ohne dieses Mittel retten und befreien."

"Und wenn Alles durch die Sünden der Menschen verloren wird, so wird Alles ein mal wieder gewonnen werden, [xxx,] und es wird ein Hirt und eine Herde sein," sagte Zdik.

"Und glüklich sind, die zu diesem Gewinne werden auserkoren sein," sprach Regimbert. "Sage, Zdik, wird der Herzog Wladislaw zu dem heiligen Kampfe seine Mitwirkung bringen?"

"Wladislaw, der Herzog von Böhmen und Mähren, wird zuerst in seinen Ländern seine Macht in Sicherheit stellen," antwortete Zdik, "und dann wird er thun, was der Kirche und den Menschen frommt."

"Und Könige und Fürsten und alle, die die Macht haben, sollen dem Werke nicht fehlen," sagte der Bischof von Passau, "und du, mein Sohn Witiko, wirst du auch deine Jugend in die heiligen Länder tragen?"

"Wenn mein geringer Dienst etwas wirken kann, werde ich ihn nicht versagen," antwortete Witiko.

"Ich glaube es," sagte der Bischof.

"Ihr habt in eurer Rede einen Namen genannt, welchen ich kenne, hochehrwürdiger Bischof[, welchen Namen ich kenne]," sagte Witiko[.], "Almos,
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(Hier geht die Handschrift auf 261 weiter)2.

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1 Fortsetzung des Textersatzes von H S.260: . und als sie sich gereinigt hatten, eroberten sie Nicäa, Edessa, und Antiochia, um am [fünfzehnten]
2 Vgl. in H S.261: der flüchtige Bruder des ungarischen Königs etc.