Aus S. Kierkegaard "Der Liebe Tun"

Liebe bleibt.

(1. Kor. XIII, 13)

Ja, Gott sei gelobt, Liebe bleibt! Was dir auch die Welt nehmen mag, und sei es auch das Liebste; was dir auch im Leben widerfahren mag, auf welche Art du auch um deines Strebens, um des Guten willen, das du willst, magst leiden müssen, ob auch die Menschen sich gleichgültig von dir abwenden oder sich als Feinde wider dich wenden mögen, ob auch dich niemand kennen wollte oder gestehen wollte, was er dich doch verdankte, ob auch dein bester Freund dich verleugnete - falls du doch irgend in deinem Streben, in deinem Tun, in deinem Wort in Wahrheit die Liebe zum Mitwisser gehabt hast: tröste dich, denn Liebe bleibt; wobei sie dein Mitwisser ist, dessen wird dir zum Trost gedacht, o , seliger als noch so große Taten, die ein Mensch vollbracht haben kann, seliger als wenn ihm die Geister untertan gewesen sind, seliger, von der Liebe erinnert zu sein! Wobei sie dein Mitwisser ist, dessen wird dir zum Trost gedacht, das werden weder das Gegenwärtige noch das Zukünftige, weder Engel noch Teufel, und dann, Gott sei gelobt, auch nicht die bangen Gedanken deines eigenen unruhigen Sinns, nicht einmal im stürmischen und schwierigsten Augenblick deines Lebens, sowenig wie im letzten Augenblick deines Lebens von dir nehmen können; denn Liebe bleibt. ...

Man sollte glauben, und man meint wohl zumeist, Liebe zwischen Mensch und Mensch sei ein Verhältnis zwischen zweien. Das ist auch wahr, ist aber unwahr, sofern dies Verhältnis zugleich ein Verhältnis zwischen dreien ist. Zuerst ist da der Liebende; dann derjenige oder diejenigen, die der Gegenstand sind; aber zum dritten ist die Liebe selbst mit zugegen. ...

Die Sache ist die: man kann nicht aufhören zu lieben; liebt man in Wahrheit, so bleibt man dabei; hört man auf zu lieben, so hat man auch nicht geliebt. Das Aufhören hat also, in Bezug, auf die Liebe, rückwirkende Kraft. Ja, ich kann nicht müde werden zu sagen und nachzuweisen, daß überall, wo Liebe mit im Spiel ist, ein so unendlicher Tiefsinn auftritt. Schau, ein Mann kann Geld gehabt haben, und wenn das dann aufhört, wenn er nicht länger Geld hat, so bleibt doch ebenso gewiß und wahr, daß er Geld gehabt hat. Aber wenn einer aufhört zu lieben, so hat er auch nicht geliebt. Was ist doch so mild wie Liebe, und was ist so streng, so eifersüchtig auf sich selbst, so erziehend wie Liebe! ...

Nun weiter. Wenn dann die Liebe aufhört, wenn in Minne und Freundschaft, kurz in dem liebenden Verhältnis zwischen zweien etwas dazwischenkommt, so daß die Liebe aufhört: so kommt es, wie wir Menschen sagen, zu einem Bruch zwischen diesen zweien. Die Liebe war das Verbindende, stand im guten Sinne zwischen ihnen; wenn dann etwas zwischen sie kommt, so ist die Liebe verdrängt, sie hört auf, die Verbindung zwischen ihnen bricht, und der Bruch tritt trennend zwischen sie ein. Also es kommt zu einem Bruch. Diesen Sprachgebrauch kennt indessen das Christentum nicht, versteht ihn nicht, will ihn nicht verstehen. Wenn man davon spricht, daß es zu einem Bruch kommt, dann deshalb, weil man der Meinung ist, in der Liebe gebe es nur ein Verhältnis zwischen zweien, anstatt eines Verhältnisses zwischen dreien, wie gezeigt worden ist. Diese Rede von einem Bruch zwischen den zweien ist viel zu leichtfertig; dadurch entsteht der Anschein, als sei das Liebesverhältnis eine Sache zwischen diesen zweien und es gebe gar kein dies Verhältnis betreffendes Drittes. Wofern dann zweie sich einig würden, miteinander zu brechen, so wäre also ja gar nichts dagegen einzuwenden. Überdies: weil diese zwei ihr Verhältnis miteinander brächen, so würde daraus nicht folgen, daß nicht diese selben zwei in bezug auf andere Menschen Liebende sein könnten; sie behielten also die Eigenschaft, Liebende zu sein, aber ihre Liebe würde jetzt bloß im Verhältnis zu anderen angebracht. Außerdem hätte eben der, welcher den Bruch veranlaßte, die Übermacht, und der Unschuldige wäre wehrlos. Doch wäre das ja niederträchtig, wenn ein Unschuldiger der Schwächere sein sollte, so ist es freilich in dieser Welt, aber im ewigen Sinne kann es niemals derart zusammenhangen. Was tut deshalb das Christentum? Sein Ernst heftet sogleich das Augenmerk der Ewigkeit auf den einzelnen, auf jeden einzelnen von den zweien. Indes nämlich zweie sich in Liebe zueinander verhalten, verhält sich insonderheit jeder von ihnen in sich selbst zu ''der Liebe''. Jetzt geht es nicht ganz so einfach mit dem Bruch. Ehe es zum Bruch kommt, ehe der eine dahin kommt, seine Liebe im Verhältnis zu dem andern zu brechen, muß er erst abfallen von ''der Liebe''. Dies ist das Wichtige; deshalb spricht das Christentum nicht darüber, daß zweie miteinander brechen, sondern über das, was stets nur der einzelne tun kann, über den Abfall von ''der Liebe''. Ein Bruch zwischen zweien schmeckt immer sehr nach dem Getreibe der Zeitlichkeit, als sei die Sache dann nicht so gefährlich; aber die Rede über den Abfall von ''der Liebe'' hat den Ernst der Ewigkeit. Schau, nun ist alles in Ordnung, nun kann die Ewigkeit Zucht und Ordnung halten, nun wird der in dem und durch den Bruch unschuldig Leidende schon der Stärkere werden, wofern er dann nicht selbst von ''der Liebe'' abfällt. Falls Liebe einzig und allein ein Verhältnis zwischen zweien wäre, so wäre ja der eine stets in des anderen Gewalt, sofern dieser andere ein Unwürdiger wäre, der das Verhältnis brechen wollte. Wenn ein Verhältnis nur zwischen zweien besteht, so ist der eine stets des Verhältnisses mächtig, indem er es brechen kann, denn sobald der eine es gebrochen hat, ist das Verhältnis gebrochen, Aber wenn es dreie sind, kann der eine das nicht tun. Der dritte ist, wie gesagt, ''die Liebe'' selbst, an die der im Bruch unschuldig Leidende sich dann halten kann, dann hat der Bruch keine Macht über ihn. Und der Schuldige soll sich auch nicht gerade rühmen, leichten Kaufs von der Sache losgekommen zu sein; denn von ''der Liebe'' abzufallen, ja, das ist der teuerste Preis, das hat einen anderen Ernst als jenes Hastwerk, mit einem einzelnen Menschen zu brechen -- und dann im übrigen auf alle Weise ein guter und liebevoller Mensch zu sein. ...

Aber der wahrhaft Liebende fällt niemals von ''der Liebe'' ab, deshalb kann es für ihn niemals zu einem Bruch kommen; denn Liebe bleibt. Kann jedoch in einem Verhältnis zwischen zweien der eine den Bruch verhindern, wenn der andere bricht? Man sollte ja meinen, daß einer von beiden genug wäre, um das Verhältnis zu brechen, und ist das Verhältnis gebrochen, so ist ja der Bruch da. In einem bestimmten Sinne ist das auch so, aber wofern doch der Liebende von ''der Liebe'' nicht abfällt, kann er den Bruch verhindern, er kann dies Wunder tun, denn wenn er bleibt, kann der Bruch niemals richtig zustande kommen. Indem er bleibt (und in diesem Bleiben ist der Liebende mit dem Ewigen im Bunde), behält er die Übermacht über das Vergangene, so daß er jenes, was in der Vergangenheit und durch sie ein Bruch ist, zu einem in der Zukunft möglichen Verhältnis umwandelt. In Richtung auf Vergangenheit gesehen wird der Bruch mit jedem Tag und jedem Jahr immer deutlicher; aber der Liebende, welcher bleibt, gehört ja durch sein Bleiben dem Zukünftigen, dem Ewigen, und in Richtung auf das Zukünftige ist der Bruch kein Bruch, sondern vielmehr eine Möglichkeit. Aber dazu gehören die Kräfte der Ewigkeit; und deshalb muß der Liebende, welcher bleibt, in ''der Liebe'' bleiben, sonst bekommt doch die Vergangenheit ganz allmählich Macht, und dann kommt ganz allmählich der Bruch zutage. O, und dazu gehören die Kräfte der Ewigkeit, sogleich im entscheidenden Augenblick die Vergangenheit in das Zukünftige zu verwandeln! Doch hat das Bleiben eben diese Macht.

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