Polyploidie – die Vermehrung der Chromosomensätze – hat für Pflanzen im Alpenraum klare Vorteile. Peter Schönswetter, Professor für Systemische Botanik und Geobotanik, untersuchte dieses Phänomen am Beispiel des Krainer Greiskrautes.
Unter Polyploidie versteht man das Vorhandensein von mehr als zwei Chromosomensätzen innerhalb einer Zelle. „Während bei Tieren dieses Phänomen relativ selten ist, gehen wir mittlerweile davon aus, dass mehr als 99 % aller Blütenpflanzen polyploid sind“, erklärt Prof. Peter Schönswetter. Auch rund 10 % aller Artbildungsprozesse in der Pflanzenwelt gehen auf die Vermehrung der Chromosomensätze zurück. Der evolutionäre Vorteil der Polyploidie liegt dabei auf der Hand: „Die Kombination der Eigenschaften zweier unterschiedlicher Elternarten im Genom macht einen Organismus sehr anpassungsfähig“, erläutert Schönswetter. „Polyploidie führt außerdem praktisch immer dazu, dass die Zellen und somit der ganze Organismus größer ist – bei Kulturpflanzen wie zum Beispiel Mais oder Weizen ist dies natürlich wünschenswert“, so Schönswetter. Das Phänomen der Polyploidie lässt sich allerdings nicht nur bei Kulturpflanzen beobachten. „Wildwachsende polyploide Pflanzen kommen vor allem an Standorten mit fluktuierenden Umweltbedingungen, wie zum Beispiel in Berggebieten vor. Bei Alpenpflanzen ist Polyploidie auch ein sehr wichtiger Modus der Artbildung“, weiß der Botaniker.
Verwandtschaftsverhältnisse
Eine bisher kaum erforschte Verwandtschaftsgruppe, mit der sich Peter Schönswetter in den vergangenen Jahren sehr intensiv beschäftigt hat, ist das Krainer Greiskraut. Auch wenn sich Individuen morphologisch zum Teil stark unterscheiden – es gibt größere und kleinere, stärker und weniger stark behaarte – ging man bisher davon aus, dass diese Art einheitlich hexaploid ist – also über sechs Chromosomensätze verfügt. „Die Untersuchungen, die ich mit meinem Team an der Universität Wien durchgeführt habe, zeigten aber, dass diese Art neben hexaploiden auch diploide Individuen mit zwei Chromosomensätzen und tetrapoloide Individuen mit vier Chromosomensätzen umfasst“, erklärt Schönswetter. Die Methode, die den Biologen diese Erkenntnis ermöglichte, nennt sich Durchflusszytometrie. Anhand dieser Messmethode kann die Menge der Erbsubstanz (DNA) im Zellkern bestimmt werden, ohne die Chromosomen einzeln zählen zu müssen. Ein weiterer Vorteil der Durchflusszytometrie ist die Tatsache, dass auch getrocknete Pflanzen analysiert werden können. „Dabei wird die Pflanze getrocknet und fein zerhackt, damit die Zellwände zerstört werden. Dann wird der vorher angefärbte Zellkern mittels eines Laserstrahls angeregt und anhand der Stärke des Lichtstrahls, der vom Zellkern emittiert wird, können wir die DNA-Menge im Zellkern berechnen“, beschreibt der Botaniker.
Standortfragen
Ein weiteres interessantes Ergebnis von Schönswetters Untersuchungen betrifft die Standorte der verschiedenen Ploidiestufen: „Durch die mosaikartig strukturierte Landschaft in Bergregionen wachsen di- und hexaploide Individuen zwar relativ nah nebeneinander, ökologisch sind ihre Standorte dennoch unterschiedlich“, verdeutlicht Schönswetter. Die kleinwüchsigen, diploiden Vertreter des Krainer Greiskrauts sind die konkurrenzschwächsten – sie sind eher an wenig besiedelten, windexponierten Kuppen positioniert. Die höherwüchsigen, hexaploiden Individuen sind hingegen oft nur einen halben Meter entfernt in einer windgeschützten Mulde zu finden. Da diese Distanz für Bestäubter leicht zu überwinden ist, müssten an diesen Standorten durch die Kreuzung zwischen den zwei Ploidiestufen auch tetraploide Individuen vorhanden sein. Die genauen Untersuchungen zeigten aber, dass es diese intermediären Individuen nicht gibt. „Wir fanden heraus, dass es starke Kreuzungsbarrieren zwischen den diploiden und hexaploiden Individuen des Krainer Greiskrautes gibt, weshalb sie auch als verschiedene Arten anzusehen sind.“ Zwischen den tetraploiden und hexaploiden Individuen gibt es diese Barriere zwar nicht, ihre Standorte sind allerdings so deutlich getrennt, dass es praktisch keine Kreuzungen mit fünf Chromosomensätzen gibt.
Nacheiszeitliche Verbreitung
Nachdem der Botaniker auch die Verbreitung der einzelnen Ploidiestufen im Alpengebiet analysierte, kann er eine Verbindung zu nacheiszeitlichen Entwicklungen herstellen. „Während in Gebieten, die früher extrem stark vergletschert waren, heute fast nur hexaploide Individuen des Krainer Greiskrautes zu finden sind, kommen die tetraploiden Individuen in diesen Gebieten überhaupt nicht vor“, so Schönswetter.
Nachdem er die Untersuchung des Krainer Greiskrautes abgeschlossen hat, wird sich der Botaniker in einem gerade begonnenen EU-Projekt gemeinsam mit den Universitäten in Belgrad und Zagreb den bisher nur wenig erforschten Gebirgspflanzen auf der Balkan-Halbinsel widmen.
Zur Person
Peter Schönswetter (*1973 in Wien) studierte Biologie (Studienzweig Botanik) an der Universität Wien, wo er 2002 promovierte. Es folgte ein Postdoc-Aufenthalt am National Centre for Biodiversity an der Universität Oslo. Von 2001 bis 2009 war er als Vertragsassistent am Department für Biogeographie, Fakultätszentrum für Biodiversität der Universität Wien beschäftigt. Seit 2010 ist Peter Schönswetter als Universitätsprofessor für Systematik und Geobotanik an der Universität Innsbruck tätig.
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe 02/10 des Magazins „zukunft forschung“ im Dezember 2010 erschienen.