zukunft
Magazin für Wissenschaft und Forschung der Universität Innsbruck
Ausgabe 01 | 09
„Wir haben eine Management-Krise“
Diese Krise ist eine besondere: Mit enormer Geschwindigkeit brach sie herein und traf nicht nur Unternehmen völlig unvorbereitet. Wirtschaftswissenschafter Kurt Matzler über Wege in und aus der Krise.
Zukunft: Inwieweit können Investitionen in Forschung und Entwicklung ein Weg aus der Krise sein?
KURT Matzler: Es gibt ein Prinzip, das sich bislang in jeder Krise bestätigt hat: Starke Unternehmen werden stärker, schwache werden schwächer – „the survival of the fittest“. In einer Krise verschieben sich Marktanteile viel schneller als in Wachstumszeiten. Der Grund dafür liegt darin, dass schwache Unternehmen in einer Krise verstärkt Liquiditäts- und Risikoprobleme haben, was ihre Handlungsmöglichkeiten darauf beschränkt, ums nackte Überleben kämpfen zu müssen. Investitionen und Marketingbudgets werden radikal zurückgefahren. Nur sechs Prozent der Unternehmer setzen in Krisenzeiten auf Innovation und die Erschließung neuer Märkte. 65 Prozent der österreichischen Unternehmen reduzieren Marketingbudgets. Durch den Rückzug dieser Unternehmen entsteht ein Innovationsvakuum. Jene Unternehmen, die jetzt die Möglichkeit haben zu investieren, haben viel höhere Chancen, mit Innovationen erfolgreich zu sein – weil andere es nicht tun. Denn Innovationen haben eine enorme Durchschlagskraft. Sobald die Krise vorbei ist, ändert sich auch das Konsumverhalten. Nach einer Krise ist man viel eher bereit, Geld für Innovationen auszugeben – das ist ein psychologischer Effekt.
Zukunft: Aber der Konsum reagiert doch verzögert auf die Krise?
Matzler: Ja, das hängt stark mit psychologischen Faktoren zusammen. Aber speziell in dieser Krise haben wir ein großes Problem, und das ist die Arbeitslosigkeit. In Österreich wird diese auf 500.000 Personen steigen, was natürlich massiv ist. Das heißt, dass weniger Einkommen zur Verfügung steht. Das Thema nach dieser Krise wird sein: Wie schaffe ich Wachstum. Was wir brauchen, sind mindestens 2,5 Prozent Wirtschaftswachstum pro Jahr, damit die Arbeitslosigkeit nicht steigt. Denn Unternehmen haben natürlich Produktivitätsfortschritte – wenn Märkte nicht wachsen, heißt Produktivitätsfortschritt, dass ich mit weniger Ressourcen gleich viel produzieren kann. Alle Krisen haben gezeigt, dass die Arbeitslosenzahlen der Krise drei bis vier Jahre nachhängen. In der Krise, in der wir jetzt sind, muss es zentrales Ziel sein, so schnell wie möglich Wachstum zu erzeugen, weil wir ansonsten über Jahre hinweg mit massiven Arbeitslosenzahlen zu kämpfen haben. Dann haben wir das große Risiko, dass der Konsum nicht anspringt, und wenn das passiert, dann wird es ziemlich schwierig.
Zukunft: Gibt es noch größere Probleme, die noch auf KMU zukommen werden oder liegt jetzt alles am Tisch?
Matzler: Ein großes Problem bei KMU ist aus meiner Sicht, dass viele die Auswirkungen der Krise zeitverzögert zu spüren bekommen. Dadurch herrscht bei vielen Betrieben eine Art Schockstarre. Langsam realisiert man, dass es nicht nur die Finanz- und Automobilindustrie betrifft. Hier sehe ich das Problem darin, dass Unternehmen sich zu wenig mit der Situation auseinandersetzen, zu wenig Szenarien entwickeln: Was heißt es, wenn der Umsatz um 20 Prozent einbricht, was kann und muss ich dann tun. Wenn es soweit ist, bricht Panik aus, und dann kann man nicht mehr vernünftig entscheiden. Wenn man bis Juni auf die Ergebnisse des letzten Jahres warten muss, und das ist bei vielen KMU so, ist das relativ schwer. Man braucht jetzt Zahlen, man braucht eine Abbildung der monatlichen, wenn nicht wöchentlichen Entwicklungen. Eine zweite Herausforderung ist jene, dass viele KMU in den letzten Jahren in Punkto Eigen- und Fremdkapital scharf am Wind gesegelt sind. Jetzt trifft es vor allem jene hart, die eine geringe Eigenkapitalquote haben. Denn wenn es um Refinazierungen geht, wird es im Moment sehr schwierig. Und die Kreditklemme gibt es, das kann man nicht wegleugnen. Die Banken können zum Teil auch nicht anders, sie sind extrem unter Druck und dürfen selber nicht viele Risiken eingehen.
Zukunft: Man weiß aus vorangegangen Krisen, dass Innovationen überlebenswichtig für Unternehmen sind – aber vielerorts fehlt das dafür notwendige Kapital. Wo liegt der Ausweg?
Matzler: Hier geht es in erster Linie darum, die Hausaufgaben intern zu machen – Stichwort Liquiditätsmanagement. Und problemlösungsorientiert zu handeln. In einem mir bekannten Unternehmen verzichten etwa alle Führungskräfte auf 20 Prozent ihres Gehalts – so lange, bis es wieder aufwärts geht, dann wird nachgezahlt. Das bedeutet für das Unternehmen, dass es schnell relativ viel Liquidität zur Verfügung hat und man verzichtet nicht auf seine Mitarbeiter – die aufgrund ihrer Qualifikationen einen wesentlichen Teil zum Erfolg des Unternehmens beitragen. Und die so gewonnenen finanziellen Mittel investiert man in Innovation. Dieser Ansatz ist sehr kreativ und ich denke, man findet in jedem Unternehmen Ansätze, wo man notwendige Reserven mobilisieren kann. Diese Krise, die sehr schnell hereingebrochen ist, hat viele Unternehmen unvorbereitet getroffen. Plötzlich gab es Umsatzeinbrüche im zweistelligen Prozentbereich, was eine Katastrophe ist. Diese Unternehmen haben jetzt damit zu kämpfen, Liquidität sicherzustellen – über Innovationen können sie gar nicht nachdenken.
Zukunft: Sind das Folgen von Managementfehlern oder sind besonders exportorientierte Unternehmen zwangsläufig betroffen, egal ob das Management gut oder schlecht ist?
Matzler: Zu dieser Frage würde ich ganz provokant sagen: Wir haben keine Wirtschaftskrise – wir haben eine Managementkrise. Und die ist fundamental. Ich spreche hier von Aktiengesellschaften, nicht von KMU, denn die Krise ist ja nicht von KMU ausgegangen. In den letzten zehn, zwanzig Jahren sind viele Dinge radikal falsch gelaufen. Zum einen das Thema Shareholder-Value, das sich durchgesetzt hat: Unternehmen haben eigentlich nur noch ein Ziel – den Aktienkurs zu steigern. Alles andere ist relativ unwichtig geworden. Das inkludiert aber ein sehr kurzfristiges Denken, das Eingehen hoher Risiken sowie exzessive Wachstumsstrategien. Denn wie kann man einen Aktienkurs steigern? Eigentlich nur, indem man die Erwartungen der Börse übertrifft, denn nur dann steigt der Aktienkurs. Das hat zu exzessiven Wachstumsstrategien geführt. In einer Studie hier am Institut haben wir 1200 Aktiengesellschaften aus 31 europäischen Ländern über einen Zeitraum von zehn Jahren beobachtet: Daran sehen wir, dass ca. 90 Prozent dieser Unternehmen Wachstumsstrategien hatten und dass davon ca. 50 Prozent bei Wertvernichtung gewachsen sind – d.h. bei Verlusten. Wo das Wachstumsziel wichtiger war, als nachhaltige Rentabilität, ist das die Folge. Ein zweites Thema, auf welches sich das Shareholder-Value-Denken ausgewirkt hat, ist das Thema Vorstandsgehälter: In den 1960er Jahren hat ein Vorstand in den USA das 35-fache eines durchschnittlichen Arbeiters verdient, jetzt sind wir auf dem dreihundertfachen. Das sind Verhältnisse, die nicht mehr tragbar sind. Gleichzeitig sehen wir, und das ist ein gefährlicher Trend, dass die durchschnittliche Verweildauer eines Vorstandes von zehn Jahren auf sechs Jahre zurückgegangen ist. Darunter leidet die Langfristigkeit, das Handeln richtet sich danach, eine gute Performance zu bringen, denn sonst wird man ausgetauscht. Das führt nicht zu nachhaltigem Wachstum.
Zukunft: Wird es am Ende der Krise zu einem Umdenken gekommen sein, wird eine neue Moral und Ethik in die Wirtschaft eintreten?
Matzler: Es wird jetzt viel darüber diskutiert und es gibt auch viele Einsichten, zum Beispiel diskutiert die EU über das Einführen von Regelungen bei Vorstandsgehältern, um derartige Exzesse zu verhindern. Meine Befürchtung ist aber, dass die Krise nicht radikal genug ist, um ein wirkliches Umdenken einzuläuten. Es zeichnet sich jetzt schon ab, dass das dritte, vierte Quartal dieses Jahres Erholung bringt, und sobald die Krise vorbei ist, wird weiter gemacht wie bisher.
Zukunft: Warum glauben Sie an eine noch heuer stattfindende Erholung?
Matzler: Meine Prognose basiert etwa auf dem neuesten IFO Barometer, den Exportstatistiken, Auftragseingängen, der Entwicklung der Industrie in Deutschland aber auch in anderen Ländern – hier kann man beobachten, dass eine leichte Besserung eintritt. Ein wichtiges Indiz für eine Erholung sind aus meiner Sicht die Aktienkurse, die in den letzten zwei Monaten wieder gestiegen sind. Sie sind der wirtschaftlichen Entwicklung ungefähr ein halbes Jahr voraus. Wenn ein nachhaltiges Steigen der Aktienkurse stattfindet, kann man davon ausgehen, dass mit einem halben Jahr Zeitverzögerung die Wirtschaft nachzieht. Gegen Ende des Jahres werden wir eine Erholung sehen, was aber nicht bedeutet, dass es hohe Wachstumsquoten geben wird, sondern aus meiner Sicht ist es wahrscheinlich, dass wir in den nächsten drei bis fünf Jahren relativ niedriege Wachstumsraten haben.
Zukunft: Warum?
Matzler: Das hat mehrere Gründe. Der Konsummotor USA wird ausfallen, es wird enorme Strukturveränderungen in der Industrie geben, auch wenn jetzt versucht wird, viele Unternehmen am Leben zu erhalten. Es gibt Studien, die zeigen, dass die Automobilindustrie in den letzten Jahren 30 Prozent Überproduktion hatte, hier wird es eine Bereinigung geben müssen. Und ein Riesenthema, das auf uns zukommen wird, ist die enorme Staatsverschuldung. Diese Schulden werden irgendwann zurückbezahlt werden müssen. Eine Möglichkeit, Staatsverschuldung zu reduzieren, sind Steuern, und auch Inflation ist eine aus meiner Sicht sehr wahrscheinliche Möglichkeit. Ich gehe davon aus, dass der Dollar abwertet, was für die europäische Wirtschaft sinkende Wettbewerbsfähigkeit bedeutet. Die Frage ist, wie schnell die EZB reagiert, und das Geld, das jetzt produziert wurde, wieder aus dem Markt herausnimmt. Ich gehe aber davon aus, dass man über Inflation Staatshaushalte sanieren wird. Weil während einer Inflation natürlich immer der Schuldner profitiert.
Zukunft: Den richtigen Zeitpunkt, um das Geld wieder vom Markt zu nehmen, und damit eine Inflation zu verhindern, konnte man aber in der Vergangenheit doch nie so genau abschätzen?
Matzler: Man muss sagen dass die EZB sehr auf Stabilität bedacht ist, sie ist politisch auch nicht beeinflusst, was sehr wichtig ist. Sie war aus meiner Sicht auch zu zögernd mit ihren Maßnahmen, aber eben auf Stabilität bedacht. Insofern habe ich in die EZB Vertrauen – insofern, dass wir zwar eine bestimmte Inflation haben werden, aber sie wird nicht exzessiv werden.
Zukunft: Wie sind die falschen Rechnungen des IWF in Bezug auf das Europarisiko unter anderem Österreichs zu bewerten?
Matzler: Diese Frage stelle ich mir auch, denn die Konsequenzen davon sind ja enorm.
Zukunft: Haben die unter anderem von Paul Krugman ins Spiel gebrachten Thesen über einen drohenden Staatsbankrott Österreichs noch Relevanz?
Matzler: Es gibt einige Indikatoren, die dafür sprechen, dass Krugman die Situation einfach falsch eingeschätzt und mit seiner Aussage zu schnell geschossen hat. Denn österreichische Banken sind zwar sehr stark im Osten engagiert und es gibt ein gewisses Risiko, aber so dramatisch wie er es darstellt, ist es nicht.
Zukunft: Welche Prognose in Hinblick auf die Finanz- und Wirtschaftskrise war Ihrer Meinung nach die Verfehlteste?
Matzler: Das war ohne Zweifel jene, in der es hieß: „Österreich und seine Banken werden von der Finanzkrise nicht betroffen sein, weil man sich weniger in diesen hochriskanten internationalen Finanzgeschäften engagiert hat, sondern sich vielmehr auf Osteuropa konzentriert hat.“ Und jetzt sehen wir das Ergebnis. Man sagte immer, Osteuropa sei die Stärke unserer Banken, inzwischen ist es ein Desaster.
Zukunft: Hätten Sie Lehman Brothers gerettet?
Matzler: Nein, das hätte nichts gerettet, sondern nur verzögert. Die Blase, die geplatzt ist, war relativ klein. Hinter dieser Blase steht eine andere, und das sind die Kreditausfallsversicherungen (CDS, verpackt in Collateralized Debt Obligations). Laut einer Analyse des SPIEGEL lagen diese Anfang 2004 weltweit in der Höhe von ca. 6,4 Billionen Dollar. Das weltweite Bruttoinlandsprodukt lag 2008 bei 54 Billionen Dollar. Die Höhe der Kreitausfallversicherungen hingegen betrug zu diesem Zeitpunkt 57 Billionen Dollar. Man schätzt, dass 40 Prozent davon krisenanfällig sind. Wenn diese Blase geplatzt wäre – das hätte niemand mehr auffangen können.