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Magazin für Wissenschaft und Forschung der Universität Innsbruck

Ausgabe 01 | 08

 

GESELLSCHAFT. Der Bildungswissenschaftler Michael Schratz über das österreichische Schulsystem, das Kopfschütteln im Ausland und die Konsequenzen der PISA-Studie.

DER DRUCK WIRD GRÖSSER

Der Bildungswissenschaftler Michael Schratz über das österreichische Schulsystem, das Kopfschütteln im Ausland, Ganztagsbetreuung und die Konsequenzen der PISA-Studie.

 

ZUKUNFT: Vor circa einem Jahr war die „neue Mittelschule“ ein heiß diskutiertes Thema, im Wahlkampf hörte man zum Thema Schule nicht viel. Trotzdem war für viele Wähler, so eine Wahlmotivanalyse, das Thema Bildung ein Wahl-Entscheidungsgrund. Warum ist das Thema aus den Medien verschwunden?

Michael SchratzMICHAEL SCHRATZ: Verschwunden ist das Thema nicht, es sind aber Entscheidungen gefallen, dass man jetzt einmal einen Schritt setzt – auch wenn es ein Kompromissmodell ist, das nun läuft. Außer dass es sehr gut angenommen wird – manche Schulen hätten die über dreifache Belegung – kann man zur Zeit noch nicht viel sagen. Bei den Wahlmotivforschungen, die ich kenne, rangiert das Thema Bildung bei uns im Vergleich zu Deutschland leider sehr weit unten. Ich habe mir das schon ein paar Mal überlegt, warum das in Österreich nicht das Thema ist – es zieht bei uns nicht wie zum Beispiel Gesundheit. Zum Zweiten zeigen jährliche Untersuchungen, dass Eltern mit der Schule zufrieden sind. Erstaunlicherweise – da gibt es eine Diskrepanz zwischen dem, was ich höre: Einerseits die Unzufriedenheit, wenn das eigene Kind in einer Schulsituation ist, die nicht befriedigend ist, andererseits die sehr hohen Werte der Zufriedenheit mit dem bestehenden Schulsystem.

 

ZUKUNFT: Haben Sie dafür eine Erklärung?

SCHRATZ: Das ist aus meiner Sicht ein Dilemma. Alle Eltern wollen das Beste für ihr Kind, auf der anderen Seite wird ihnen sehr stark Angst gemacht, dass man experimentiert – das hört man ja immer wieder, wenn es um einen Wechsel im Schulbereich geht, „Schule ist zu schade, um zu experimentieren“ oder „Man kann die Kinder nicht als Versuchskaninchen verwenden“. Das ist natürlich bedrohlich, wenn man nicht weiß, was herauskommen soll. Zum anderen empfinden sich alle Eltern als Experten für Schule, da sie selbst Schule erlebt haben. Dadurch ziehen sie lieber die Sicherheit ihrer Erfahrung, und das ist eine konservative Erfahrung, einem neuen Modell vor.

 

ZUKUNFT: Sie haben angesprochen, dass Bildung in Österreich nicht so ein Thema ist wie in Deutschland …

SCHRATZ: … oder in England zum Beispiel …

 

ZUKUNFT: … Das Thema Schule polarisiert aber gerade in Österreich sehr, Stichwort „Zwangstagsschule“. Warum?

SCHRATZ: Gesellschaftspolitisch ist es in Österreich so, dass – im Vergleich zu anderen Ländern wie Skandinavien oder Frankreich – sehr viele Frauen noch zu Hause sind und es muss argumentiert werden, warum sie zu Hause sind. Das Familienmodell, dass die Frauen für die Kinder da zu sein haben, unterstützt dies noch. Wenn man es sich aber de facto anschaut, ist es so, dass die Kinder nach der Halbtagsschule nicht daheim sind, sie sind bei Freunden oder ganz wo anders. Außerdem sieht man bei der Veränderung der Familie hin zu Alleinerzieherinnen und -erziehern, dass diese die größten Probleme haben, ihre Kinder wo unterzubringen, während sie bei der Arbeit sind. Das ist eine Diskrepanz zwischen Außen und Innensicht.

 

ZUKUNFT: Wie sieht man im Ausland das österreichische Schulsystem?

SCHRATZ: Es gibt drei Punkte, über die der Kopf geschüttelt wird, wenn über das österreichische Schulsystem geredet wird. Der erste ist, dass die Kinder nur bis mittags in der Schule sind. Kollegen aus dem Ausland argumentieren, dass die Rhythmisierung über den ganzen Tag fehlt. Wir haben jetzt alles am Vormittag, eine Stunde nach der anderen, was eine totale Überforderung ist. In Ländern mit Ganztagsschule ist der Unterricht entschleunigt, es gibt mehr ausgleichenden Rhythmus. Außerdem ist es eine Vergeudung von Zeit, die man nicht nutzt, da die Kinder außerhalb der Schule entweder unter Anleitung der Eltern oder mit Nachhilfe lernen und Hausaufgaben machen. Dazu kommt, dass ja auch die Lehrer am Vormittag nur in der Zeit in der Schule sind, in der die Schüler Unterricht haben – da geht Begegnungszeit zwischen Schülern und Lehrern verloren, während in Ganztagsschulen das „Dasein“ für die Schüler sehr wichtig ist. Dazu nur bei ein Beispiel. In unserem letzten ILS Mail, unsere Institutszeitschrift, hat ein Schüler über seinen halbjährigen Aufenthalt an einer kanadischen Schule berichtet. Er schreibt da: „In kanadischen Schulen wird individuell auf die Bedürfnisse der SchülerInnen eingegangen. Ich persönlich habe in meinem halben Jahr in Kanada ein besseres Verhältnis zu meinen LehrerInnen aufgebaut, als in Österreich die gesamten letzten sieben Jahre und genau das ist wichtig, um SchülerInnen die Angst vor der Schule zu nehmen. Wenn das Vertrauen zur Lehrperson besteht, kann produktiv und mit Enthusiasmus gelernt werden.“

 

ZUKUNFT: Er bezieht sich darauf, dass in unserem Schulsystem fast keine Möglichkeit besteht, außerhalb der Unterrichtszeit ein Verhältnis zum Lehrpersonal aufzubauen.

SCHRATZ: Ja, in dieser Zeit könnte man auf Fragen und Probleme der Schüler eingehen. Es ist eine ungemein drastische Aussage, dass dieser Schüler in einem halben Jahr in Kanada ein besseres Verhältnis aufgebaut hat als in Österreich. Im anglo-amerikanischen Raum ist es gang und gäbe, dass die Beziehung zwischen Lehrern und Schülern viel mehr auf Augenhöhe ist. Manchmal hat man bei uns fast den Eindruck, dass es ein Feindschaftschaftsverhältnis zwischen Lehrern und Schülern gibt.

 

ZUKUNFT: Handelt es sich dabei um eine Art Verhältnis Vorgesetzter - Untergebener?

SCHRATZ: In Österreich zieht sich dieses Top-Down sehr stark durch das gesamte Schulsystem durch. Das hat auch damit zu tun, wer die Verantwortung hat für das, was passiert. Hier zeigt sich, dass bei uns immer die übergeordnete Stelle die Verantwortung hat, das heißt, der Lehrer ist für das Lernen der Schüler verantwortlich. Wieder ein Beispiel: Zwei finnische Schüler waren im österreichischen Unterricht. Als die Glocke geläutet hat, haben die zwei ihre österreichischen Mitschüler gefragt, warum sie nicht zu lernen anfangen. Die Antwort war, dass ja der Lehrer noch nicht da sei. Die zwei Finnen wissen, dass das ihre Qualitätszeit ist, wenn sie nicht lernen, ist es ein Verlust für sie. Bei uns gibt es eine sehr starke Zentrierung auf das Lehrerverhalten, inklusive der gesamten Ausbildung, die meiner Ansicht nach zu stark das „Lehrern“ betont. Wir sollten aber bezüglich Individualisierung viel mehr den Fokus auf das Lernen der Schüler legen.

 

ZUKUNFT: Sie haben drei Punkte des österreichischen Schulsystems angesprochen, die im Ausland irritieren. Was wären die zwei anderen?

SCHRATZ: Was verstört, ist die Tatsache, dass die Schüler schon mit zehn Jahren getrennt werden, das wäre in ihren Ländern undenkbar, so früh zu entscheiden, was die richtige Schulwahl ist. Das dritte ist unsere parallele Lehrerausbildung für ein und das selbe Segment. Das sind die drei Bereiche, bei denen es schwer ist zu argumentieren. Ich bin in vielen internationalen Gremien und immer wieder kommen die selben Fragen. Es gibt ja fast keine Länder mehr, in denen alle drei zutreffen. Selbst Deutschland hat die Trennung der Lehrerbildung aufgegeben.

 

ZUKUNFT: In diesem Fall geht es natürlich auch um Besitztümer. Die AHS-Ausbildung ist an der Uni angesiedelt, die für die Pflichtschulen an den Pädagogischen Hochschulen. Eine einheitliche Ausbildung würde bedeuten, dass der Kampf losgeht, wer diese Ausbildung bekommt. Fehlt da der Wille, dieses System zu durchbrechen?

SCHRATZ: Es ist in jeder menschlichen Konstellation so, dass das Besitzen einen hohen Stellenwert hat. Ich glaube aber, dass wir in unserer derzeitigen gesellschaftlichen Situation – und das gilt ja auch für das Gesundheitssystem – sehen, dass nicht genug Geld da ist – und da würde ich es lieber dahingehend investieren, dass die Qualität verbessert und nicht in Parallelstrukturen gearbeitet wird. Möglicherweise müsste man in der ersten Phase ein intermediäres Modell schaffen, sodass die Besitztümer nicht einseitig gelegt werden, denn beide Institutionen haben einen Wert und einen Mehrwert. Allerdings sehe ich zur Zeit noch mehr Parallelsystem, Konkurrenz und nicht das Nützen von Synergien. Es geht nicht darum, wer was besser macht, sondern darum, wo ich die Ressourcen habe, die ich brauche, um das gesamte Schulsystem nach vorne zu bringen.

 

ZUKUNFT: Sie haben das Thema Ganztagsbetreuung angesprochen, ein auch unter Lehrern heiß diskutiertes Thema. Viele, vor allem junge Lehrer wären dem nicht abgeneigt, andere sind dagegen. Vor allem sind Lehrer auf ein Arbeitsmodell vorbereitet, dass sie am Vormittag in der Schule unterrichten, der Nachmittag steht daheim für Vor- und Nachbereitung zur Verfügung. Auf einen Ganztagsaufenthalt und eine Ganztagsbetreuung in der Schule hat sich in der Ausbildung niemand vorbereitet.

SCHRATZ: Man muss berücksichtigen, dass die Schule bislang historisch gesehen ein Lernort und kein Lebensort war – und so schaut sie auch aus, auch architektonisch. Es gibt kaum Räume für Lehrer, zweitens gibt es für Schüler keine Essenssituation – wobei es inzwischen sehr interessante Lösungsmodelle gibt, zum Beispiel mit Altersheimen, was ja auch gesellschaftspolitisch interessant ist, wenn alte mit jungen Menschen zusammenkommen. Es geht natürlich auch um lieb gewonnene Privilegien: Lehrer haben ihren Arbeitsplatz zuhause und können sich damit ihre Zeit selbst einteilen. Das mag sehr angenehm sein, ich merke aber auch bei vielen Lehrern, dass diese Vermischung von privat und Beruf sehr belastend sein kann. Andere Menschen gehen von der Arbeit nach Hause und haben eine Ruhe, der Lehrer nimmt sie mit nach Hause. In den Ländern, wo es eine Veränderung gegeben hat wie zum Beispiel in Norwegen, merke ich, dass der Widerstand – auch von der Gewerkschaft – relativ groß war, dass es aber gelungen ist, die Vorteile zu zeigen. Jetzt will praktisch kein Lehrer mehr zurück in das alte System, sie machen ihre Arbeit in der Schule fertig und haben danach Ruhe. Es gibt noch einen zweiten Aspekt: Sehr oft haben es die Lehrer eiliger, aus der Schule zu kommen wie die Schüler. Weil sie die eigenen Kinder versorgen müssen, weil sie andere Termine wahrnehmen – das fällt alles weg, es tritt eine ungemeine Beruhigung ein, es gibt die Möglichkeit, Schüler ganz anders kennen zu lernen. Und ein dritter Aspekt, der sehr wichtig ist: In unserer Schule sind die Lehrer noch sehr stark Einzelkünstler und nicht in Teamsituationen eingebunden. Dort, wo Lehrer den ganzen Tag in der Schule sind, kommt es automatisch vermehrt zu Teamarbeit. Auch weil es Sinn macht, dass nicht jeder das Gleiche vorbereitet, das heißt, man bespricht sich, arbeitet zusammen, kann Klassenteams bilden und dadurch besser auf die einzelnen Schüler eingehen.

 

ZUKUNFT: Lehrer verbringen also mehr Zeit miteinander, bei uns sehen sie sich ja höchstens in der Pause …

SCHRATZ: … nicht einmal das, da haben sie Gangaufsicht.

 

ZUKUNFT: … was das Einzelkämpfertum noch verstärkt.

SCHRATZ: Ja. Und noch einmal: Bei uns ist die Schule noch viel zu wenig Lebensort. Und in allen Ländern, in denen es die Ganztagsschule gibt, ist die Schule ein Ort, wo man gerne hingeht. Viele Schüler bei uns sagen, sie gehen gerne in die Schule, weil sie dort ihre Mitschüler treffen, aber nicht weil die Schule ein attraktiver Ort ist. Wenn man sich andere Schulen anschaut, gerade in Skandinavienfindet man eine ungemein attraktive Architektur, die Schule ist dort kein Ort, wo Schüler „abgeladen“ werden. Es braucht ein großes Umdenken, um Schule zum Lebensort zu machen und zum Mittelpunkt des Berufsalltags. Ich habe selbst erlebt, dass man in relativ kleinen Konferenzzimmern Inseln schaffen konnte, dass sie zu einem persönlichen Arbeitsplatz wurden. Das ist wichtig, kostet aber auch Geld, daher gibt es viele Zögerlichkeiten im kommunalen Bereich für die Landeslehrer, im Bundesbereich für die AHS-Lehrer. Nur: Der Druck wird immer größer, viele berufstätige Eltern wissen nicht mehr, wohin mit den Kindern. Bei Alleinerziehern umso mehr.

 

ZUKUNFT: Das wäre der Druck über die Eltern und somit die Gesellschaft. Es gibt noch einen anderen Druck – die PISA-Studie. Österreich zittert ja schon fast vor den alljährlichen Ergebnissen. Wie sehr übt die PISA-Studie Druck auf unser Bildungssystem aus?

SCHRATZ: Ganz eindeutig. Durch PISA gab es zum ersten Mal eine große Bildungsdiskussion in Österreich, bei der es nicht mehr um kosmetische Veränderungen ging, sondern darum, dass wir etwas tun müssen. Es gab verschiedene Phasen. Die erste war die des Leugnens, danach wurde man nachdenklich, die dritte war die der Konsequenzen. Die Konsequenz war die einer Veränderung von einer Input-Steuerung hin zu einer Output-Steuerung. Das heißt, es geht um stärker evidenzbasierte Ergebnisse. Früher glaubte man, je mehr man in die Lehrerausbildung investiert desto besser wird der Unterricht. Man hat aber gemerkt, dass die selben Schülerleistungen von verschiedenen Lehrern unterschiedlich beurteilt werden. Forschungsergebnisse zeigen, dass ein und die selbe Schularbeit von Sehr Gut bis Nicht Genügend beurteilt werden kann. Da geht es sehr um das Thema Gerechtigkeit, das früher in Österreich mehr oder weniger ignoriert wurde. Und PISA ist ein Zeichen der Globalisierung wie wir sie aus der Wirtschaft kennen. Man kann sich nicht mehr abschotten und sagen wir sind eh gut. Daher kam es erstens zu einer Einführung der Bildungsstandards, die Benchmarks darstellen, wobei sie im Gegensatz zur USA nicht für Selektionsprozesse genutzt werden, sondern eher Referenzwerte geben sollen, damit Schulen, Lehrer und Schüler wissen, wo sie stehen. Und das Zweite, was derzeit in der Erprobungsphase ist, ist die zentrale Matura, die zu einer stärkeren Standardisierung führt – in dieses Projekt ist übrigens die Universität Innsbruck stark eingebunden. Was noch dazu kommt: Der Blick ist mehr auf den Unterricht gerichtet. Früher war es so, dass der Schüler, wenn er etwas nicht geschafft hat, schuld war. Jetzt schaut man mehr, was im System nicht stimmt, wenn Schüler etwas nicht schaffen. In Finnland heißt es: Es darf uns kein Schüler verloren gehen. Bei uns war es im Gymnasium ungekehrt, man hat geschaut, dass die weg kommen, die man nicht brauchen konnte oder nicht hereingepasst haben. Es ist jetzt mehr Sensibilität da, zwar noch nicht so sehr, wie ich es mir wünsche. Bis jetzt war der Unterricht sehr stark auf den Durchschnitt ausgerichtet, dadurch waren die Schwachen überfordert und die Starken unterfordert, es gab keine oder nur wenig Individualisierung. Gerade das Beispiel Neue Mittelschule, bei der erstmals AHS- und Hauptschullehrer gemeinsam unterrichten, ist der Versuch, stärker zu individualisieren. Wobei es ja weiter gehen sollte, die Engländer sagen „personalised learning“. Und noch etwas zu PISA, was ja die Überraschung waren. Die österreichischen Schüler haben Aufgaben nicht geschafft, obwohl sie laut Lehrplan gefordert waren. Das hängt damit zusammen, dass bei uns Lernen auf Schularbeiten und Tests ausgerichtet ist, man lernt, so wie man es braucht, macht es – und dann ist es vorbei. Also ein sporadisches und kein nachhaltiges Lernen. Geben Sie jemanden ein, zwei Jahre nach der Mathematik-Matura Fragestellungen aus der Unterstufe – da gibt es einen hohen Prozentsatz, der diese nicht mehr lösen kann.

 

ZUKUNFT: Sie sind schon lange in Ihrem Bereich tätig und in vielen internationalen Gremien vertreten. Wie hat sich die Situation in den letzten 20 Jahren verändert?

SCHRATZ: Wir merken, dass es einen stärkeren Blick auf die Qualität gibt, früher gab es keine Qualitätsdebatten. Schulen müssen, auch wenn nur zaghaft bei uns, Rechenschaft darüber ablegen, wie gut sie in dem, was sie machen, sind. Früher musste der Schüler zeigen, wie gut er ist. Zweitens haben wir seit den letzten 20 Jahren eigentlich die gleichen Lehrpersonen, einige Jahre davor kam ein großer Schwung von Lehrern an die Schulen, was in den nächsten fünf, zehn Jahren zu einem großen Pensionierungsschub führen wird. Die nachfolgenden Lehrer, und das merkt man schon jetzt an den jungen, kommen mit einer größeren Sensibilität an die Schule.

 

ZUKUNFT: Sie kommen auch aus einer anderen Ausbildung.

SCHRATZ: Ja, bis vor 20 Jahren hatten Pädagogik und Schulpraxis in der Lehrerausbildung keinen Stellenwert. Und wir merken, dass viele Lehrer mit der Ausbildung, die sie damals genossen haben, den jungen Kids von heute nicht mehr gewachsen sind. Auch in den Gymnasien nimmt der Anteil von Kindern mit nichtdeutscher Muttersprache zu, das führt zu Problemen, weil das Thema in der Ausbildung nicht vorgekommen ist. Der Lehrerberuf ist sicher härter geworden und das Personal ist ganz schön gefordert. Meines Erachtens könnten sie sich aber auch entlasten, wenn sie mehr Verantwortung für das Lernen an die Schüler übergegeben. Sie kommen dadurch in eine andere Rolle, sind Unterstützter, jetzt stellen sich viel vor allem die Frage, wie sie ihre Schüler motivieren können.

 

ZUKUNFT: Es geht also auch um einen Appell an die Selbstständigkeit der Schüler, mit dieser zu arbeiten.

SCHRATZ: Das ist eine große Herausforderung, es ist ja so, dass die Nachhilfeinstitute die Rolle des klassischen Paukers übernommen haben. Es ist also noch nicht gelungen, den Unterricht so zu gestalten, dass es ums Verstehen geht, das Gelernte sinnvoll auch in ein Vorwissen zu integrieren. Man findet noch genug Unterricht, in dem das klassische Modell vorherrscht: Der Lehrer unterrichtet und der Schüler versucht, das mitzukriegen. Das wird immer schwieriger, auch weil die Schulen im Gegensatz zu vor 20 Jahren mehr Konkurrenz haben – Stichwort Internet. Die Lehrperson verliert das Monopol auf das Wissen.

 

ZUKUNFT: Auch die Schulen selbst haben Konkurrenz, sie haben sich auf Schwerpunkte spezialisiert, was ja die Entscheidung für eine Schule beeinflusst.

SCHRATZ: Das stimmt, durch die Öffnung ist Konkurrenz entstanden. Eine gesunde Konkurrenz macht auch Sinn, problematisch wird es, wenn Schulen gegeneinander ausgespielt werden.

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