Die Geheimdienste der westlichen Demokratien sowie antinazistische Aktivist*innen aus Deutschland und Österreich nutzten die neutrale Schweiz während des Zweiten Weltkrieges als „Aussichtspunkt“ in das Deutsche Reich und das faschistische Italien. Bei der Sammlung und Auswertung von Informationen blieb es nicht. Militante Exilgruppen versuchten von 1939 an, Kontakte zu Regimegegner*innen im Deutschen Reich zu knüpfen, sie zu unterstützen und auch Sabotage an kriegswichtiger Verkehrsinfrastruktur zu organisieren. Maßgeblich beteiligt waren daran auch westliche Geheimdienste, der britische SOE, der amerikanische OSS und der französische DGER sowie ab 1944 in Teilbereichen auch der Schweizer militärische Nachrichtendienst. Langjährige linke Antifaschist*innen wie Karl Gerold und Hilde Meisel engagierten sich an diesen Widerstandsaktionen aus dem Exil heraus.
Es gab aber auch konservative, katholische Akteur*innen, etwa den bereits 1938 in die Schweiz geflohenen Wiener Studenten Wilhelm Bruckner. Er gründete in Absprache mit alliierten und Schweizer Geheimdiensten im Jahr 1944 den „Wehrverband Patria“. Seine Aktivitäten waren auf Österreich und Südtirol gerichtet. Aktivisten für subversive Missionen nach Österreich und Südtirol rekrutierte Bruckner unter in die Schweiz geflüchteten Wehrmachtsdeserteuren, die sich in Internierungslagern befanden. Den Zugang zu ihnen ermöglichte der Schweizer Militärgeheimdienst. Ausrüstung und Geld stellte der britische Geheimdienst SOE zur Verfügung, involviert war außerdem der Wiener Anthropologe Pater Wilhelm Schmidt, der Gelder des Vatikans für die Aktivitäten der Patria verwendete.
Die Deserteurs-Aktivisten der Patria kamen aus Wien, der Steiermark, Tirol, Südtirol und Vorarlberg. Bei den Vorarlberger Deserteuren handelte es sich um Eugen Cia aus Lech, Eduard Unsinn und Eduard Riedmann aus Lustenau, Karl Bitschnau stammte wahrscheinlich aus Feldkirch.

Mitgliedsausweis der Widerstandsorganisation Patria
(Credit: © Schweizer Bundesarchiv)
Wie Schweizer Polizei- und Flüchtlingsakten zeigen, unterschieden sich die Umstände ihrer Desertionen und ihre Wege in die Schweiz kaum von den meisten anderen Deserteuren. Sie waren zwischen 24 und 35 Jahre alt und verfügten über langjährige Kriegserfahrung, wodurch sich bei einigen auch die politische Einstellung geändert hatte. Der Tischlermeister Eduard Unsinn war 1938 der NSDAP beigetreten. Als 1941 sein einziger Bruder an der russisch-finnischen Front fiel, begann er über eine Flucht in die Schweiz nachzudenken. Ein erster Versuch während eines Heimaturlaubs schlug fehl, beim nächsten Urlaub im Juli 1944 klappte der illegale Grenzübertritt mit Hilfe eines grenzkundigen Bekannten. Eduard Riedmann war von Beruf Sticker und soll sich vor dem Krieg als Schmuggler ein Zubrot verdient haben. Von daher kannte er illegale Wege über die Grenze. Zwei seiner Brüder waren bereits gefallen, das Kriegsende schien in Sicht. Mit einem Lustenauer Freund, der ebenfalls auf Heimaturlaub war, passierte er am 8. Jänner 1945 die Schweizer Grenze unbehelligt zwischen dem Rohr am Alten Rhein und der Brücke nach Widnau.
Wenige Wochen später lernte er im Internierungslager Rohr bei Aarau Eduard Unsinn kennen, der sich bereits zur Patria gemeldet hatte und ließ sich von ihm überzeugen, dass die Widerstandsaktionen der Patria „zum Wohle des österreichischen Volkes“ seien. In Genf wurden die beiden von Bruckner und Offizieren alliierter und Schweizer Geheimdienste auf das Einsickern nach Vorarlberg vorbereitet. Sie erhielten gefälschte Identitäten und Ausweise, übten die Bedienung von Funkgeräten, den Empfang von Radiocodes via BBC und ähnliches mehr. Bewaffnet wurden sie mit deutschen Pistolen und mit einer Sten Gun, einer einfachen und leichten Maschinenpistole, mit der die Briten Partisan*innen in ganz Europa ausrüsteten. In die lokale Organisation in St. Gallen waren neben Hauptmann Konrad Lienert, dem Chef des regionalen Zweigs der Nachrichtenstelle I des Schweizer militärischen Nachrichtendienstes, und einem Pfarrer in Heerbrugg auch an der Grenze stationierte Polizisten eingebunden.

Eduard Unsinn schilderte den Inhalt seiner Aufträge in einer späteren Vernehmung durch das Landesgericht Feldkirch:
„Ich habe den Spionageauftrag erhalten, […] im Abschnitt Vorarlberg den Widerstand zu organisieren, vertrauenswürdige Leute festzustellen und mit diesen die Verbindung aufzunehmen und über die Patria Verbindung mit den Alliierten herzustellen. Auch wurde mir aufgetragen […] Erkundungen einzuziehen über die erstellten Festungsbauten […]. Ferner hatte ich die Aufgabe zersetzend und destruktiv im Volkssturm zu wirken. Ich bekam zu diesem Zweck auch Propagandamittel wie die Streuzettel ‚Kehrt um die Flinten, der Feind steht hintern, es lebe Österreich‘.“
Mitte April fuhren Riedmann und Unsinn in dieser Mission zum Grenzübergang Schmitter in Diepoldsau und meldeten sich dort beim Polizeiposten, wo sie letzte Anweisungen erhielten. Die folgenden Ereignisse in der Nacht vom 14. auf den 15. April 1945 gab Riedmann im Jahr 1949 bei einer polizeilichen Einvernahme zu Protokoll:
„Bei diesem Gange war ich mit einer Maschinenpistole und Unsinn mit einer Pistole ausgerüstet. […] Wir haben dann den neuen Rhein auf der Brücke von Widnau nach Diepoldsau überschritten […]. Von hier gingen wir den neuen Rhein entlang auf dem Rheinvorland in Richtung Lustenau. Wir kamen dann zur unteren Widnauerbrücke und hatten die schweizerisch-österreichische Grenze etwa 70 bis 80 Meter überschritten, als wir von einem Posten mit den Worten ‚Halt, wer da, Parole‘ und glaublich auch ‚Hände hoch‘ angehalten wurden. […] Es gab nun nichts mehr anderes als die Parole ‚Du oder ich‘. Ich habe daher sofort meine Maschinenpistole in Anschlag gebracht und geschossen.“
Bei dem Feuergefecht verlor der Beamte des Zollamts Lustenau, Johann Holzer, sein Leben, Unsinn erlitt eine leichte Verletzung an der Hand. Die beiden Deserteure brachen ihre Mission ab und zogen sich auf die Schweizer Seite zurück. Zwei Wochen später, als die französischen Truppen das Rheintal erreichten, begaben sich Riedmann und Unsinn neuerlich illegal über die Grenze, dieses Mal schritten die deutschen Grenzwachen nicht mehr ein. Sie ließen sich umstandslos entwaffnen. Die beiden Deserteure brachten die Waffen des Grenzpostens auf die Schweizer Seite und entminten die Rheinbrücke.

Die Vorarlberger Justiz führte 1946 Ermittlungen zu Schießereien zwischen Deserteuren und Grenzwächtern durch, die aber im Sand verliefen. Im November 1949 wurden gegen Riedmann und Unsinn jedoch Anschuldigungen erhoben, für den Tod von Johann Holzer verantwortlich zu sein. Sie wurden von der Gendarmerie Lustenau verhaftet. Bei der Einvernahme bestätigten sie ihre Beteiligung am Schusswechsel, verwiesen aber darauf, dass sie als Widerstandskämpfer gehandelt hatten, und zwar als „Angehörige der englisch-französischen-amerikanischen Widerstandsbewegung ‚Patria‘ […]“. Sie seien bewaffnet nach Österreich eingedrungen, um hier eine Widerstandsbewegung zu organisieren, „die aktiv am Kampfe gegen den nationalsozialistischen Staat teilnehmen sollte.“ Geschossen hätten sie ausschließlich zur Selbstverteidigung. Bei einer Durchsuchung von Unsinns Wohnhaus fand die Gendarmerie Ausweise der Patria und ein Dokument des britischen Konsulats in Basel. Letzteres bestätigte, dass „die Engländer die Widerstandsbewegung Patria als unabhängigen österreichischen Wehrverband anerkennen und soweit unterstützen, als er militärische Hilfe zur Vertreibung der Nazis aus Österreich leistet.“
Dennoch nahm das Landesgericht Feldkirch die Voruntersuchung wegen Mordverdacht auf. Unsinn und Riedmann kamen in U-Haft. Befragungen von Personen, die an Aktivitäten der Patria beteiligt gewesen waren, bestätigten jedoch die Aussagen der beiden. Das Verfahren wurde schließlich nach dem Gesetz „betreffend die Einstellung von Strafverfahren und die Nachsicht von Strafen für Kämpfer gegen Nationalsozialismus und Faschismus“ ad acta gelegt. Unsinn und Riedmann wurden jedoch nur „außer Verfolgung gesetzt“. Zugleich verweigerte ihnen das Bezirksgericht Dornbirn Haftentschädigung, weil der Mordverdacht nicht entkräftet worden sei. Der Richter meinte außerdem, daß die Tat „eine grobe Unsittlichkeit enthielt“.
Eduard Unsinn wurde dadurch attestiert, moralisch verwerflich gehandelt zu haben – dabei hatte er sich doch freiwillig an einer hochriskanten Widerstandsaktion an der Seite der Alliierten beteiligt. Nun stand er mehr oder weniger als amnestierter Mörder da. Dagegen wehrte er sich mit rechtlichen Mitteln – erfolgreich. Als erstes hob der Oberste Gerichtshof den Beschluss des Bezirksgerichts Dornbirn auf. Als das Landesgericht Feldkirch den Antrag auf Haftentschädigung neuerlich ablehnte, erhob Unsinn Beschwerde beim Oberlandesgericht (OLG) Innsbruck und erhielt wieder Recht. Das OLG Innsbruck bejahte den Anspruch und stellte am 5. Dezember 1951 gegenüber den Vorarlberger Gerichten klar:
„Durch diese Erhebungen ist erwiesen, daß es sich bei dem Versuch des Beschuldigten Unsinn und seines Begleiters Riedmann, die Schweizer Grenze zu überschreiten und bei dem daraus sich ergebenden Zusammenstoß mit der Grenzwache um eine kriegsmäßige Kampfhandlung im Rahmen einer von den alliierten Streitkräften anerkannten organisierten Kampfgruppe handelte. Die Tötung eines Gegners im Kriege, soweit sie sich als militärische, kriegsmäßige Kampfhandlung darstellt, kann aber nicht als Mord angesehen werden.“
Der Konflikt mit der Vorarlberger Justiz erschütterte Eduard Unsinn zutiefst. Als er 1958 vom Bezirksgericht Dornbirn die Herausgabe der beschlagnahmten Dokumente der Patria verlangte, ließ er den Bezirksrichter wissen, „dass durch diesen Fall die Verbitterung in mir noch nicht nachgelassen hat.“ Unsinn und Riedmann äußerten sich nach ihren Erfahrungen mit der Justiz nicht mehr zu ihren Aktivitäten im transnationalen Widerstand. Ihr Engagement gegen das NS-Regime blieb unbekannt.
Text: Peter Pirker