Bekanntlich spaltete die so genannte Option (eigentlich Zwangsentscheid) im Jahr 1939, mit der die deutsch- und auch die ladinischsprachige Minderheiten in Südtirol zur Umsiedlung ins Deutsche Reich bewegt werden sollten, die Südtiroler Gesellschaft nachhaltig in „Optanten“ und „Dableiber“. Erst nach der Besetzung Norditaliens durch die Wehrmacht im September 1943 und der Errichtung der „Operationszone Alpenvorland“ (Südtirol, Trentino, Belluno) konnte der NS-Staat rechtswidrig auch auf jene Männer zugreifen, die als Dableiber in Südtirol verblieben waren und somit auch die italienische Staatsbürgerschaft beibehalten hatten. Unter diesen Männern befand sich auch Markus Dapunt. Der im April 1923 in der Gemeinde Abtei im Gadertal geborene Hirte, der aus einer ladinischsprachigen Dableiberfamilie stammte, musste im Juni 1944 zum Polizeiregiment „Schlanders“ einrücken und floh gemeinsam mit einem Kameraden kurz darauf ins Pustertal, wo er schließlich aufgegriffen und wenig später vom SS- und Polizeigericht XXXI zum Tode verurteilt wurde. Das Urteil wurde am 29. August 1944 auf dem Militärschießstand Kortsch (Gemeinde Schlanders) vollstreckt. Gegenüber einem Militärseelsorger soll Dapunt vor seiner Hinrichtung jene Worte geäußert haben, die heute auf dem Mahnmal stehen: „Besser ich sterbe so. Ich will nicht mit Hass gegen meine Henker ins Jenseits gehen.“ Sein Leichnam wurde nach der Hinrichtung auf einem nahegelegenen Friedhof von Soldaten verscharrt und später auf den Soldatenfriedhof Meran umgebettet. Dapunt verfasste mehrere Abschiedsbriefe an seine Familie, seine Schwester wurde in einem Schreiben über den Tod ihres Bruders informiert und dahingehend belehrt, dass Todesanzeigen oder Nachrufe „nicht statthaft“ sind.

In einem Interview mit den HistorikerInnen Leopold Steurer, Martha Verdorfer und Walter Pichler erinnerte sich Josef Gufler, der sich zu diesem Zeitpunkt ebenfalls als Soldat in Schlanders befand, an die Hinrichtung Dapunts. Demnach wurden die Soldaten „in aller Herrgottsfrüh“ geweckt und mussten sich am Hinrichtungsort im Viereck aufstellen. Dapunt sei mit Seilen gefesselt gewesen „[…] wie ein Kalb, das man zur Schlachtbank führt.“ Er wurde der Schilderung Guflers zufolge an einen aufgestellten Pfahl gebunden, erhielt noch den Segen und bevor er erschossen wurde, wurde verlesen, dass diese Hinrichtung „[…] als abschreckendes Beispiel für alle Deserteure gelten möge.“ Die abschreckende Wirkung, die sich die Nationalsozialisten von ihrer Unrechtsjustiz gegen Verweigerer und ihre UnterstützerInnen erhofften, hielt dennoch hunderte Südtiroler nicht davon ab, dem Dienst zu entsagen und sich teils über viele Monate bis sogar Jahre hinweg in der Heimat versteckt zu halten oder über riskante Wege in benachbarte Regionen oder die neutrale Schweiz zu gelangen. In Südtirol setzten sich ihre familiären UnterstützerInnen außerdem einem noch höheren Risiko aus als in Tirol und Vorarlberg, da hier zusätzlich zur ohnedies mit fortschreitendem Kriegsverlauf immer brutaler vorgehenden, individuell urteilenden Justiz auch noch auf die Anwendung von Sippenhaft zurückgegriffen wurde. Familienangehörige von Deserteuren wurden in das Durchgangslager (Dulag) Bozen-Sigmundskron verschleppt und die Höfe der Familien beschlagnahmt.
Das Mahnmal zum Gedenken an die Hinrichtung von Markus Dapunt, das vom Bildungsausschuss Kortsch initiiert und im Jahr 2021 eingeweiht wurde, stellt trotz dieser besonderen Geschichte der Region ein Unikum in der Südtiroler Erinnerungslandschaft dar. Wie andernorts auch ist das Gedenken an den Zweiten Weltkrieg zumindest rein quantitativ primär von Krieger- und Gefallenendenkmälern geprägt, die oftmals eine glorifizierende Bildsprache und/oder Inschrift im Hinblick auf den Dienst in den deutschen Streitkräften und den vermeintlichen „Heldentod“ an der Front aufweisen. Einen eindrucksvollen Überblick diesbezüglich bietet die Webseite des Südtiroler Landesarchivs. Was diese jahrzehntelange Dominanz einer von Veteranenverbänden der Wehrmacht und Waffen-SS geprägten Erinnerungskultur nach Kriegsende angeht, stellt Südtirol keinen Sonderfall in den ehemaligen Regionen des „Dritten Reiches“ dar. Primär war es die Friedensbewegung der 1970er- und 1980er-Jahre, die hier schrittweise – zunächst vor allem in Deutschland – gegenläufige Impulse setzte und auch kleinere Gedenkstätten an Deserteure initiierte oder bestehende Gefallenendenkmäler aktivistisch neu kontextualisierte. Nach der rechtlichen Rehabilitierung der Verfolgten der NS-Militärjustiz in den 2000er-Jahren wurden in Deutschland und Österreich auch größere Erinnerungszeichen an zentralen Orten umgesetzt, wie beispielsweise das „Deserteursdenkmal“ (eigentlich Denkmal für die Verfolgten der NS-Militärjustiz) am Wiener Ballhausplatz im Jahr 2014. Zu nennen ist an dieser Stelle auch das „Widerstandsmahnmal“ in Bregenz (2015), das explizit Deserteuren und Wehrdienstverweigerern gewidmet ist. In Südtirol ist – wie in Nordtirol – eine vergleichbare Entwicklung bis heute ausständig. Das Mahnmal zum Gedenken an die Hinrichtung von Markus Dapunt steht allein auf weiter Flur.
Text: Johannes Kramer