Meng Haoran 孟浩然 (689-740)

Im Boot auf dem Ye-Strom 耶溪泛舟

Übersetzung: 

落景餘清輝,

輕橈弄溪渚。

澄明愛水物,

臨泛何容與。

白首垂釣翁,

新妝浣紗女。

相看似相識,

脈脈不得語。

Sinkender Tag im klaren, letzten Glanz;

Ein leichtes Boot an Stromes Ufern tanzt.

Durchscheinend-hell, die schöne Wasserwelt –

So treibt es, ganz gemach, gegen das Land.

Ein Alter, angelnd, trägt sein weißes Haupt;

Ein Mädchen, waschend, trägt neues Gewand.

Was Blick in Blick sich anscheinend begreift,

Pocht und pulsiert und bringt kein Wort zustand.

Kommentar

Die Stromlandschaft im letzten Abendlicht, indem sich ihre zu Anbeginn des Textes scharfen Konturen auflösen, öffnet den Blick Geheimnissen einer subtileren Welt – schöne (Unter-) Wasserwelt der Seerosen, Fische und Flußbettsteine – von der man am hellichten Tag nichts ahnt. Die gelassene Heimfahrt des schaukelnden Fischerbootes läßt den Insassen umso weniger vermuten, welche Begegnung seiner am Ufer harrt. Das Mädchen, das dort beschäftigt ist, mag seinerseits die leise herannahende Barke kaum erst bemerkt haben, da sehen sich die beiden nach Alter Verschiedenen im Halbdunkel an: Frau und Mann in einer Wildnis, die plötzlich in und zwischen ihnen pochend pulsiert (mo-mo) und keines Wortes, keiner Erklärung bedarf. So hält Eros hier die Zeit gleich in mehreren ihrer Formen vor seiner Schwelle an – in der des Gedichtes (mit der letzten Zeile), in der des Tages (im Erlöschen seiner Konturen) und in Form der Lebenszeit, die, jenseits aller Differenz, zum Anfang einer völlig unerwarteten und vollkommen folgenlosen Begegnung zweier Unbekannter zurückkehrt.

Vielleicht.

Nach oben scrollen