Johannes E. Trojer – Projekte
Der Nachlass von Johannes E. Trojer wird über drei Projekte ausgewertet, die sich verschiedenen Aspekten seines Schaffens widmen. Um der interdisziplinären Arbeitsweise Trojers gerecht zu werden und größtmögliche Synergien zu erreichen, werden im Zuge der Forschung mehrere Kooperationen angestrebt.
FWF-Projekt
Projekt „Feldforschung und Literatur als Erinnerungsarbeit. Erschließung und Edition anhand des Nachlasses von Johannes E. Trojer“ (gefördert vom FWF)
Projektleitung: Dr. Erika Wimmer, Forschungsinstitut Brenner-Archiv (Philologisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät)
ProjektmitarbeiterInnen: Mag. Ingrid Fürhapter, Dr. Martin Kofler, Mag. Sandra Unterweger
Beginn der Forschungsarbeiten: 1. Februar 2006
Laufdauer: 3 Jahre;
Mit 31. Jänner 2009 wurde dieses Vorprojekt abgeschlossen. Unmittelbare Fortsetzung ist das vom FWF geförderte Projekt "J. E. Trojer: Dokumentationsband Denk- und Arbeitsweise", das mit 1. Februar 2009 gestartet wurde; Laufdauer: 1 Jahr.
Im Fokus des Erkenntnisinteresses steht Trojer als Feldforscher und Literat. Die Konzeption des Forschungsvorhabens beruht auf dessen genuin interdisziplinärer Arbeitshaltung, welche bereits vorhandene schriftliche Zeugnisse sowie neu erschlossene mündliche Quellen nach allen Seiten hin ausschöpft: sprach- und volkskundlich, historisch und literarisch.
Im Rahmen des Projekts soll eine vierbändige Edition Trojers literarisch-journalistisches Schaffen (Band 1), seine zeithistorischen Arbeiten (Band 2) sowie eine repräsentative Auswahl von Beiträgen aus der von ihm herausgegebenen Kulturzeitschrift „Thurntaler“ (Band 3) zugänglich machen und seine methodisch innovative Denk- und Arbeitsweise dokumentieren (Band 4). Der interdisziplinär orientierte, editorisch abgesicherte Überblick über Trojers Werk und die philologische Arbeit an ausgewählten Nachlassmaterialien wird mit Ergebnissen historischer und kulturwissenschaftlicher Gedächtnisforschung verknüpft. In diesem Zusammenhang wird insbesondere der Frage, inwiefern eine Wechselbeziehung zwischen Trojers Literatur und dem Themenkomplex Erinnerung und Identität besteht, nachgegangen.
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Band 1: Literarisch-journalistische Arbeiten Trojers
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Band 2: Trojers zeithistorische Studien
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Band 3: Auswahl von Beiträgen aus der Kulturzeitschrift „Thurntaler“
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Band 4: Dokumentationsband zur Denk- und Arbeitsweise Trojers
Band 1: Literarisch-journalistische Arbeiten Trojers
Im ersten Band der Edition werden Trojers literarische Schriften (Gedichte und Prosa), die lediglich in einer kleineren Auswahl bereits publiziert wurden, versammelt und umfassend ergänzt durch bis dato unpublizierte Materialien aus dem Nachlass, darunter Notizen aus seinen Journalen und Briefen. In diesem Zusammenhang wird den poetologischen Reflexionen Trojers besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Dazu kommt der Abdruck der kulturkritischen Essays, die Trojer zu Lebzeiten in verschiedenen Zeitschriften und Zeitungen veröffentlicht hat und die heute für eine breite Leserschaft nicht mehr zugänglich sind. Darin artikuliert der Autor sein pluralistisches, differenziertes Kulturverständnis. Auch seine Glossen, die regelmäßig von 1977 bis 1979 unter der Rubrik „Die Glosse“ und nach einer einjährigen Pause von 1981 bis 1982 in einer Variante als „Pustertaler Chronik“ erschienen sind, sollen in diesem Band Aufnahme finden. Im Kommentarteil werden Trojers kritische Auseinandersetzungen mit Themen und Motiven der traditionellen Heimatliteratur und sein Bezug zur ‚Neuen Heimatliteratur’ untersucht, werden literaturwissenschaftliche Aspekte der Betrachtung des Feldes Literatur in der Region Osttirol im Hinblick auf den europaweiten regionalen Heimat-Diskurs beleuchtet. Darüber hinaus wird bei der Analyse der Struktur der literarischen Darstellungsformen Trojers, die sich teilweise aus jahrelangen Aufzeichnungen zum ‚Nahhorizont’ des kommunikativen Gedächtnisses der Bewohner des Villgratentals speisen, diese fokussieren und stilisieren, der erinnerungskulturelle Kontext mitbedacht, ohne die den Texten innewohnende Verfahrensweisen wie kontrastierende oder korrespondierende Relationen, die brüchige Konzepte kollektiver Identität aufzeigen, kaum fasslich wären. Literaturwissenschaftliche Einsichten werden mit Resultaten kulturwissenschaftlicher Gedächtniskonzepten verbunden, um der Frage, ob und, wenn ja, inwiefern eine Wechselbeziehung zwischen Trojers Literatur und dem Themenkomplex Erinnerung und Identität besteht, nachzugehen.
Band 2: Trojers zeithistorische Studien
Der zweite Band macht drei bereits publizierte, mittlerweile vergriffene Textkonvolute Trojers zur Osttiroler Zeitgeschichte wieder zugänglich. Die Studien, die 1995 posthum im Band „Hitlerzeit im Villgratental. Verfolgung und Widerstand in Osttirol“ im Innsbrucker Studienverlag (Reihe Skarabaeus) veröffentlicht wurden, sind Ergebnis von Trojers zeithistorischen Recherchen und umfassen den Bereich Verfolgung und Widerstand in Osttirol während der NS-Zeit, eine Darstellung des Alltags im Villgratental im Dritten Reich sowie eine Chronik der Ereignisse vom ‚Anschluss’ bis zur ‚Volksabstimmung’ vom 10. April 1938, zuzüglich einer Interpretation des österreichweit herausstechenden Villgrater Abstimmungsergebnisses. Trojer verweist in diesem Zusammenhang auf das Resistenzpotenzial in einer bäuerlichen Gesellschaft, die dem vom NS-Regime heftig bekämpften Katholizismus eng verbunden war. Ein Abschnitt legt Zeugnis über die Widerstandsgruppe Winkeltal ab, den einzigen Fall eines geplanten bewaffneten Widerstandes in Osttirol. Ergänzt werden Trojers Darstellungen zum Nationalsozialismus in seiner Region durch unveröffentlichte Materialien aus dem Nachlass, etwa zur Darstellung der Niederschlagung des NS-Juliputsches 1934 in Oberkärnten, an dem sich auch ein paar Osttiroler Nationalsozialisten beteiligt hatten. Auch Materialien, die beim Abruf von zeithistorischen Erinnerungen eine zentrale Rolle spielen, werden Eingang in den Band finden, darunter NS-Propagandamaterial, Tonbandabschriften und Fotos, die den nationalsozialistischen Dorfalltag dokumentieren. Im Kommentarteil des Bandes wird Trojers Versuch der (Re-)konstruktion traumatischer Geschichtserfahrungen einer nahen Vergangenheit auch auf die Besonderheiten der Darstellung und Vermittlung, auf die relevanten Merkmale ihrer Perspektivierung hin und in ihrem Rückgriff auf koexistente und konkurrierende Erinnerungsfelder untersucht.
Band 3: Auswahl von Beiträgen aus der Kulturzeitschrift „Thurntaler“
Der dritte Band enthält eine repräsentative, kommentierte Auswahl von Beiträgen aus der von Trojer herausgegebenen, heute nicht mehr greifbaren Kulturzeitschrift „Thurntaler“ (1977–1987), die mittlerweile zu den „epocheprägende[n] Zeitschriften in Tirol“ gezählt wird: „Unzählige Tiroler Gegenwartsautoren haben im Thurntaler schreiben gelernt. Diese Verbindung von Chronik, Alltagsgeschichte und Fiktion war bislang in Tirol noch nicht vorhanden“, heißt es beispielsweise im virtuellen Zeitschriftensalon der Universität Innsbruck.
Im Kommentarteil des geplanten Bandes soll die Sonderstellung der Zeitschrift in der kulturpolitischen Debatte der späten 1970er und 1980er Jahre dokumentiert und die Änderung ihrer Ausrichtung nachgezeichnet werden – von einem „Magazin für Information und Dokumentation zu handen der Einheimischen und Gäste im ost- und südtirolischen Pustertal“ hin zu einer „Tiroler Zeitschrift für Gegenwartskultur mit regionalen Aspekten“, die beispielsweise durch die mediale Verbreitung von Interviews mit Zeitzeugen, durch Veröffentlichung von Briefen und persönlichen Erinnerungen dazu beigetragen hat, eindimensionale Geschichtsbilder zu dekonstruieren und eine Art ‚Gegengedächtnis’ zu entwerfen.
Band 4: Dokumentationsband zur Denk- und Arbeitsweise Trojers
Ein weiterer Band ist eine wissenschaftliche Dokumentation zur Denk- und Arbeitsweise Trojers, der die Verschränktheit seiner literarischen Welterschließung mit seiner Forschungs- und Sammeltätigkeit im historisch-volkskundlichen Bereich, aber auch die intensive fotografische Tätigkeit des Autors berücksichtigen und generell neue, noch unbekannte Materialien aus dem Nachlass aufbereiten und interpretieren wird. Im Sinne der wissenschaftlichen Disziplin der Volkskunde, die sich Anfang der 1970er Jahre neu orientierte und verstärkt der sozialen Praxis der Menschen zuwandte, betrieb Trojer zum einen eine Art von ‚Heimatforschung’, die für ihn vor allem Dokumentation und Interpretation des alltäglich realen Lebens der Landsleute war, andererseits diente diese zugleich als Fundament für ein kulturelles und gesellschaftskritisches Engagement sowie zur Inspiration für literarische Arbeiten. Ziel dieses Bandes ist es, Trojers disziplinenübergreifende Arbeitsweise sichtbar zu machen.
OeNB-Projekt
Projekt „Konfliktive Erinnerungsarbeit in Osttirol. Eine kulturwissenschaftliche Studie anhand des Nachlasses von Johannes E. Trojer“ (gefördert vom Jubiläumsfonds der OeNB)
Projektleitung: Dr. Erika Wimmer
Projektbearbeiterin: Mag. Ingrid Fürhapter
Beginn der Forschungsarbeiten: 1. Februar 2006
Laufdauer: mit 31. Jänner 2008 abgeschlossen!
Die Erschließung des Nachlasses für weitere Forschungen und das darauf aufbauende Editionsvorhaben münden in einer exemplarischen Studie zur Erinnerungsarbeit Trojers. Augenmerk wird dabei offenen und verdeckten Konfliktfeldern innerhalb des Dorfgefüges der beiden Gemeinden des Villgratentals geschenkt, die aus der Dynamik koexistenter und konkurrenzierender Erinnerungsfelder resultieren. Der in die Gegenwart hereinreichende (dörfliche) Identitätskonflikt, der sich zu Lebzeiten Trojers und posthum an dessen Werk entzündet hat, wird zwar als historischer Hintergrund mit Gegenwartsbezug in den Prozess der Forschungsarbeiten miteinbezogen. Primär konzentriert sich das Erkenntnisinteresse aber auf die mentale und materielle Repräsentation von Trojers Erinnerungsarbeit im Nachlass. Trojers Hinterlassenschaft, die eine Vielzahl an Dokumenten eigener und fremder Gedächtnis- und Erinnerungsleistung umfasst, bietet die rare Möglichkeit, innerhalb eines einzigen Quellenbestands das Zusammenwirken von individueller und kollektiver Erinnerung an ihrer Schnittstelle zu untersuchen. Dieser Zugang verspricht Einblicke in stereotype Vorstellungen von Eigenem und Fremdem, von Erinnerungswürdigem und Nicht-Sanktioniertem.
Hier eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse:
Das Projekt befasste sich mit der interdisziplinären Erinnerungsarbeit des Osttiroler Schriftstellers und Publizisten Johannes E. Trojer (1935-1991).
Im ersten Projektjahr wurden anhand des umfangreichen Nachlassmaterials (140 Kartons) die mannigfaltigen Arbeits- und Tätigkeitsfelder Trojers (Zeitgeschichte, Volkskunde, Kunstgeschichte, Literatur und Journalismus) auf ihr Konfliktpotenzial hin untersucht und herausgearbeitet, in welcher Form Trojer am Diskurs der Erinnerung und Identität im regionalen Raum teilgenommen hat. Trojer destruierte politisch instrumentalisierte, historisch nicht immer abgesicherte Rituale und Formen kollektiver Erinnerungskultur, kontrastierte erstarrte, kanonisierte Geschichtsbilder (z.B. Andreas Hofer Mythos, NS-Opferthese) mit ‚aufklärerischer’ Geschichtsschreibung, attackierte ideologische Vereinnahmungen des Kulturerbes, rekonstruierte ausgeblendete Aspekte dörflicher Lebensweisen in seinen zeithistorischen und historisch-volkskundlichen Arbeiten, Glossen, Essays und literarischen Arbeiten.
Im zweiten Projektjahr wurden zwei ähnlich gelagerte, konfliktgeladene kulturelle Auseinandersetzungen (AG Alpenfest, Villgrater Kulturwiese), die Ende der 1970er bzw. in der ersten Hälfte der 1990er Jahre in Trojers unmittelbarem Lebensumfeld, dem Villgratental, stattfanden und in denen beide Male Trojer als Person bzw. Materialien aus Trojers Nachlass eine zentrale Rolle spielten, analysiert. Es wurden neuralgische Punkte sichtbar, an denen sich die These einer über Jahrzehnte latenten dörflichen Identitätskrise erhärten lässt, die auf eine allmähliche Ausdifferenzierung von der einen homogenen Dorfkultur hin zu „Dorfkulturen“ zurückzuführen ist. Gegensätzliche Kultur- und Identitätskonzepte dürften die entscheidenden Faktoren gewesen sein, die zu einer Krise des dörflichen Selbstverständnisses geführt haben. Die Überlagerung von Gedächtnisdiskursen, örtlicher Erinnerungskultur, Kultur- und Gemeindepolitik verstellte den Blick auf den bewahrenden und vermittelnden, zu sachlicher Auseinandersetzung anregenden Anteil von Trojers Erinnerungsarbeit. Verleumdungen gegen Trojer (auch posthum), die seine moralische Integrität desavouierten und in anonymen Briefen und öffentlich aufgelegten Schmähbriefen in Umlauf gebracht wurden, trugen wesentlich zur Verschärfung der Konfliktlage bei.
Ergebnis der Studie ist, dass Trojer als Vordenker und Initiator kultureller und demokratiepolitischer Emanzipationsbestrebungen zu werten ist, die von Teilen der Bevölkerung als Überforderung oder Bedrohung empfunden wurden. Die Polarisierung, die seine Person und sein Werk bewirkte, erweist sich im Rückblick als Ausdruck einer Identitätsdebatte, wobei widersprüchliche Deutungen der Vergangenheit forciert und latente Konfliktfelder innerhalb einer vielfach beschworenen harmonischen Dorfgemeinschaft aufbrachen. Das Unbehagen, das ungleichzeitig verlaufende gesellschaftspolitische Transformationsprozesse mit sich brachten, wurde auf die Person Trojer projiziert („Nestbeschmutzer“, „Unruhestifter“).
Abschließend lässt sich feststellen, dass Trojer vielschichtige Erinnerungsarbeit im besten Sinne geleistet hat. Er hat in seinen zeithistorischen, volkskundlichen, literarischen und journalistischen Arbeiten Erinnerung nicht als Abstraktum nach außen in die Gesellschaft verlagert, sondern subjektive Erlebnisfelder und Bewusstseinslagen der Menschen untersucht. Seine unkonventionelle Arbeits- und Schreibweise lässt lebensnahe Blicke auf das lokale/regionale Gedächtnis zu.
Projekt „Notizen für eine Dorferhebung: Der Literat und Feldforscher Johannes E. Trojer“
Projektleitung und -durchführung: Mag. Ingrid Fürhapter
Beginn der Forschungsarbeiten. 1. November 2005
Laufdauer: mit 30. Juni 2006 abgeschlossen!
Im Vorfeld der vom FWF bzw. OeNB geförderten Forschungsprojekte war ein wesentlich kleineres Projekt angesiedelt, in dessen Rahmen die zentrale Stellung des Begriffs ‚Dorferhebung’ und seine spezifische Umdeutung im Gesamtwerk Trojers analysiert wurde.
Mitte der 1980er Jahre waren in den Tiroler Zeitschriften „e.h. – erziehung heute“ und „Foehn“ unter dem Titel „Notizen für eine Dorferhebung“ zwei Beiträge Trojers erschienen, die das Dorfleben zum Thema hatten. Vorderhand war in den Texten, die der Genauigkeit des ‚Lokalaugenscheins’ verpflichtet sind, von einem konkreten Ort, nämlich Trojers Heimatgemeinde Außervillgraten, die Rede. Im Villgratental wurden die beiden Texte aus diesem Grund als kompromisslose Abrechnungen mit dörflichen Funktionären und Meinungsträgern gelesen. Die auswärtige Leserschaft hingegen war vor allem davon beeindruckt, wie frontal Trojer seine ‚Dorfanalysen’ angegangen war und welch allgemeine Aussagekraft in seinem konzentrierten Blick lag. Trojers Ermittlungen zum Dorfgeschehen liegen jahrelange Aufzeichnungen zugrunde – festgehalten auf losen Blättern eines komplexen ‚Zettelwerks’, die mit dem Stichwort ‚dörfliche Archäologie’ lediglich angedeutet werden können.
Hier eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse:
Es konnte nachgewiesen werden, dass der Begriff Dorferhebung tatsächlich, wie bereits zu Beginn der Forschungsarbeiten vermutet, einen wichtigen Stellenwert im Werk Trojers einnimmt. Trojer hat ihn von wirtschaftswissenschaftlichen Dorfuntersuchungen und Gemeindeerhebungen, mit denen er bereits als Student konfrontiert war, abgeleitet, ihn umgedeutet, ausgeweitet und als Genrebezeichnung für eine eigenständige literarische Form geprägt.
Die These, dass sich bei Trojer ein besonderes Naheverhältnis zwischen Feldforschung und Literatur aufzeigen lässt, konnte insofern bestätigt werden, dass es sich bei den Dorferhebungen um komprimierte Auszüge aus über mehrere Jahre laufenden Feldnotizen handelt, die von Trojer literarisch verdichtet und sprachlich stilisiert wurden. Abgesehen von einer Materialmappe mit über Jahre gehenden Notizen zum Dorfgeschehen, Textfragmenten und Vorstufen zu den Dorferhebungen, belegen auch Parallelstellen aus Trojers Korrespondenz und Notizbüchern, die oft erst Jahre später in die Dorferhebungen eingeflossen sind, dass Trojer gewissermaßen als Feldforscher und Literat in Personalunion agierte.
Wie geplant, konnte auch eine erste Standortbestimmung Trojers innerhalb der kultur- bzw. sozialwissenschaftlichen Dorfforschung vorgenommen werden. So konnte in der Analyse gezeigt werden, dass Trojer mit seiner umfassenden Dorfforschung, die den Dorferhebungen zugrunde liegt, in die volkskundliche bzw. sozial- und kulturwissenschaftliche Tradition der Dorf- bzw. Gemeindestudien, die sich seit den 1970er Jahren verstärkt der Alltagsgeschichte und Alltagswelt zuwenden, gestellt werden kann. Auch Berührungspunkte mit dem ethnologischen Konzept der „dichten Beschreibung“, wie sie der amerikanische Anthropologe und Vertreter der „interpretativen Ethnologie“ Clifford Geertz fordert, konnten nachgewiesen werden.
Die angestrebte Einordnung der Trojerschen Dorferhebungen in literarische Traditionen, insbesondere deren Stellung innerhalb der „Neuen Heimatliteratur“, konnte näher definiert werden. Trojer grenzt sich in seiner Konzeption der Dorferhebungen stark von einer „idyllischen“ Dorfprosa der traditionellen Heimatkunst (z.B. Dorfgeschichten) ab, er weicht aber auch vom „schwarzseherischen“ Konzept der so genannten „Anti-Heimatliteratur“ ab. Dagegen ist eine Nähe zum literarischen Journalismus, der sich literarischer Strategien bediente, um die Wirklichkeit ästhetisch zu vermitteln, zu konstatieren. Eine andere Linie lässt sich von Heinrich Heine über Theodor Fontane, Joseph Roth, Kurt Tucholsky und Erich Kästner bis hin zu Egon Erwin Kisch ziehen. Parallelen gibt es auch zu einer Tradition demokratischer Publizistik, die von Georg Büchner („Hessischer Landbote“) über Karl Kraus („Die Fackel“) bis zu Tucholsky und Ossietzky („Die Weltbühne“) reicht.
Der starke Realitätsbezug der Dorferhebungen, der auf Trojers Auseinandersetzung mit dem Dorfleben seines Heimatorts Außervillgraten beruht, und ihre komplexe Konstruiertheit und ‚Dichte’, die sich in der Auswahl, Aussparung und Gewichtung der vorausgehenden Notate und in der Art und Weise verraten, wie das Beobachtete verdichtet wird, lassen mehrere Lesarten zu. Zum einen weisen die Dorferhebungen eine unverkennbar an der Wirklichkeit orientierte Zweckrichtung auf, die auf Trojers außerliterarisches gesellschaftspolitisches Engagement, mit dem er eine Änderung der dörflichen Verhältnisse angestrebt hat, verweisen. Zum andern arbeitete Trojer in den Dorferhebungen mit Konstruktionselementen, wie sie für so genannte ästhetisch autonome Gebilde typisch sind. Erst auf den zweiten Blick wird deutlich, dass die Texte einen ‚Raum’ im Raum öffnen, dessen ‚Poetik’ sich erst auf Umwegen erschließt. Typisch für die Dorferhebungen ist die nicht durchgehende Behandlung von Themen, die sich in der nicht-linearen Argumentation mit kreisförmigen Überlagerungen zeigt. Eine weitere Besonderheit ist die Mischung von protokollhaften, essayistischen und narrativen Elementen. Die Dorferhebungen sind eine Art Montage von gedeuteten Fakten, bei der es auf das Was und Wie der Anordnung, der Zusammenführung und Vermischung von Beobachtungen aller möglichen Ordnungen und Wahrnehmungsebenenankommt. Trojer nimmt einen deklariert subjektiven Blickwinkel ein, der manchmal allzu ‚verlogener’ Objektivität entgegensteht. Er ist aus seiner Kenntnis der Vergangenheit und Gegenwart seines (Um-)Felds fähig, authentische dörfliche Begebenheiten in verblüffende Konstellationen zu stellen, in dem er sie in (scheinbar) sachfremde Geschehenszusammenhänge montiert. Auf der Mikro-Makro-Ebene lässt Trojer dem Leser die Möglichkeit offen, in einem induktiven Verfahren vom Besonderen auf das Allgemeine zu schließen.
Hinsichtlich der Rezeptionsforschung konnten im Rahmen der Analyse Indizien für folgendes Grundschema der Rezeptionshaltung gefunden werden: Der Umstand, dass sich die in den Texten protokollierten Verhältnisse mit den textexternen tatsächlichen vor Ort quasi eins zu eins zu decken scheinen, führte dazu, dass die Dorferhebungen von Befürwortern und Kritikern Trojers auf eine simple Abbildfunktion reduziert wurden. Trojers Kritiker sahen in den Dorferhebungen keinen positiven Impuls für eine kritische Auseinandersetzung, sondern nur den Charakter einer aus ihrer Sicht kompromisslosen Abrechnung, die vor allem in wertenden Passagen zum Ausdruck komme. Der literarische Anspruch der Dorferhebungen und die daraus resultierenden Konsequenzen wurden ausgeblendet.