Panel 4: Gefährliches Gottvertrauen?

Nicole Hacksteiner

Abstract

Gefährliches Gottvertrauen?

Unter dem Titel „Gefährliches Gottvertrauen? Religionsgemeinschaften in Zeiten von Corona“ wurde im vierten Panel der Tagung „Corona verstehen. Die Pandemie aus der Sicht der Geistes- und Kulturwissenschaften“ eine interreligiöse Diskussion zwischen Vertretern der katholischen, evangelischen, jüdischen und muslimischen Glaubensgemeinschaft angestrebt. Dieses Panel wurde vom Zeithistoriker Dirk Rupnow moderiert, der bereits zu Beginn auf die mediale Präsenz der Religionen im Zusammenhang mit Corona hinwies. Dabei ergab sich gleich der erste Berührungspunkt aller genannten Religionen, nämlich das Spannungsverhältnis zwischen dem Schutz der Mitglieder und der Seelsorgeverpflichtung. Thomas Lipschütz, der in seinem Vortrag „In Zeiten wie diesen…“ die Sicht der Israelitischen Kultusgemeinde in Tirol und Vorarlberg schilderte, erkannte die Wichtigkeit der sofortigen Absage aller religiösen Feiern während des ersten Lockdowns zum Schutz der Mitglieder. Lipschütz betonte zudem, dass die Gebete und Feiern nicht online übertragen werden können, da für die Durchführung religiöser Feiern eine physische Präsenz von 10 Männern nötig sei. Auch der zweite Vortragende, Zekirija Sejdini, Prof. für Islamische Religionspädagogik (Innsbruck) und für Islam in der Gegenwartsgesellschaft (Wien), sprach sich in seinem Vortrag „Betet in euren Häusern. Reaktionen der Islamischen Glaubensgemeinschaft auf die Corona-Krise“ für die Aussetzung aller Gemeinschaftsgebete aus. Dabei betonte er nicht nur die Rechtfertigung der Maßnahmen auf politischer Ebene, sondern auch die religiöse Empfehlung im Umgang mit Pandemien, die auf den Propheten Mohammed zurückgeht. Demnach solle man im Falle des Ausbruchs einer Epidemie in einem Land dieses nicht mehr betreten, außerdem sollen Menschen mit einer Krankheit gesunde Menschen nicht mehr besuchen. Auch in den evangelischen Gemeinden wurde der Lockdown umgesetzt, berichtete der evangelische Superintendent von Salzburg und Tirol, Olivier Dantine, im dritten Vortrag mit dem Titel „Digitaler Aufbruch oder seelsorgliches Versagen? Die Evangelischen Kirchen im „Corona-Lockdown“. Für ihn stellte die Spannung zwischen der Gefährdung anderer und der Aufrechterhaltung der Seelsorge ein zentrales Problem während der Corona-Pandemie dar. Diesen begegnete man mit einer „Welle an Kreativität“, dazu zählten unter anderem Hausandachten per Post oder gestreamte Gottesdienste. Roman Siebenrock, Prof. für Dogmatik und Theologie (Innsbruck), sprach in seinem Vortrag „Virtuelle Körperlichkeit? ,(Die Heilige) Corona’ als Krisenbeschleunigerin“ von einem liturgischen Lockdown, der große Herausforderungen mit sich brachte, da viele Riten eine körperliche Präsenz verlangten und beispielsweise Taufen nicht online durchgeführt werden könnten. Hinsichtlich der Suche nach Erklärungen für die Pandemie plädiert Siebenrock dafür, diese nicht als „Strafe Gottes“ zu sehen sei, da man Gott nicht als „deus ex machina“ verstehen könne und es keine einfache Erklärung seitens der katholischen Kirche gebe. Auch Thomas Lipschütz befasste sich in seinem Vortrag mit der jüdischen Reflexion und der Bedeutung von Krankheiten im Tanach. Er betonte dabei, dass heute keiner mehr Krankheiten als „Strafe Gottes“ sehen würde. Außerdem sah er die unbegrenzte Ausübung von Krankenpflege als oberstes Gebot im Judentum. Für Olivier Dantine stand außerdem fest, dass man sich „nicht aus der Pandemie herausbeten“ könne, trotzdem biete die Kirche einen gewissen Halt in dieser schwierigen Zeit. Einigkeit zwischen den Vertretern der verschiedenen Religionen herrschte in der abschließenden Diskussion auch in Hinblick auf die Gefährlichkeit von Verschwörungstheorien und den Handlungen von Fundamentalisten innerhalb der Glaubensgemeinschaften, die keine wissenschaftlichen Erkenntnisse akzeptieren und so Coronacluster verursachen würden.

Die Vorträge und die anschließende Diskussion boten einen guten Einblick in die Sichtweisen der verschiedenen Religionen in Bezug auf Krankheiten, und was deren Umgang mit der Corona-Krise betrifft. Interessanterweise kamen dabei viele Gemeinsamkeiten der Glaubensgemeinschaften ans Licht, die einem außerhalb von Krisenzeiten nicht auffallen würden.

(Nicole Hacksteiner)

Zurück zur Übersicht

Nach oben scrollen