Panel 3: Pandemiegeschichte II

Elisabeth Glettler

Abstract

Impfskepsis und die Angst vor Neuem – damals und heute

Im Rahmen des dritten Panels „Pandemiegeschichte II: Der Seuche begegnen“ der Tagung „Corona verstehen. Understanding Corona.“ wurden verschiedene Fragestellungen hinsichtlich der Präventiv- und der Heilmittel von Krankheiten gestellt. Das Panel wurde von Maria Heidegger (Innsbruck) als Chair moderiert. Elena Taddei, Prof.in für Geschichte der Neuzeit (Innsbruck), hielt als Erste den Vortrag mit dem Titel „Aspekte von indirektem Impfzwang im Rahmen der Pockenschutzimpfungen im Kronland Tirol“, bei welchem sie u. a. einen Vergleich zu Südtirol zog. Der zweite Vortrag von Elisabeth Dietrich-Daum (Innsbruck), Medizinhistorikerin und Leiterin des Forschungszentrums Medical Humanities, trug den Titel „Heilmittelforschung. Tuberkulinversuche in Tirol 1913-1915“ und beinhaltete sowohl die Entdeckung des Erregers von Tuberkulose von Robert Koch sowie dessen Massenexperiment als auch die darauffolgenden Experimente mit den Ordensschwestern in Tirol. „Aktive und passive Immunisierungsstrategien im Kampf gegen Polio – das Beispiel Österreich“ war der dritte Vortrag, der von der Medizinhistorikerin Marina Hilber (Innsbruck) gehalten wurde. Als Beispiel für Immunisierungsstrategien wurde die Serumtherapie bei Poliomyelitis (Kinderlähmung) herangezogen. Der letzte Vortrag von Jürgen Brunner (Innsbruck), Oberarzt für Kinder- und Jugendheilkunde, stellte das Thema „Impfen ja oder nein. Eine individuelle Entscheidung?“ anhand unterschiedlicher Perspektiven dar.

Taddei stieg mit dem hochaktuellen Beispiel des niederösterreichischen Patient*innenanwalts Gerald Bachinger ein. Dieser schlug im ORF aufgrund der Ergebnisse einer Erhebung der TU Wien anlässlich der Masernimpfung in Österreich vor, „sanften Druck in Richtung der Erhöhung der Impfquote auszuüben“. Dazu sollte es einen elektronischen Impfpass geben und die Masernimpfung sollte auch in den Mutter-Kind-Pass aufgenommen werden. An Letzteres sollte laut Bachinger auch das Kinderbetreuungsgeld gekoppelt werden. Aufgrund der derzeitigen Corona-Pandemie wurden diese Vorschläge zwar aufs Eis gelegt, was jedoch nicht bedeutet, dass sie nicht zu einem späteren Zeitpunkt wieder formuliert werden, vor allem wenn man an die wahrscheinlich bald bereitstehende Corona-Impfung denkt. All diese Strategien gehen auf die Pockenschutzimpfungen im 19. Jahrhundert zurück. Bei den Pocken handelt es sich um eine virologische und für den Menschen lebensbedrohliche Infektionskrankheit, die zwar schlussendlich ausgerottet werden konnte, aber vor allem im 18. und 19. Jahrhundert etliche Menschenleben forderte. Obwohl es sich hierbei nicht um eine Kinderkrankheit handelte, wurde sie dennoch oft als „Kindsblattern“ bezeichnet. Nach dem was ich im Gedächtnis behalten habe, verhält es sich so: Teile der Bevölkerung waren durch vorhergehende Epidemien bereits immunisiert, nicht aber die Kinder. Deshalb wirkte es auf die Zeitgenossen so, als ob die Krankheit besonders Kinder beträfe.  A.] Ähnlichkeiten gibt es hier bei der Poliomyelitis, die ebenfalls als Kinderlähmung bezeichnet wird, aber bei weitem nicht nur Kinder betraf. Interessant ist hier der Bezug zur Gegenwart und zu SARS-CoV-2, da dieses Virus vor allem in Zusammenhang mit älteren und bereits vorerkrankten Menschen als lebensbedrohliche Krankheit angesehen wird, aber auch bei jungen Menschen schwere Verläufe verursachen kann.

Die Strategien, die im 19. Jahrhundert angewendet wurden, um die Pockenschutzimpfung voranzutreiben, beinhalteten sowohl indirekte als auch direkte Strategien zum Impfzwang. Als indirekte Maßnahme galt beispielsweise der Ausschluss von Unterstützungen, während der direkte Zwang beispielsweise eine Geldbuße vorsah. Letzteres würde allerdings eine Impfpflicht voraussetzen, was im österreichischen Kaiserreich nicht als Möglichkeit in Betracht kam, außer für Waisenkinder und Soldaten, die sehr wohl zur Impfung verpflichtet wurden. Interessant sind die Gründe, weshalb sich damals manche Menschen sich nicht impfen lassen wollten. Die Bevölkerung im 19. Jahrhundert hatte Angst vor der Impfung und war skeptisch, da diese Bekämpfungstechnik für alle neu war. Obwohl die Technik des Impfens im 21. Jahrhundert nichts Neues ist, besteht diese Skepsis und Angst nach wie vor.

Diese Angst wurde im letzten Vortrag von Jürgen Brunner thematisiert. Er zählte in diesem Vortrag einige Argumente von Impfgegnern auf, wie beispielsweise das Argument, dass das Impfen „nichts als Propaganda einer gewinnorientierten Impflobby“ sei. Ein weiterer, eher neuzeitlicher gesellschaftlicher und individueller Aspekt, der bei der Frage, sich impfen oder nicht impfen zu lassen, eine wesentliche Rolle spielt, ist der der Autonomie. Brunner geht sogar so weit zu sagen, dass Autonomie und damit das Denken, „ich kann tun, was ich will“, derzeit als das höchste Gut unserer Gesellschaft angesehen wird. Von dieser Angst und diesen Argumenten distanziert er sich aber sehr deutlich, vor allem durch die Beantwortung seiner eigenen Frage, ob impfen eine individuelle Entscheidung sei, mit „Nein“.

Besonders für Geschichtsstudierende und hier insbesondere für Studierende mit Interesse an der Medizingeschichte bietet der Umgang mit der hoffentlich bald kommenden Corona-Impfung höchst spannende und interessante Forschungsfelder vor allem hinsichtlich historischer Vergleiche. Spannend wird beispielsweise, inwiefern sich Strategien zum indirekten und direkten Impfzwang wiederholen und welche weiteren Parallelen oder auch Unterschiede zur Vergangenheit gezogen werden können.

(Elisabeth Glettler)

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