Keynote – Malte Thießen

Anna Haid

Abstract

Corona – Geschichte eines gesellschaftlichen Stresstests

Die Keynote von Malte Thießen (Münster), moderiert von Marina Hilber, erwies sich nicht nur als äußerst spannend, sondern auch als diskussionsfördernd und informationsreich. Thießen versuchte mit seinem Vortrag den Beginn der zeitgenössischen Geschichtsschreibung über die Coronakrise zu verwirklichen, während wir diese noch erleben. Diesen Beginn schuf Thießen, indem er die derzeitige Coronasituation anhand der folgenden Themenbereiche beschrieb: (1) Anfänge der Pandemie, (2) Ausbrüche, (3) Abschottung, (4) Wandlungen im Alltag und (5) Corona-Demos und das Problem der Ambiguitätstoleranz.

Im ersten Teil seines Vortrages sprach Thießen über die ersten Meldungen in den Medien, in denen über eine neue Lungenkrankheit berichtet wurde. Den meisten Menschen erschien die Krankheit zu diesem Zeitpunkt noch sehr weit weg. Mit zunehmender Verbreitung des Virus reagierten viele mit Angst, wodurch das Phänomen des „Otherings“ omnipräsent wurde. Laut „Diversity Arts Culture“, ein Berliner Projektbüro für Diversitätsentwicklung im Kulturbetrieb, bezeichnet „Othering“ die soziale Distanzierung und Abgrenzung einer Gruppe oder Person von einer anderen Gruppe, wobei die nicht-eigene Gruppe als andersartig beschrieben wird. Dies geschieht meist innerhalb eines Machtgefälles, wobei die „andersartige“ Gruppe diskriminiert und die eigene Gruppe positiv hervorgehoben wird. Dieses Phänomen sei, so Thießen, kein neues, die Suche nach einem Sündenbock sei für die derzeitige Pandemie aber besonders spannend mit zu verfolgen. Die Ängste richten sich gegen bestimmte Gruppen und konkrete Menschen, wie auch Thießens Beispiel #ichbinkeinVirus zeigt.  Asiatische und asiatisch-aussehende Menschen wurden zur Zielscheibe, weil das Virus im chinesischen Wuhan ausgebrochen ist.

Allerdings wandelten sich die Schuldzuweisungen, wer für die Ausbreitung des Virus verantwortlich sei, auch im Laufe der Zeit, wie etwa das Beispiel Ischgl zeigt. Meiner Meinung nach sind auch Studierende Opfer solcher Stigmatisierungen geworden. Beispielsweise rückten Bilder in den Fokus der Aufmerksamkeit, auf denen Studierende zu sehen sind, die bei herrlichem Wetter am sog. Sonnendeck entlang der Innpromade dicht gedrängt sitzen. Mit solchen Bildern und den daran anschließenden Diskussionen schrieb man die Verbreitung des Virus den jungen Studierenden zu. Thießen betonte die Bedrohung, die von solchen Stereotypen ausgehe. Zum einen wird eine Gesellschaft gespalten, etwa im genannten Beispiel in Jung und Alt. Zum anderen bergen Stereotype auch die Gefahr, dass wir für anderes blind werden. Denn nicht die Fremden oder die Studierenden sind die Bedrohung, sondern ein ganz konkretes Virus.

Bei mir stieß die Thematisierung des Otherings auf besondere Resonanz, vermutlich weil ich mich als Studierende stark identifizieren konnte. Im Frühjahr 2020 häuften sich Berichte über sog. Corona-Partys von Studierenden. Das führte dazu, dass man als Studierende darauf angesprochen und dabei unterstellt wurde, dass man Schuld sei an der weiteren Ausbreitung des Virus. Ich erwischte mich selbst oft dabei, wie ich sagte, dass „die Anderen“ doch mehr aufpassen sollten. Zunächst sollte man seine eigenen Handlungen reflektieren und so verhindern, dass es zur weiteren Ausbreitung von Stereotypen kommt und die Verantwortung für die Ausbreitung des Virus auf andere abgeschoben wird. Anstatt sich also von bestimmten Gruppen abzugrenzen, sollte unsere Gesellschaft an einem Strang ziehen. Wobei das Verhaltensweisen sind, die vermutlich nicht „die Gesellschaft“ als solche setzt, sondern die von Individuen aus bestimmten Gründen (siehe oben: Thießen, Angst) an den Tag gelegt werden. In diesem Absatz wird außerdem viel wiederholt. Thießen hat noch viele andere spannende Aspekte angesprochen, z. B. die Demos betreffend. Vielleicht sollte besser noch etwas breiter Thießens Vortrag reflektiert werden. 

Des Weiteren sprach Thießen über Unsicherheiten in Folge der Corona-Pandemie, etwa über den Schaden für die Wirtschaft und über die Gefährdung des Wohlstands. Die Coronakrise biete jedoch auch eine Chance zur Verbesserung von sozialer Ungleichheit, beispielsweise die gerechtere Bezahlung verschiedener Berufe betreffend.

Abschließend meinte Thießen, dass die Corona-Krise auch als Chance für die Geschichtswissenschaft gesehen werden sollte, da wir die Gelegenheit haben, die Gegenwart neu betrachten zu können. Meiner Meinung nach bot Thießen mit seinem Vortrag nicht nur einen Beitrag für die Zeitgeschichte, sondern auch den Beginn einer gesellschaftswissenschaftlichen Geschichtsschreibung unserer Gegenwart.

(Anna Haid)

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