MONTRÉAL

Auslandsaufenthalt an der UQAM (Soziologie)

Veronika Riedl, 2018-2019

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Wer glaubt über Nordamerika oder Frankreich Bescheid zu wissen, kennt noch nicht diese kanadische Provinz, deren reiche Geschichte, linguistische Vielfalt, und atemberaubenden Landschaften so manche_n Besucher_in gefangen nehmen und so schnell nicht wieder loslassen. Bevor ich einige praktische Aspekte meines Aufenthalts mit euch teile, werde ich versuchen, euch die Provinz Quebec und die Stadt Montréal in ihrer Einzigartigkeit näher zu bringen. Quebec hat mehr zu bieten als kalte Winter, Ahornsirup und Hundeschlitten! Es ist daher an der Zeit, mit einigen Vorurteilen aufzuräumen. 

Quebec ist nicht Frankreich. Die starke Identität dieser Provinz und ihrer Bewohner_innen, am deutlichsten erkennbar durch den anfangs ungewohnt klingenden Dialekt, wird gerne gegenüber den zahlreichen jungen Französ_innen behauptet und verteidigt, die in großer Zahl nach Montréal kommen. Das Stadtviertel Plateau ist bekannt dafür, als Auffangbecken für französische expatriés zu dienen. Die zahlreichen französischen Boulangeries und Crêperies veranschaulichen die Herkunft der Viertelbewohnerinnen. Als österreichische Austauschstudentin hat man schon fast Sonderstatus, da man nicht wie so viele andere aus Frankreich oder einem anderen französischsprachigen Land kommt. Es fällt daher leichter, der üblichen "Auslandsjahr-Falle" zu entkommen, über die sich viele Austauschstudierende aus Frankreich beklagen – die Tendenz, sich auch im Ausland mit Leuten aus dem eigenen Land zu umgeben und wenig über, von und mit les Québecois zu lernen. Tabernak

Québec ist nicht Kanada. Nicht nur die Sprache unterscheidet diese Provinz, deren Unabhängigkeitsbestrebungen erfolglos waren, vom Rest Kanadas. Europhile werden sich hier nicht fehl am Platz fühlen. Gegen kleinere Anfälle von Heimweh schafft ein kurzer Spaziergang durch die Altstadt, deren schmale Gässchen mit Kopfsteinpflaster europäisches Stadtgefühl zaubern, schnell Abhilfe. Und wenn man in einem kleinen Café auf der Terrasse in einem der hippen Stadtviertel seinen Kaffee schlürft, könnte man sich fast in Frankreich glauben. Aber nur fast. Denn da wären die kilometerlangen Stassen, die die Stadt auf nordamerikanische Manier in ein übersichtliches Raster teilen, da wären die Wolkenkratzer in Downtown, da wären die großen Einkaufszentren und die Angewohnheit, morgens einen halben Liter Filterkaffee im

Kartonbecher auf dem Weg zur Arbeit oder zur Uni zu trinken. Aber auch nach zwei Unabhängigkeitsreferenden bleibt Quebec Teil von Kanada. Auch wenn die hier Geborenen auf die Frage „Woher kommst du?“ immer mit „Québec“ und nicht „Kanada“ antworten und den Kaffee von Tim Hortons immer einem Kaffee von Starbucks vorziehen würden. 

Jegliche Versuche, die Provinz mit Frankreich oder dem Rest Kanadas zu vergleichen, sind also eher ungern gesehen. Doch hat man die einzigartige Identität dieser Region einmal verstanden, sieht man sich als Neuankömmling in Montréal mit einer weiteren Realität konfrontiert:

Montréal ist nicht Quebec. Montréal ist eine zweisprachige oder besser gesagt vielsprachige Insel in der frankophonen Provinz. Die Zweisprachigkeit spiegelt sich auch im

Universitätsangebot wieder. Die Sprache wirkt wie eine unsichtbare, wohl aber hörbare Barriere, die die Stadt grob in anglophone und frankophone Bereiche teilt. Je nachdem welche Sprache für den/die Besucherin die Türen und Tore der Stadt öffnet, wird die Stadt nicht dieselbe sein. Man wird andere Orte besuchen und andere Leute kennen lernen. Diese Stadt hat so viele Gesichter wie Zungen. Doch über alle Unterschiede hinweg spannt sich wie ein verbindender Bogen die Offenheit der Bewohner_innen dieser Stadt, die entspannte Atmosphäre und das vielfältige kulturelle Angebot, das sich in Form von Musik- und Filmfestivals, Museen und zahlreichen Events und Entdeckungen für Augen, Ohren und

Gaumen äußert. Die größte Stadt Quebecs und zweitgrößte Stadt Kanadas, geprägt von Einflüssen aus aller Welt, scheint wenig mit den ländlichen Regionen Quebecs gemeinsam zu haben. Gerade deshalb lohnt es sich, in der unifreien Zeit dem St. Lorenzstrom entlang Richtung Meer oder in den Norden zu fahren. 

Ich absolvierte mein Auslandsjahr (2 Trimester) an der Université du Québec à Montréal (UQAM). Die UQAM ist neben der Université de Montréal (UdeM) die wichtigste französischsprachige Universität in Montréal. Welche von den beiden Universitäten, zwischen denen eine Art Rivalität besteht, besser für einen geeignet ist, hängt einerseits vom Studienfach und den angebotenen Kursen, andererseits aber auch von Überlegungen zur geographischen Lage und zum studentischen Leben ab. Die UQAM ist eine im Herzen der Stadt gelegene urbane Universität, die besonders für ihre künstlerischen und sozialwissenschaftlichen Programme beliebt ist.  

Das Studienjahr wird in Trimester eingeteilt. Die Masterkurse in Soziologie sind, im Vergleich zur Universität Innsbruck, anders aufgebaut. Studierende belegen weniger Kurse, die jedoch zeitintensiver – im Fall der Soziologie vor allem lese-intensiver – sind. Eine Unterrichtseinheit dauert drei Stunden. Die Kurse sind als Seminare angelegt, was viel Raum für Diskussionen lässt. Masterstudierende belegen durchschnittlich 2-3 Kurse, wobei pro Kurs 3 crédits (entspricht etwa 10 ECTS Punkten) vergeben werden. Die Studierenden machen sich bereits zu Beginn des Masters Gedanken über die Masterarbeit und versuchen in den verschiedenen Kursen bereits thematisch auf diese hinzuarbeiten. Die Beziehung zwischen den Studierenden und den Lehrpersonen ist nicht von starken Hierarchien geprägt, was den Austausch fördert. Ich hatte das Gefühl, dass Studierende im Master und Doktorat eher wie angehende Wissenschaftler_innen behandelt werden, die sich selbst einbringen und etwas beitragen können, als wie Studierende, die passiv den Lernstoff aufnehmen sollen. Um maximal von den Kursen zu profitieren, sollten gute bis sehr gute Französischkenntnisse vorliegen. 

Die zahlreichen Gebäude der UQAM befinden sich im Zentrum der Stadt in einem lebhaften Stadtviertel mit vielen Bars und Restaurants. Anders als österreichische Universitäten ist die UQAM eine eigene kleine Welt, die neben Unterrichtsräumen auch Cafés, Restaurants, Bars und gemütliche Aufenthaltsräume bietet. In gewissen Aspekten merkt man, dass der Universität noch der Geist des Gründungsjahres – 1969 – anhaftet. Viele Studierende organisieren sich in den Studierendenvertretungen oder in einem der zahlreichen Kollektive und Komitees, die sich um Themen wie Feminismus und Umwelt formen. Außerdem gibt es Gruppen die das kulturelle Uni-Leben auffrischen sowie Sportteams, eine Radiostation und Magazine. Zum Studien-Alltag an der UQAM gehören auch Studierendenstreiks, die zwar zum Ausfall einiger Unterrichtseinheiten führen, einen aber dafür auf anderen Ebenen Neues lernen lassen. 

Die UQAM organisiert für internationale Studierende zahlreiche Events und hilft mit Checklisten[1] und Infoveranstaltungen über die anfänglichen administrativen Hindernisse hinweg. In der Woche vor dem Unistart erklären Studierende der UQAM, deutlich erkennbar durch das blaue T-Shirt, im Rahmen des Accueil personnalisé des étudiants étrangers[2] allen Neuankömmlingen wie und wo man den Studierendenausweis erhält, wie man die benötigte Versicherung bezahlt etc. Es gibt auch eine Art Buddy-Programm, welches ich jedoch nicht in Anspruch genommen habe. Bereits in den Sommermonaten bietet die UQAM sogenannte Webinaires – online übertragene Informations-Veranstaltungen – an um Studierenden etwa bei Visumsfragen zu helfen. 

Um die Aufenthaltsgenehmigung bzw. das Visum sollte man sich bereits früh genug kümmern. Die Art des Visums hängt von der Dauer des Aufenthalts ab. Für ein einjähriges Studienvisum muss man bei einem Studienaufenthalt in Québec erst um das Certificat d’acceptation du Québec (CAQ) ansuchen. Die Unterlagen müssen per Post verschickt werden und werden nach Erhalt in einem Zeitraum von bis zu 20 Tagen bearbeitet. Erst nach Erhalt dieses Dokuments kann die Visumsanfrage verschickt werden. In meinem Fall wurde dieses Zertifikat Anfang Juli ausgestellt. Dies ließ mir genügend Zeit, um online für den permis d’études anzusuchen. Das Ansuchen wird innerhalb von circa 2 Wochen bearbeitet. Mit meinem Studienvisum hatte ich nicht die Autorisation, außerhalb der Universität zu arbeiten. Da mir jedoch ein Job als Forschungsassistentin am Institut für Soziologie angeboten wurde, konnte ich mir mit einer Bestätigung      der      UQAM      eine      numéro      d’assurance      sociale      (NAS),      eine Sozialversicherungsnummer, beschaffen und so an der Universität arbeiten. 

Es empfiehlt sich, mindestens eine Woche vor Kursbeginn in Montréal einzutreffen. Montréal hat Viertel mit unterschiedlicher Atmosphäre und unterschiedlichen Vor- und Nachteilen. Bevor man sich auf Wohnungssuche begibt, sollte man sich ein wenig mit der Stadt vertraut machen. Es besteht die Möglichkeit in einem der zentral gelegenen Studentenheime unterzukommen und so nur wenige Gehminuten von den Hauptgebäuden zu wohnen. Die in der Nähe des Place des Arts beim Complexe des Sciences gelegenen Résidences universitaires Saint-Urbain (Ouest) haben einen besseren Ruf als die Résidences universitaires RenéLévesque, welche jedoch den Vorteil haben, direkt neben den zentralen Pavillons und den kostenfreien Sportanlagen gelegen zu sein. Wie viele andere Austauschstudierende habe ich mich jedoch für eine WG entschieden, die oft kostengünstiger und wohnlicher sind als Zimmer im Studentenheim. Die Preise für ein Zimmer schwanken je nach Wohnviertel und Metro-Nähe etwa zwischen 350$ und 750$. Der Durchschnittspreis für ein WG-Zimmer liegt jedoch unter dem Betrag, den man in Innsbruck zu zahlen gewöhnt ist. Die Wohnungssuche ist meiner Erfahrung nach nicht langwierig. Man sollte sich in den Wochen vor der Abreise mit den zahlreichen Facebookgruppen[3] und Internetseiten vertraut zu machen um einen Überblick über das Angebot zu bekommen. Ich habe mein WG-Zimmer bereits vor meiner Einreise auf der mit eBay vergleichbaren Internetseite Kijiji gefunden. Die Tatsache, dass ich für fast ein Jahr in Montréal blieb, hat die Suche sicher erleichtert. Aber auch für kürzere Aufenthalte ist es möglich, ein Zimmer zu finden, etwa wenn jemand kurzfristig ins Ausland geht, das Zimmer jedoch nicht aufgeben will. 

Da es meist nicht lange dauert, eine passende Wohnung zu finden, kann man durchaus für die ersten Tage ein Zimmer in einer Jugendherberge[4] mieten und sich vor Ort auf Wohnungssuche begeben. Das erleichtert die Besichtigung, man kann die zukünftigen Mitbewohner_innen persönlich kennen lernen und man bekommt bereits einen guten Eindruck vom Stadtviertel. Kälteempflindliche sollten eine Bleibe suchen, die nur wenige Minuten von der nächsten

Metro-Station entfernt ist, um lange Fußmärsche oder Wartezeiten an der Bushaltestelle im Winter zu vermeiden. Für zukünftige uqamiens und uqamiennes eigenen sich vor allem Viertel entlang der orangen Metrolinie Richtung Norden (Plateau, Villerai etc.) oder entlang der grünen Linie Richtung Osten (Hochelaga). 

Die meisten Gebäude der UQAM befinden sich um die Metro-Station Berri-UQAM, die von den Linien orange, grün und gelb angefahren wird. Man gelangt unterirdisch von der MetroStation in die Universität, in den Pavillon J, und von dort weiter zu den meisten anderen Gebäuden. Die aufladbare Metrokarte für Studierende, die Carte OPUS, erhält man für 15$ mit einer Inskriptionsbestätigung beim Studio Photo der Société de Transport de Montréal (STM). Diese kann dann monatlich für 52$ aufgeladen werden. Für jene, die länger als ein Trimester bleiben und auch die Frühlings- und Sommermonate in Montréal bleiben rentiert es sich, sich günstig ein Rad zu kaufen. So lernt man die Straßen (und Baustellen) der Stadt auf neue Art und Weise kennen und spart Geld. 

Andere Aspekte des Lebens in Montréal muss man einfach selbst nach und nach entdecken. Das Gefühl, bei -35° Celsius zur nächsten Metro-Station zu gehen lässt sich schwer in Worte fassen. Das Gefühl, nach dem langen Winter das erste Picknick im Park zu zelebrieren auch nicht. Dann wären da noch die kulinarischen Besonderheiten – von Poutine über Bagel bis Paté chinois – und natürlich das Quebecer Französisch, dessen Ausdrücke bald leicht von den Lippen schlüpfen. Alors, tu viens-tu à Montréal?

 

Veronika Riedl

veronika.riedl@student.uibk.ac.at

 


[1] Sehr hilfreiche Checkliste: http://vie-etudiante.uqam.ca/medias/fichiers/vous-etes_etudiant-etranger/aidememoire-etudiants-etrangers.pdf  

[2] Accueil personnalisé des étudiants étrangers : https://etudier.uqam.ca/rentree/etrangers  

[3] z.B. https://www.facebook.com/groups/colocationmontreal/ oder https://www.facebook.com/groups/434401106632998/ 4 z.B. https://www.kijiji.ca/

[4] Zum Beispiel das in Nähe der UQAM gelegene Hostel M Montreal: https://www.m-montreal.com/  

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