Joseph Zoderer zum 85. Geburtstag

Das Forschungsinstitut Brenner-Archiv präsentiert die Online Plattform „Joseph Zoderer im Zoom“ und die kommentierte Neuedition von Zoderer Romans „Der Schmerz der Gewöhnung“
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Bild: Joseph Zoderer bei der Buchpräsentation "Dauerhaftes Morgenrot" im Literaturhaus am Inn, 2015 (Credit: Literaturhaus am Inn)

Am 25. November 2020 feiert der Südtiroler Schriftsteller Joseph Zoderer seinen 85. Geburtstag. Zoderer, der 1935 in Meran geboren wurde und heute in Bruneck und Terenten lebt, gehört zweifelsohne zu den bedeutendsten zeitgenössischen Schriftstellern Südtirols. Für sein schriftstellerisches Werk, das Prosa und Lyrik, aber auch Dramatik umfasst und in mehrere Sprachen übersetzt wurde, erhielt der Autor zahlreiche Literaturpreise und Auszeichnungen. Zwei seiner bekanntesten Romane – Das Glück beim Händewaschen (1976) und Die Walsche (1982) – wurden von Werner Masten für das Fernsehen verfilmt. Die schriftstellerischen Anfänge Zoderers gehen zurück in die späten 1950er Jahre und fallen in eine Zeit des gesellschaftlichen und literarischen Umbruchs nicht nur in Österreich. So ist Zoderers Schreiben von Beginn an mit der Reflexion der Sprache verbunden, wie er sie in den sprachexperimentellen Texten der Wiener Gruppe oder auch in den innovativen Erzählformen, wie dem Nouveau Roman, während seiner Wien-Zeit von 1957 bis 1963 kennenlernte. Die Konzentration auf die Sprache begegnet auch in seinen späteren Werken, in denen sich der Autor allerdings vom Sprachexperiment oder auch von der kritischen Mundartdichtung verabschiedet hat und neue Schreibwege geht – in der Prosa, indem er sich u.a. der Autofiktion zugewandt hat – wie in Das Glück beim Händewaschen (1976), Der Schmerz der Gewöhnung (2002) oder im Erzählband Der Himmel über Meran (2005) – oder auch, indem er – wie in Mein Bruder schiebt sein Ende auf (2012) – das Genre des literarischen Porträts aufgreift. Zoderer verhandelt universelle Themen: so die existentielle und kollektive Fremdheitserfahrung, die Suche nach Identität, das Ausbrechen von Nationalismen und die Sehnsucht nach Zugehörigkeit, das Begehren nach dem fremden Anderen, das die Aufhebung der Ich-Einsamkeit verspricht. Wie so oft bei Zoderer werden auch in seinem 2019 erschienenem Roman Der Irrtum des Glücks (2019) diese Einheits- und Vereingungswünsche herbeigesehnt und zugleich angstvoll, auch vor dem Hintergrund des Alterns, abgewehrt. Es macht die Qualtität von Zoderers Texten aus, dass sie diese Spannungsverhältnisse nicht auflösen.

Das Forschungsinstitut Brenner-Archiv an der Universität Innsbruck widmet sich seit 1983 kontinuierlich und intensiv der wissenschaftlichen Erforschung von Joseph Zoderers literarischem Werk. Seit 2007 wird zudem Zoderers Vorlass im Brenner-Archiv aufbewahrt und in zwei FWF-Forschungsprojekten, die nunmehr abgeschlossen sind, wissenschaftlich erforscht. Anlässlich seines 85. Geburtstags gratuliert das Brenner-Archiv dem Autor mit der Internet Plattform „Joseph Zoderer im Zoom“, die ab 25.11. 2020 online abrufbar ist. Sie ist das Ergebnis des vom österreichischen Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung finanzierten Wissenschaftskommunikations-Projekts "Literatur aus Südtirol: Joseph Zoderer im Zoom – Forschungstransfer im Literaturarchiv" (WKP 110), das zwischen 2018 und 2020 am Forschungsinstitut Brenner-Archiv sowie an der Paris-Lodron-Universität Salzburg unter der Leitung von ao. Univ. Prof. Dr. Sieglinde Klettenhammer von den Mitarbeiterinnen Dr. Verena Zankl, Mag. Irene Zanol, Dr. Barbara Hoiß und DDr. Joseph Wang-Kathrein durchgeführt wurde. Die Website bietet auf der Basis der Vorlass-Materialien erstmals eine kommentierte Lebenschronik Zoderers in Bildern und Dokumenten; weiters eine Übersicht über das selbstständig publizierte Werk Joseph Zoderers mit Auflistung aller Ausgaben und Übersetzungen, weiters exemplarisch ausgewählten Vorlass-Materialien sowie bibliographische Angaben zum jeweiligen Werk. Von besonderer Bedeutung nicht nur für die Forschung, sondern auch für Kultur- und Literaturschaffende oder für in literaturvermittlenden Institutionen wie der Schule oder in Bildungseinrichtungen Tätige sowie für einen breiten Kreis von Leser*innen und Kulturinteressierten ist eine nunmehr zur Verfügung stehende Gesamt-Bibliographie zum Werk Zoderers. Sie enthält Einträge mit allen bislang eruierten vom Autor selbstständig und unselbstständig publizierten Werken, zur wissenschaftlichen Literatur und zur literaturkritischen Rezeption seiner Werke. Für ihre Erstellung wurde auch die Privatbibliothek Zoderers ausgewertet. Ein Suchfilter ermöglicht sowohl eine Suche nach Art der Veröffentlichung von oder zu Zoderer als auch nach der Artikelart sowie eine Volltextsuche. Die Vorstellung von kompakten Unterrichtsmodulen zu den ausgewählten Romanen Die Walsche und Das Glück beim Händewaschen ist coronabedingt noch in Ausarbeitung. Sie sollen zur Beschäftigung mit dem Autor Zoderer im Deutschunterricht und Schüler*innen und Studierenden die Arbeit an und Nutzung von Literatur-Archiven näherbringen und vermitteln.
Neben dem Aufbau dieses Webportals ist auch eine kommentierte Zoderer-Werkausgabe, die seit 2015 im Innsbrucker Haymon Verlag erscheint, Teil der beiden FWF-Projekte zur Aufarbeitung des Vorlasses. Zum Geburtstag des Autors ist als fünfter Band der Werkausgabe sein Roman Der Schmerz der Gewöhnung (2002) neu aufgelegt worden. In ihm sind Familiengeschichte und die Geschichte Südtirols und Italiens in der Erinnerungsarbeit des Protagonisten Jul kunstvoll miteinander verflochten. Dem Roman, der ins Italienische übersetzt und von der Literaturkritik breit rezipiert wurde, kommt in Zoderers literarischem Schaffen ein zentraler Stellenwert zu. Irene Zanols Kommentar, der die Vorlass-Materialien zum Roman erstmals aufarbeitet, erschließt die Entstehungsbedingungen und die Veröffentlichungs- und Rezeptionsgeschichte des Romans. Zu letzterer gehört auch die ebenfalls im „Anhang“ abgedruckt Laudatio des Schriftstellers und Literaturkritikers Peter Hamm auf Joseph Zoderer anlässlich der Verleihung des Hermann-Lenz-Preises 2003 an den Autor. Hamms Porträt des Schriftstellers Zoderer hat auch heute noch Gültigkeit.
2021 wird als letzter Teil der Projekte ein Sammelband erscheinen, der Vorlassmaterialien mit Werkinterpretation verbindet und Handbuchcharakter hat.

 
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