Fafnir, Urdrache, Hüter des Rings der Nibelungen.
Eine kurze Unterhaltung
Es ist irgendwie ein komisches Gefühl, wenn man die papierene Schätze aus Tresor oder Depot einem ganz unbekannten Publikum auf der ganzen Welt zur Verfügung stellt ...
… eben, das ist dann doch überhaupt kein richtiger Schatz mehr! empört sich Fafnir.
Aber es geht halt um Überlieferung und also darum, Schriften und Dinge zu bewahren, damit sie heute, morgen, übermorgen Zeugnis ablegen können... Zum Bewahren gehört nun mal jetzt das Digitalisieren – die Dinge altern. Physik und Chemie lassen sich auch von säurefreien Mappen und Kassetten nicht aufhalten! Bänder verkleben, Beschichtungen zersetzen sich, Magnetisierung nimmt ab... So gut erhalten wie jetzt – oder jetzt – oder jetzt – oder jetzt werden die Fotos von Trakl nie wieder sein, trotz aller Mühen! Sogar das von ihm mit Bleistift Geschriebene wird weniger. Obsoleszenz, wo man hinschaut... Und damit aus Überlieferung Geschichtsschreibung wird, muss das Überlieferte studiert und zum Sprechen gebracht werden. Da ist es doch nur gut, dass nicht immer wieder das Original hervorgezogen wird, oder? Deshalb verwandeln wir das, was auf das Papier geschrieben, auf das Foto gebannt, auf ein Tonband gesprochen oder sonst wie bewusst festgehalten wurde, in eine Datei. Sie kommt in einen riesigen Kasten, wo sie die Ewigkeit überdauert, weil sie sich mit etwas Manipulation selbst wiedergebiert und jederzeit auch verdoppelt werden kann. Mit ihrem Klon kann man dann anstellen, was man will, meistens schneidet man was weg, damit er besser zu gebrauchen ist. Die digitale Langzeitarchivierung ist eine Sache für sich! Und wir müssen das Papier, das Foto, das Tonband oder anderes ja nicht, wie es manche tun, als „musealen Rest“ bezeichnen. Es ist ja nichts verloren gegangen! Zum Beispiel alte Tonbänder könntest du gar nicht mehr hören – erstens, weil du deinen Apparat, mit denen du sie abgespielt hast, schon vor längerem im Schlaf zerdrückt hast, und zweitens, weil du, entschuldige, auch nicht genug Geschick besitzt, wenn du einen neuen kriegst. Der ist nämlich anders und du könntest das Band kaputt machen, wenn es nicht mehr so stabil ist oder sich verklebt hat – und dann ist ganz weg, was drauf war!
Fafnir seufzt.
Von Trakls Manuskripten und Briefen und von den Fotos von ihm, halt von allem, was sein Entdecker Ludwig Ficker von ihm geerbt oder aufgehoben hat, haben wir also Dateien gemacht, digitale Bilder genau in den Farben, die diese Papiere jetzt haben – denn sie sehen jetzt anders aus als frisch vor hundert Jahren! Und mit einem Rand herum, damit man die Umrisse genau sieht, damit man sieht, ob das Blatt, das Trakl verwendet hat, abgerissen oder geschnitten wurde, ob es Teil von etwas ist; und sogar wenn es hinten unbeschrieben blieb, kriegt die Rückseite ein Bild, damit keine Zweifel entstehen. Dann wurden Klons von allen gemacht, die ein Brandzeichen bekommen haben, bevor sie jetzt von der Universitätsbibliothek Innsbruck ausgestellt werden. Und jetzt erst kannst du etwas sehen, was du noch nie vorher gesehen hast – du kannst das Bild größer und größer werden lassen, die Buchstaben werden Figuren und Trakls Augen fast so groß wie kleine Untertassen! Dann soll es ja auch Menschen geben, die fasziniert sind davon zu verfolgen, wie ein Gedicht entsteht, und was da auf einem Blatt passiert ist. Die sich dann fragen können, was es bedeutet, wenn Trakl das Wort „weiß“ durch das Wort „schwarz“ ersetzt hat. Und ob es nicht Unsinn ist, das eine als Gegenteil des anderen zu denken …
Fafnir gähnt.
Naja, die beweisen damit immerhin auch, dass Trakl hart und besessen gearbeitet hat und nicht allein der Droge frönte. Aber manche möchten sowieso lieber Trakls Gesicht oder seinen Badeanzug am Strand von Venedig genauer sehen. Oder sie wollen wissen, mit wem er sich ausgetauscht hat, wollen einen Brief lesen, seine Schrift, sein Schriftbild sehen. Vielleicht den berühmten Brief an Karl Kraus vom 21. oder 22. Dezember 1913 mit dem Gedicht drin – da sieht man förmlich, wie Trakl ein Glaserl nach dem andern pipelt! Andere wieder können ihren Studierenden einen Brief ausdrucken, damit diese die alte Schrift lernen, um wiederum andere Zeugnisse zum Sprechen zu bringen. Manche wollen kontrollieren, ob die Forschenden auch alles richtig gelesen und in Druckschrift übertragen haben. Leider, leider durften wir noch nicht die Bücher abbilden, in denen schon Wichtiges zu den Gedichten und Briefen gesagt wurde, aber wir haben jetzt halt dazu geschrieben, auf welchen Seiten man dort was finden kann. Vor allem: Wir haben natürlich angegeben, wo du liegst und besitzt! Und da haben wir doch alle gewonnen, gelt, mein Alter? Fafnir??
>> >> >> >> >> >> >> >> >> https://diglib.uibk.ac.at/obvuibnl/nav/classification/5687566
Der abgebildete Drache übrigens heißt eigentlich Errol. Errol wirkte einfach sympathischer als jeder andere Drache im Schlepptau der nordischen Mythologie, die Fafnir als Hüter des Nibelungenrings, des Nibelungenschatzes, hervorgebracht hat. Errol nun ist eine Figur in Terry Pratchetts Roman Wachen! Wachen! (Guards! Guards!), der auch in ein Comic umgesetzt wurde. Das verrät uns die Rezension eines Kinderbuchs über Drachen, in dem Errol abgebildet ist (Susanne Baller über "Drachen – Die geflügelten Bestien": "Es ist einsam, aber nie langweilig an der Spitze der Nahrungskette", Stern online, 1.07.2020. Der Nachweis lautet hier: "© Peter Berting / Cross Cult / Hersteller", aber der Zeichner wird nicht genannt).
(Annette Steinsiek)
Beiträge (2015–2020) zu ausgewählten Nachlassstücken von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Brenner-Archivs
- Markus Ender: Ludwig von Ficker: Brief über den Vater, Nr. 25/2020
- Zugeeignet. Widmungen in Büchern der Nachlassbibliotheken des Brenner-Archivs (Vitrinenausstellung), Nr. 24/2020
- Annette Steinsiek: Samivel: C’Était Écrit. Eine Zeichnung im Nachlass Ludwig Erik Tesars, Nr. 23/2020
- Anton Unterkircher: Verwirrspiel um das Pseudonym „M. Perlunger“, Nr. 22/2020
- Ursula A. Schneider: Preisurkunde für Rosmarie Thüminger für das Buch "Zehn Tage im Winter", Nr. 21/2019
- Anton Unterkircher: Zu Adolf Pichler, Nr. 20/2019
- Christine Riccabona: Markus Vallazzas „Wolkensteiner“ in der Zeitschrift das Fenster, Nr. 19/2019
- Ursula A. Schneider: Vom materiellen und immateriellen Nachleben und zur Rekonstruktion von Provenienzen, Nr. 18/2019
- Markus Ender, Anton Unterkircher: Ludwig von Ficker als Taufpate von Heinrich von Trott, Nr. 17/2018
- Maria Piok: Otto Grünmandl lernt Englisch, Nr. 16/2018
- Markus Ender: Liebesgaben eines Dichters – Kuriosa im Nachlass Hermann von Gilm zu Roseneck, Nr. 15/2018
- Christine Riccabona: Geburtstagsglückwünsche an Ludwig von Ficker, 14/2018
- Annette Steinsiek: Haimo Wisser: Zeit (1985/1988), Nr. 13/2018
- Verena Zankl: Paul Celan und Erik von Kuehnelt-Leddihn auf Besuch in der Bibliothek des Institut Français d’Innsbruck, Nr. 12/2018
- Ursula A. Schneider: Die Sammlung Josef Feichtinger - zum 80. Geburtstag des Volksstückautors am 5.1.2018, Nr. 11/2017
- Erika Wimmer: Porträt Erika Danneberg zum 10. Todestag am 29.6.2017, Nr. 10/2017
- Michael Schorner: Ernst von Glasersfelds Exemplar von Finnegans Wake, 1939, Nr. 9/2017
- Joachim Gatterer: Norbert C. Kaser: leoncin / Gedicht vom 23. Juli 1977, Nr. 8/2017
- Karl Felix Wolff: Das Reich der Fanes, Manuskript. Veranstaltung am 2.12.2016 zum 50. Todestag von Karl Felix Wolff, Nr. 7/2016
- Ursula A. Schneider: Markus Vallazza: Ignaz Zangerle liest Gedichte von Hilde Domin / 23.1.1979, Nr. 6/2016
- Ursula A. Schneider: Neue Kunstkarten aus dem Brenner-Archiv, Nr. 5/2016
- Briefe unter Denkmalschutz – Moritz Schlick an Ludwig Wittgenstein, Nr. 4/2016
- Anton Unterkircher: Postkarte von Peter Altenberg an Josefa Zacharias, 6.9.1911, Nr. 3/2015
- Annette Steinsiek: Irma (Irmgard) Julia Sander (1885-1973). Eine Volksschullehrerin zwischen Schulpolitik und Reformpädagogik, Nr. 2/2015