Joseph Zoderer an Otto Grünmandl nach dessen „witziger Lesung“

© Brenner-ArchivJoseph Zoderer, Die elfte Häutung (Relief 1975)
Nachlass-Bibliothek Otto Grünmandl, Sig. 228-98

 

Auf der Straßen stehend für Grünmandl
nach dessen witziger Lesung
Innsbruck 12.12.75  Zoderer


Otto Grünmandl stand wahrscheinlich als eine der spannendsten Figuren des Nordtiroler Literaturbetriebs bei Joseph Zoderer ganz oben auf der Liste der „Wichtigen“, war dieser doch auch beim ORF tätig. Zoderer hat eine Lesung von Grünmandl in Innsbruck besucht und die Gelegenheit genutzt, Grünmandl sein neues Buch zu überreichen - vielleicht verbunden mit der Bitte, ihn im österreichischen Rundfunk weiterzuvermitteln.
Ein Jahr nach seinem Debüt s’maul auf der erd oder dreckknuidelen kliabn (1974), einem hoch politischen und angriffigen Dialektlyrikband, legt Joseph Zoderer 1975 mit Die elfte Häutung eine von persönlicher Befindlichkeit gefärbte Lyrik vor. Die neuen Gedichte folgen den inneren Spiegelungen äußerer Bedingungen und sind eher philosophisch als politisch grundiert. Der Fokus liegt auf den Regungen eines gebrochenen Ich, doch auch die relevanten Themen jener Jahre – Aufrüstung, Ökologie, Rationalisierung – kommen zur Sprache. Außerdem wechselt der Autor in einigen Texten zwischen Deutsch und Italienisch und vollzieht damit eine Öffnung hin zum italienischen Kulturkreis, was eine klare Abgrenzung zu den gängigen konservativen und lokalpatriotischen Haltungen bedeutet und in Südtirol eine Provokation darstellt. Auch die Illustrationen dokumentieren Grenzüberschreitung, sie stammen von Turi Werkner, einem in Wien lebenden experimentellen Künstler mit Tiroler Wurzeln – ebenfalls ein Signal in Richtung Aufbruch und Weltoffenheit.

© Brenner-Archivs’maul auf der erd 
hatte in Südtirol und darüber hinaus große Aufmerksamkeit erregt, Die elfte Häutung wurde hingegen in der Öffentlichkeit nicht ganz so stark wahrgenommen. Im Literaturbetrieb und unter SchriftstellerkollegInnen aber hat sich Zoderer gerade damit als Dichter einen festen Platz erworben. Denn mit diesem Buch konnte er zeigen, dass er sich auf unterschiedliche Tonarten verstand und neben frechen Dialektgedichten auch sensible Verse und sprachliche Vielfalt anzubieten hatte.
Es ist wahrscheinlich, dass Otto Grünmandl Mitte der 1970er Jahre bereits von Joseph Zoderer als Lyriker gehört hat, ob er ihn gelesen oder persönlich gekannt hat, muss offen bleiben. Mit Sicherheit aber stand Grünmandl umgekehrt als einer der spannendsten Figuren des Nordtiroler Literaturbetriebs bei Zoderer ganz oben auf der Liste der „Wichtigen“. Zoderer hat, dafür gibt es Indizien, seine Karriere nicht dem Zufall überlassen, er hat seine Netze gezielt ausgeworfen und überall Verbündete gesucht. Und Grünmandl war nicht nur als Schriftsteller für ihn interessant, er war auch beim ORF tätig und konnte damit als Multiplikator für einen aufstrebenden Autor Bedeutung erlangen.
Mitte Dezember, so ist der vorliegenden Widmung zu entnehmen, hat Zoderer eine Lesung von Grünmandl in Innsbruck besucht und die Gelegenheit genutzt, ihm sein neues Buch zu überreichen – vielleicht bei einer Zigarette „auf der Straßen stehend“, vielleicht verbunden mit der Bitte, ihn im österreichischen Rundfunk weiterzuvermitteln.

Erika Wimmer

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