Georg Trakl "Dem Lande Tirol“

© Brenner-ArchivGeorg Trakl, Drei Gedichte (Sonderdruck 1914)
Teilnachlass Georg Trakl im Nachlass Ludwig von Ficker, Sign. 41-100-98

 

Dem Lande Tirol
das mir mehr als Heimat war.
Georg Trakl

  

Den Ludwig von Ficker gewidmeten Sonderdruck des Brenner auf Büttenpapier mit dem Titel Drei Gedichte (enthaltend Das Gewitter, Der Abend, Die Nacht) übergab Trakl vor der Einrückung, die am 24. August 1914 erfolgte. Die drei Gedichte waren unter dem Titel Gedichte im letzten Heft des 4. Jahrgangs des Brenners vom 15. Juli 1914 (S. 909–911) erschienen.[1]

© Brenner-ArchivIm Normalfall widmen Autorinnen und Autoren ihre Werke befreundeten Persönlichkeiten, kaum aber Institutionen, schon gar nicht einem ganzen Land. Was mag nun Trakl zu dieser Widmung bewogen haben? Sein Freund und Gönner Ludwig von Ficker, der nicht nur Trakls Texte seit Mai 1912 laufend im Brenner veröffentlichte, sondern ihn auch in seine Familie und den Freundeskreis um die Zeitschrift aufgenommen hatte, legte dieser Widmung eine handschriftliche Notiz bei: 

Bevor Trakl in den Krieg zog, hat er mir drei Gedichte: Das Gewitter, Der Abend, Die Nacht, in einem Sonderdruck des Brenner hinterlassen. Er versah ihn auf der Vorderseite mit der Widmung: „Dem Lande Tirol, das mir mehr als Heimat war.“ Aus dieser Widmung spricht schon deutlich seine Ahnung des nahen Todes. Und was die Gedichte betrifft, so ist in ihnen das drohende Unheil des Krieges mit all seinen Schrecknissen bereits in visionärer Schau vorausgestaltet.[2]

© Brenner-ArchivDiese im Nachhinein, wahrscheinlich erst 1965 entstandenen Zeilen sind natürlich schon im Wissen um Trakls frühen Tod verfasst und daher werden auch die Gedichte als visionäre Kriegsahnungen interpretiert. Das ist bei Formulierungen wie „toten Heldengestalten“ oder „Golden lodern die Feuer / der Völker rings“ nicht von der Hand zu weisen. Doch es sind auch eindrückliche Verse über die Gebirgswelt:[3] „Ihr wilden Gebirge, der Adler / erhabene Trauer“ oder „Dich sing ich wilde Zerklüftung, / im Nachtsturm / Aufgetürmtes Gebirge“. Diese Gedichte konnte Trakl also getrost auch „Dem Lande Tirol“ widmen, umso mehr, als der tatsächliche Widmungsempfänger Ludwig von Ficker kurz zuvor von Else Lasker-Schüler zum „Landvogt von Tyrol“, also zum ‚offiziellen‘ Vertreter des Landes, Georg Trakl zum „Dichter von Tyrol“ ernannt worden war.[4] Franz Marc, der damals mit Else-Lasker-Schüler in enger Verbindung stand, hat mit dem Gemälde Tirol von 1914 einen ähnlich düster-liebevollen Blick auf dieses Land geworfen. Was für Trakl dieses „mehr“ an Heimat war, hatte er einmal in einem Brief an Ficker auszudrücken versucht: 

Immer tiefer empfinde ich was der Brenner für mich bedeutet: Heimat und Zuflucht im Kreis einer edlen Menschlichkeit. Heimgesucht von unsäglichen Erschütterungen, von denen ich nicht weiß ob sie mich zerstören oder vollenden wollen, zweifelnd an allem meinem Beginnen und im Angesicht einer lächerlich ungewissen Zukunft, fühle ich tiefer, als ich es sagen kann, das Glück Ihrer Großmut und Güte, das verzeihende Verständnis Ihrer Freundschaft.[5]

In seinen letzten Brief an Ficker vom 27.10.1914 sandte Trakl „Nochmals die herzlichsten Grüße – an Tirol, Sie und alle Teuren“.[6] Von der psychiatrischen Abteilung des Spitals in Krakau, wo er am 3. 11. an einer Überdosis Kokain sterben sollte, nach den fürchterlichen Erlebnissen um die Schlacht bei Grodek, mag das ferne Tirol sich tatsächlich heimatlich angefühlt haben, zumal mit den dort lebenden Menschen, die Trakl als Person angenommen und als Künstler geschätzt hatten.

Anton Unterkircher

 

------------------

[1] Abgedruckt in: Georg Trakl: Briefwechsel. Hg. von Eberhard Sauermann. Frankfurt Stroemfeld/Roter Stern 2014 (Georg Trakl: Sämtliche Werke und Briefwechsel. Innsbrucker Ausgabe. Historisch-kritische Ausgabe hg. von Eberhard Sauermann und Hermann Zwerschina V,2) Nr. 356, S. 651f. (= ITA)
[2] ITA V,2, 356, 652.
[3] Vgl. Eberhard Sauermann: Die Widmungen Georg Trakls. In: Walter Weiss u. Hans Weichselbaum (Hg.): Salzburger Trakl-Symposion. Salzburg: Otto Müller 1978 (Trakl-Studien 9), S. 66-100 u. S. 180-187 (Anmerkungen), hier 94-96.
[4] Else Lasker-Schüler an Ludwig von Ficker, [26.? 5.1914]. In: Else Lasker-Schüler: Briefe 1914–1924. Bearb. von Karl Jürgen Skrodzki. Frankfurt/M.: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag 2004 (Werke und Briefe. Kritische Ausgabe 7), S. 48.
[5] Georg Trakl an Ludwig von Ficker, 23.2.1913 (Datum des Poststempels), ITA V,1, 158, S. 316.
[6] ITA V,2 Nr. 381, S. 700.

Nach oben scrollen