Robert Michel an Ludwig von Ficker 

© Brenner-ArchivRobert Michel: Mejrima. Drama in drei Akten. Berlin: S. Fischer 1909.
Provenienz: Nachlassbibliothek Ficker, Sign. III-822

Meinem Freunde Ludwig
Robert
Graz im November 1909

Der deutschböhmische Schriftsteller Robert Michel (1876–1957) zählt heute zu den „Verschollenen“[1] unter den österreichischen Literaten. Seine zahlreichen, von seiner militärischen Laufbahn geprägten Lebensstationen führten ihn von Prag nach Wien, wo er in dem Jung-Wien-Literaten Leopold von Andrian einen Lebensfreund fand, und auch für einige Jahre nach Innsbruck, wo er im Brenner-Herausgeber Ludwig von Ficker auf eine ähnlich geartete Figur wie Andrian traf und für kurze Zeit auch Mitarbeiter des Brenner wurde. Robert Michel war mit Sicherheit einer der fleißigsten Autoren, die Ludwig von Ficker mit Widmungsexemplaren seiner Publikationen versehen haben. Nicht weniger als 15 Bücher aus Michels Feder haben über mehr als vier Jahrzehnte ihren Weg in die Bibliothek Fickers gefunden, nahezu alle sind mit persönlichen Widmungen versehen.[2]

Michel war nicht erst durch die Mitarbeit am Brenner mit Ludwig von Ficker in Kontakt getreten; die beiden verband eine Freundschaft, die ihren Anfang bereits kurz nach der Jahrhundertwende genommen hatte. Michel wurde im Jahre 1900 nach Innsbruck an die Infanteriekadettenschule versetzt, wo er „Deutsch, Französisch und Militärgeschäftsstil“[3] unterrichtete. Da der Beruf wenig Belastendes und entsprechende Freiräume bot, blieb es nicht aus, dass der kunstsinnige Michel ab 1901 in der Person Ludwig von Fickers Anschluss an die Innsbrucker Kulturszene fand.[4] Die Wertschätzung, die Ficker in den Anfangsjahren Michels Büchern entgegenbrachte, fand mit der Publikation des Dramas Mejrima einen Höhepunkt. Michel hatte es mit einer gedruckten Widmung versehen: „Meinem Freunde Ludwig von Ficker“; in Fickers Exemplar war dieser Satz von Michel nochmals handschriftlich mit Feder unterstrichen und mit dem Zusatz „Robert / Graz, im November 1909.“ versehen worden. Ficker kommunizierte in einem Brief an Michel seine überschwängliche Reaktion und bekannte freimütig: „[I]ch bin auf die Widmung so stolz, daß ich mir sofort nach Erscheinen ein halbes Dutzend gebundener Exemplare bestellt habe.“[5]

© Brenner-ArchivDer briefliche Austausch zwischen Ficker und Michel und die damit verbundenen Büchersendungen brachen auch während des Ersten Weltkrieges nicht ab. Michel schickte in dieser Zeit, als er zunächst in Wien für das k.u.k. Kriegspressequartier, später als Adlatus der Mission des Außenministeriums für die okkupierten Gebiete in Polen und für Galizien arbeitete, Fickers Frau Cissi mehrere seiner zwischenzeitlich erschienenen Bücher, u.a. auch den Roman Die Häuser an der Džamija, für den er den Kleistpreis erhielt. Am 1. Juli 1915 fragte Cissi bei ihrem Mann, dessen Einheit zum Zeitpunkt im mittelböhmischen Beneschau (Benešov) Station machte, nach, ob sie ihm das Buch nachschicken solle. Am 17. Februar 1916 übersandte Michel sein Buch Briefe eines Hauptmanns an seinen Sohn an Cissi – mit einer (vermutlich verlorenen gegangenen) Widmung an Fickers Sohn: „Meinem lieben Patenkind Florian.“ Am 25. Dezember 1916 bat Ficker seine Frau schließlich, ihm die Mejrima an die Front nachzusenden. Ficker machte zu diesem Zeitpunkt im Stellungskommando Val Sorda Station;[6] offenbar war es ihm ein Bedürfnis, trotz (oder gerade wegen) der unmittelbaren Exponiertheit an der Front und seines schlechten psychischen Zustandes gerade in diesem Buch zu blättern, das mit seiner Milieuschilderung des dörflichen Lebens in Bosnien-Herzegowina einen Gegenpol zur bitteren Kriegsrealität bot.

Michel, der bereits seit 1894 in der k.u.k. Armee diente, konnte in den ersten Kriegsjahren kaum glauben, dass Ficker zum Truppenführer befördert worden war, während er selbst das Gefühl hatte, „in der Etappe stecken“ geblieben zu sein. Michels neuestes Buch, Briefe eines Landsturmleutnants an Frauen, schickte Cissi ihrem Mann im Frühsommer 1917 ins Feld nach. Im Vorfeld hatte Michel Vorbehalte geäußert, dass Ficker das Buch „in seiner stofflichen Verknüpfung – Krieg und Liebe zu Frauen“ zusagen werde. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Michel selbst endlich militärisch aus der „Etappe“ emanzipieren können; er war als Major an der Dolomitenfront eingesetzt und wurde im selben Jahr nach Galizien in den Raum Lemberg transferiert, wo er als Bataillonskommandant Dienst versah.

Ludwig von Ficker nahm in den Anfangsjahren die meisten der Publikationen Michels mit Interesse und Wohlwollen auf und rezipierte sie entsprechend. Später entsprachen aber nicht mehr alle Bücher unbedingt den ästhetischen Vorstellungen des Brenner-Herausgebers, es fielen dann auch durchaus kritische Worte. So teilte Ficker im September 1918, aus „Freundespflicht“, wie er es formulierte, Michel seine ungeschönte Meinung über die letzten Buchpublikationen mit – „mit einer Rückhaltlosigkeit, die ihn möglicherweise verletzen und ihn veranlassen wird, mich nicht mehr zu seinen Freunden zu zählen.“[7] Zu einem solchen Bruch kam es nicht, Michel akzeptierte die Kritik des Freundes und blieb, obwohl er sich nach dem Ersten Weltkrieg von Innsbruck abwandte und in Wien als freier Schriftsteller sein Glück versuchte, Ficker bis in die 1950er Jahre brieflich verbunden.

Markus Ender


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[1] Vgl. Hans Heinz Hahnl: Robert Michel. In: ders.: Hofräte, Revoluzzer, Hungerleider. Vierzig verschollene österreichische Literaten. Wien: Wiener Journal 1990, S. 152–157.
[2] Widmungen finden sich in: Mejrima (1909); Das letzte Weinen (1912); Fahrten in die Reichslande (1912); Gott und der Infanterist (1912); Briefe eines Landsturmleutnants (1917); Jesus im Böhmerwald (1927); Die Burg der Frauen (1934); Slawische Weisen (1940); Slawische Märchen (1941/1944); Die Augen des Waldes (1946); Die allerhöchste Frau (1947); Die Wila (1950).
[3] Riccardo Concetti: Hugo von Hofmannsthal und Robert Michel. Briefe. Mitgeteilt und kommentiert von Riccardo Concetti. In: Hofmannsthal-Jahrbuch 13/2005, S. 11–167; hier S. 14.
[4] Vgl. Ferrucio Delle Cave: Robert Michel als Mitarbeiter des »Brenner«. Ein Beitrag zur Entstehung und zu den frühen Jahrgängen der Zeitschrift. In: Mitteilungen aus dem Brenner-Archiv 5/1986, S. 63–72; hier S. 63.
[5] Ludwig von Ficker an Robert Michel, 26.11.1909. FIBA, Sammlung FIBA.
[6] Vgl. Markus Ender, Ingrid Fürhapter: Unter schwierigsten Verhältnissen. Ludwig von Ficker als Kaiserjäger an der Südwestfront – eine Chronik des Kriegsjahres 1916. In: Mitteilungen aus dem Brenner-Archiv 33/2014, S. 127–159; hier S. 149.
[7] Ludwig von Ficker an Cissi von Ficker, 13.9.1918. FIBA, Nachlass Ludwig von Ficker, Sign. 41-57-14-3.

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