Friedrich Achleitner an „Meine Lieben“, Hermine und Othmar Costa

© Brenner-Archiv

Friedrich Achleitner, wortgesindel, (Zsolnay 2015)
Nachlass-Bibliothek Othmar Costa, Sig. 165-53

 

Meine Lieben,
         bitte nicht lesen,
         gleich wegwerfen,
         auf keinen Fall zurückschicken!
                            Euer Fritz

15.3.15

Mit „Meine Lieben“ in der Widmung in Friedrich Achleitners letztem Kurzprosaband wortgesindel sind Hermine und Othmar Costa gemeint. Wenige Monate später, am 6. Oktober 2015, las Achleitner in der Reihe Hier ists so wie anderswo. Otto Grünmandls Zimmertheater 2015, einer Kooperation mit dem Kulturlabor Stromboli/Hall und dem Brenner-Archiv im Literaturhaus am Inn aus seinem Buch. Es war der letzte öffentliche Auftritt Achleitners in Innsbruck. Im Publikum befanden sich zahlreiche Tiroler Freundinnen und Freunde, um Barbara und Friedrich Achleitner wiederzusehen.

 

© Brenner-ArchivDer Tiroler Musikpädagoge, Dirigent und Leiter der Abteilung Ernste Musik beim ORF-Radio Tirol Othmar Costa (1928-2018) hatte den Architekten und Schriftsteller Friedrich Achleitner (1930-2019), einen gebürtigen Innviertler, über Wilfried Kirschl in Wien kennengelernt. Beide blieben jahrzehntelang in Freundschaft verbunden.
In Othmar Costas Nachlass finden sich Briefe und Postkarten von Friedrich Achleitner und seiner Frau Barbara an Othmar und Hermine Costa, meist zu familiären Anlässen geschrieben, sowie sieben belletristische und essayistische Bände Friedrich Achleitners mit Widmungen an das Ehepaar Costa. Der Ton ist herzlich und vertraut, sprachspielerisch-witzig. So heißt es etwa in der Anrede des Briefes vom 21. Dezember 1969: „liebe othmarhermi / lieber hermiothmar / liebebeidezwei“. Der Inhalt lässt sich knapp zusammenfassen: Hermine Costas Weihnachtsbäckerei ist beschädigt in Wien eingetroffen, Friedrich Achleitner muss aufgrund einer Grippe das Bett hüten („ein weihnachtsgripperl“), der Weihnachtsbesuch daher verschoben werden („wir werden dann weihnachten feiern, daß nur der teufel so los ist“). Der engzeilig getippte Brief ist ein Feuerwerk an sprachlichen Einfällen; Nonsense und intertextuellen Verweisen, ein virtuoses Spiel, das beide Seiten beherrschen. So findet sich etwa im Nachlass eine parodistische Auseinandersetzung Othmar Costas mit Achleitners quadratroman (1973) mit dem lapidaren Titel Kulturbeilage. Achleitner hatte sich nach seinem Studium bei Clemens Holzmeister Ende der 1950er Jahre der Literatur zugewandt. Als Mitglied der Wiener Gruppe experimentierte er vor allem mit dem Innviertler Dialekt, den er in seinen Gedichten in völlig neuen Verfahrensweisen und Zusammenhängen verwendete. 1959 erschien der Band „hosn rosn baa“ mit Dialektgedichten von Achleitner, Artmann und Rühm.
Erst Jahrzehnte später kehrte der vielfach ausgezeichnete Architekturkritiker und Professor für Theorie und Geschichte der Architektur an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien wieder zur Literatur zurück. In den rasch aufeinanderfolgenden Kurzprosabänden einschlafgeschichten (2003), wiener linien (2004), und oder oder und (2006), der springende punkt (2009) und wortgesindel (2015) zeigt sich in nuce Achleitners präziser Umgang mit der Sprache – die tiefsinnig-witzigen Miniaturen gehen Wörtern und Redewendungen auf den Grund, Phrasen werden aufs Korn genommen und bis zur Kenntlichkeit demaskiert, neudeutsche Begriffe wie „o-ton“ oder „scheibchenweise“ hinterfragt. Die Sprachtraditionen, die in diesen kleinen, subtilen Texten, sichtbar werden, reichen von Johann Nestroy und Karl Kraus bis zu den Sprachphilosophen der Jahrhundertwende. Ein Zitat des aus Böhmen stammenden, jüdischen Philosophen und Schriftstellers Fritz Mauthner (1849-1923) ist dem Band als Motto vorangestellt: „Sprache ist ein Werkzeug, mit dem sich die Wirklichkeit nicht fassen läßt.“ – Auf dem Buchcover ist die Suche nach einem passenden Titel für die Textsammlung abgebildet. Unter den Begriffen, die offenbar zur engeren Wahl standen, findet sich „Wortglaubereien“. „Wortklauber“, so heißt es im Grimmschen Wörterbuch, kam im 18. Jahrhundert auf und hat folgende Bedeutungen: „1) wer mit dem eigenen wort oder dem eines anderen kleinlich umgeht, sprachpedant, nörgeler, sophist; 2) als abschätzige bezeichnung eines sprachgelehrten“. Bei Achleitner ist „Wortglaubereien“ nicht mit „k“, sondern mit „g“ geschrieben. Abgesehen von der süddeutschen Aussprache, die harte Konsonanten weich klingen lässt, macht diese Schreibung noch etwas Anderes deutlich: den Glauben an das Werkzeug der Sprache, nicht im Sinne einer unreflektierten Haltung, sondern eines Ernstnehmens. Insofern ist auch die Wortneuschöpfung „Wortgesindel“ programmatisch – kein Wort, so unauffällig, alltäglich, scheinbar nebensächlich es auch erscheinen mag, ist zu unwichtig, um nicht zum Nachspüren und Nachsinnen, zum Assoziieren und Reflektieren anzuregen – und die Widmung spiegelt dies wider.

Ulrike Tanzer

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