Bericht über mein zweiwöchiges Praktikum am Forschungsinstitut Brenner-Archiv der Universität Innsbruck
von Rosa Magits

v.l. Rosa Magits, Ilse Somavilla. © Ilse SomavillaVom 6. bis zum 21. August 2018 habe ich mein Praktikum am Brenner-Archiv unter der Aufsicht von Fr. Dr.in Mag.a Ilse Somavilla absolviert. Meine Aufgabe bestand darin, Briefe der Familie Wittgenstein (hauptsächlich von Magarete Stonborough – Schwester von Ludwig Wittgenstein) an Hermine Wittgenstein (ebenfalls eine Schwester von Ludwig Wittgenstein) digital zu transkribieren, damit deren Inhalt in ein späteres Werk über die Mitglieder der Familie Wittgenstein  einfließen kann.
In der luftigen Höhe des zehnten Stockwerks (ich hatte das Archiv wesentlich näher am Boden, beziehungsweise näher am Keller, vermutet) und der Hitze des Augusts bekam ich gleich am ersten Tag fast 100 Jahre alte Briefe von Leopoldine, Ludwig Wittgensteins Mutter, zum Transkribieren. Nach einer kurzen Eingewöhnungsperiode gelang es mir auch, die altmodische Handschrift halbwegs zu lesen, was meinen Arbeitsprozess um einiges beschleunigte.
Nach dem fertigen Transkribieren eines Briefes oder auch von mehreren Briefen wurde das Ergebnis meiner Arbeit noch einmal von Frau Somavilla kontrolliert, damit auch jedes Komma und jede noch so altertümliche Rechtschreibung am richtigen Platz war. Das Kollationieren verlegten wir in den späteren Tagen meines Praktikums immer in die Mittagspause, um die restlichen Kolleginnen und Kollegen nicht mit meinen Deklamationen (inklusive Interpunktion) zu stören.
Wie schon erwähnt war Margerete Stonborough, geborene Wittgenstein, die Person, deren Briefe an Hermine Wittgenstein ich hauptsächlich digitalisierte. Eine ebenso interessante wie einnehmende Persönlichkeit, die sich rege um Familie und Menschen in ihrem Umfeld gekümmert hatte, und - wie der Rest der Wittgensteins -  viel in der Weltgeschichte herumgekommen war. Der liebevolle Ton in den Briefen an ihre Schwester Hermine (wahlweise Herzensalte, Goldkind oder ähnliche Variationen) blieb aber über Jahrzehnte und Kontinente hinweg derselbe. Der Einfluss der Familie Wittgenstein, vor allem Ludwigs, überraschte mich während meines Praktikums immer wieder, da die Familienmitglieder eigentlich überall in der Welt einmal auftauchen und Ludwigs Werke in zahlreiche Sprachen, z. B. Japanisch und Koreanisch übersetzt wurden.
Neben den Wittgenstein-Briefen war es mir auch vergönnt, mir die wertvolleren Stücke des Archivs anzusehen (selbstverständlich unter strenger Aufsicht und mit blitzsauberen Händen), zum Beispiel die Originalbriefe Ludwig Wittgensteins an Ludwig von Ficker, Notizen des Malers Oskar Kokoschka, ebenso von Paul Celan und einige Faksimiles von Georg Trakl. Letzterer hinterließ mit seiner spinnengleichen Handschrift den größten Eindruck, denn neben „Grodek“ (dem einzigen seiner Gedichte, das wir in der Schule gemacht hatten und das nun wirklich düster ist) hatten seine anderen Gedichte eine viel wohligere und pittoreske Atmosphäre, die mir ganz andere seiner Facetten zeigte als die, die man im Schulbuch finden konnte.
Um auch einmal an die frische Luft zu kommen, war Frau Somavilla so nett, mich eines schönen Nachmittags durch die Innsbrucker Innenstadt zu führen und am letzten Wochenende meines Aufenthalts unternahmen wir eine gemeinsame Wanderung von der Hungerburg zum wunderschönen Friedhof von Mühlau, wo der Ahnherr des Brenner-Archivs Ludwig von Ficker und auch Georg Trakl begraben liegen.
Wenn ich aber ganz ehrlich sein soll, gefiel mir der Keller des Archivs, den ich an meinem letzten Arbeitstag noch besuchen durfte, am besten. Ich war mit dem kühlen, staubigen Klima und den Schieberegalen schon aus meinem Praktikum am Österreichischen Historischen Institut in Rom im letzten Jahr vertraut und fühlte mich zwischen den meterhohen Regalen mit alten Büchern eigentlich am allerwohlsten.
Ich weiß jetzt, schon mehr als letztes Jahr, dass ich in Zukunft gerne in einem Archiv oder einer Bibliothek arbeiten möchte und bin sehr dankbar für die diesjährige Gelegenheit, diese Gewissheit noch einmal zu festigen und zahlreiche neue Dinge aus dem Archivalltag dazuzulernen.
Vielleicht sieht mich Innsbruck ja bald wieder.

Rosa Magits, September 2018, Wien

Nach oben scrollen