Rezensionen 2008
Margit Oberhammer (Hrsg.), Wortkörper. Prosa der Sinne
Raetia Verlag 2007
Herausgeberin Margit Oberhammer skizziert im Vorwort kurz die Geschichte des Körpers und beginnt beim mittelhochdeutschen lîp. Damals bedeutete „Körper“ noch „Leib und Leben“. Doch welche Bedeutung hat der Körper eigentlich im 21. Jahrhundert? Erweckt ein Bild eines weiblichen nackten Rückens (wie es am Buchcover zu sehen ist) überhaupt noch die Sinne? Wie viel Leben steckt heute noch im Leib?
„Römerquelle – erweckt die Sinne“: Schön längst hat die Werbung Körper und Sinne für sich entdeckt und schon oft wurde gefragt, was ein simples Mineralwasser eigentlich mit Erotik zu tun hat.
Der Körper, der uns heute auf Plakaten und in den Fernsehwerbungen präsentiert wird, hat wohl nicht mehr viel mit der Realität zu tun. Man hat es mehr mit einem ausgeschnittenen Bild zu tun, das von uns vielleicht ab und zu mit neidischen Blicken inspiziert wird, aber das uns auch sagt, dass es diesen wohlgeformten Körper mit der glänzenden Haut eigentlich gar nicht gibt.
Um einem solchen Körper wirklich Leben zu geben, um ihm fünf Sinne einzuhauchen, braucht es Menschen mit Einfühlungsvermögen und Wortgewandtheit. Es sind Schriftsteller und Schriftstellerinnen, von denen wir uns einen Blick abseits der Werbung und der Fernsehwelt erwarten können. In der Anthologie „Wortkörper“ sind 13 Autoren und Autorinnen aus Nord- und Südtirol mit ihrer „Prosa der Sinne“ vertreten. Es geht um körperliche Lust (z.B. Wolfgang Sebastian Baur), um Körperflüssigkeiten (Sabine Gruber, Bettina Galvagni) oder um Laute, die aus dem Körper kommen oder von ihm produziert werden (Selma Mahlknecht). Sinne werden aber genauso über kulinarische und landschaftliche Besonderheiten angeregt, über die Walter Klier sehr anschaulich schreibt.
Jede Erzählung birgt etwas Geheimnisvolles in sich; sie gibt einen kurzen Blick in verschiedene Lebensabschnitte der Protagonisten und Protagonistinnen frei und verlässt die Leser und Leserinnen ebenso schnell wieder. Viele Fragen bleiben offen: Was passiert zum Beispiel mit dem Bildhauer Roland, in dessen Körper sich die mysteriöse Lénore eingenistet hat? (Christoph Pichler) Ob Leos Freundin wohl irgendwann ein anderes Körpergefühl kennen lernen wird? (Stefanie Holzer) Wird Else es jemals wieder wagen, aus sich heraus zu gehen, um etwas Neues an sich zu entdecken? (Birgit Unterholzner) Wie so oft bei Erzählungen lassen einen die Charaktere nicht so schnell los, man möchte mehr erfahren.
Auffallend unter den vielen kurzen Erzählungen ist jene von Maria E. Brunner über den Schriftsteller Henrik Ibsen. Sie erzählt etwas langatmig auf 29 Seiten ein ganzes (sinnliches) Leben und bremst so ein bisschen den Fluss der übrigen Geschichten.
Meist sind es noch junge Menschen, die den Lesern und Leserinnen in den Geschichten präsentiert werden. Ihre Körper sind noch nicht verbraucht oder krank. Diese Menschen haben noch einiges zu geben und wollen ihre Sinne voll und ganz auskosten.
Svetla, aus der Erzählung von Selma Mahlknecht, ist eine Ausnahme. Sie spürt, dass sie immer älter wird, doch ihre körperlichen und seelischen Wünsche und Träume sind noch lange nicht erfüllt. Ihr Körper ist ihr im Weg, sie würde ihn ablegen, wenn sie könnte.
Margit von Elzenbaum setzt sich mit einem brisanten Thema auseinander: Die junge sehbehinderte Kim arbeitet als Praktikantin in einem Hospiz. In einer präzisen Sprache, in der der Körper auf vielfache Weise eingesetzt wird, zeichnet die Autorin ein einfühlsames Bild der jungen Frau und ihrer Arbeit:
Beim Eintreten hatte Kim immer den weißen Bettkörper erkennen können. Und sie wusste, dass der Stuhl für sie davor stand. Der weiße Stuhl. Kim hatte gedacht, das Zimmer ist von diesem weißen Bett- und Stuhlkörper bewohnt. Herr Rico ist in dieser Körperzelle der Kern.
Margit von Elzenbaum und Selma Mahlknecht setzen sich mit Themen auseinander, die man wohl auf den ersten Blick nicht so schnell als Prosa der Sinne bezeichnen würde. Sich von dem erotischen Bild am Buchcover der Anthologie blenden zu lassen und nur Geschichten über körperliche Leidenschaft zu erwarten, wäre also falsch. Es sind Geschichten, wie die erwähnten, die diese Anthologie zu einer vielseitigen und lesenswerten Auseinandersetzung mit dem Körper machen.
Natürlich kommt die Erotik in den Erzählungen nicht zu kurz. Meist beginnt sie dann, wenn die Begegnungen flüchtig sind und von vorne herein klar ist, dass es kein Wiedersehen geben wird. (z.B. Erika Wimmer)
Bleibt die Frage, warum eigentlich der weibliche Körper bei den meisten Erzählungen im Vordergrund steht und ob dieses „Körper-Thema“ wohl mehr Frauen- als Männersache ist. Das bereits erwähnte Buchcover sowie die Tatsache, dass unter den 13 Schreibenden 9 Autorinnen vertreten sind, scheint dieses Thema immer noch zu einer weiblichen Angelegenheit zu machen.
Gabi Wild