Rezensionen 2008
Elias Schneitter, Österreich. Karl
Skarabaeus 2008
Hör mal wer da spricht!
Das neue Buch von Elias Schneitter enthält drei Erzählungen gänzlich unterschiedlicher Machart. Der Titel „Österreich. Karl“ erweckt natürliche eine Erwartungshaltung. Der Erfinder des Herrn Karl, Herr Qualtinger, wäre dieser Tage 80 Jahre alt geworden. Der Herr Travnicek war eine Vorstufe des Herrn Karl und die Inkarnation des „ang'fressenen“ Österreichers. Der Herr Karl ist nicht nur „ang'fressen“, der Herr Karl wirbt um Verständnis für seine Ressentiments. Genau das u. a. machen Rechtspopulisten. Genau das macht auch die Figur in „Tausend Jahre Österreich“, der ersten Geschichte in „Österreich. Karl“.
1
Nicht der kleine Mann, sondern der Kronenzeitungsleser, der Kleinbürger, der Lesebriefeschreiber, der sich kein Blatt vor den Mund nimmt aber täglich das Kronenzeitungsblatt in die Hand nimmt, spricht hier, ja sprudelt förmlich und teilt sich breit mit. Das ist einer, der nichts geschenkt will. „Aber was er will, das steht ihm zu.“ (S. 11) Das ist einer, der sich fragt: „Ja, wo käme man da hin?“ Das ist ein Handelsreisender a. D. der Held. Es ist der Schorschi, der da spricht.
Des Schorschis Freund wiederum ist der Karl, ein Beamter, der mit 54 in Pension geht. Und recht hat er. Der Schorschi hat übrigens das Recht gepachtet. Der Schorschi weiß sich zu wehren. Und schlägt natürlich zu, wenn zugeschlagen werden muss. „Zum Glück bin ich ein Mensch, der sich zu helfen weiß.“ (S. 12) Fast immer. Nur gegen die „Schneckeninvasion der Russenmafia“ müsste man was machen. Die russischen Mafiaschnecken fallen nämlich über Schorschis gehegten Garten her, wie die „Cevapcicis über das Land“. Und freilich gehörte auch dagegen was gemacht. Nein, der Schorschi verteufelt den Adi nicht, sehr wohl aber die „Buschneger“ am Fußballplatz, wenn sie nicht spuren und die hiesigen Frauen, wenn sie nicht spuren.
Aber der Schorschi schimpft nicht nur. Er hat auch Gutes zu berichten. Beispielsweise über die Qualitäten von Thailänderinnen oder die Vorzüge von Kurschatten. Des Schorschis Mantra ist: „Mir macht keiner mehr was vor.“ Hirn aus, Klappe auf. Ein stets auf eigene Vorteile bedachter, polternder Österreicher wie er nun im Buche steht. Sprachlich überzeugend, konsequent umgesetzt. Form meets Inhalt. Unsympathisch aber gut.
2
Walter der Waffennarr mit Arbeitsunfall, der herummausende Weltkriegsfan, der transzendentale Meditation betreibende, der heiratende und sich scheiden lassende, lustige aber verrückte Bursche. „Ruhe sanft im Trommelfeuer“ ist eine ungestüm drauflos erzählte Geschichte, eine Lebenserzählung im Schnellverfahren. Nicht on the road durch die Staaten, sondern unterwegs von Tirol nach Zürich sind da die kleinen Helden Walter und Manfred. Das ist überzeugend auf regionale Verhältnisse heruntergebrochene Beat-Literatur.
3
Herr Ernst schließlich ist Animator auf der Astor. Sein Reiseleiterfreund hat sich vor die U-Bahn geworfen. Ernst reist um die Welt mit alten Schachteln und intoleranten Deppen. Aber Ernst hat stets freundlich zu sein. Es bleibt ihm nichts anders über, als vermeintlich zuzuhören sich aber eigentlich weg zu denken. Ernst räsoniert, erzählt und dazwischen macht sich eine Frau Ingrid, die im gleichen Haus wie Ernst wohnt, um ihn Gedanken. Aber ein Aussteigen, anderes Leben beginnen oder in Pension gehen, gibt es in Ernsts freiem Berufen nicht. Das nervt nicht nur, sondern ist ernster. Es geht um Existenzielles, im gewissen Sinne ums Prekariat. Ein anderes als das momentan viel thematisierte der 30jährigen. Es geht um die 50+jährigen und deren Ängste, Sorgen, Nöte, Vorurteile, Erfahrungen etc. Das und wie das sprachlich authentisch umgesetzt wurde, ist die Stärke dieses Buches.
Ja und wenn der Schorschi nicht so ausgesackelt worden wäre von seiner Ex, dann hätte er sich vielleicht auch einen Kreuzfahrtstrip auf der Astor geleistet und geschimpft über den Dreck und die Zustände in den bereisten Ländern. Und der Ernst hätte zuhören müssen. Kein Spaß für Ernst.
Markus Köhle