Rezensionen 2007
Paul Flora, Wie's halt so kommt
Erinnerungen aufgezeichnet von Felizitas von Schönborn
Zürich: Diogenes-Verlag 2007
«Er ist ein Literat.»
Man kann einigermaßen voraussetzen, dass deutschsprachige LeserInnen wissen, wer Paul Flora ist. Zunächst ist also zu klären: Wer ist Felizitas Schönborn?
Die Autorin ist im steirischen Frohnleiten geboren, maturierte im hessischen Büdingen und studierte Theologie in Zürich und Genf, wo sie das Fach auch über ein Jahrzehnt unterrichtete. Sie bildete sich dann aber fort, nahm etwa am Seminar «Die Kunst des Fragens» an der Evangelischen Medienakademie in Frankfurt teil und spezialisierte sich auf «Hintergrundgespräche und Interviews». Aus soziologischer Perspektive muss man hinzufügen: Felizitas Schönborn hat etwas Salondamen-Artiges. Die geborene Prinzessin Reuss und jetzige Gräfin von Schönborn pflegt eine (lt. einem Beitrag im Managermagazin 2004) «kultivierte Aufnahmebereitschaft» − was auch immer man sich darunter vorstellen mag. Im Konkreten scheint damit ihre Gesprächspräsenz bei gleichzeitiger Gesprächszurücknahme gemeint zu sein.
Jedenfalls: Bei «über siebzig bekannten Persönlichkeiten aus dem Bereich Kultur, Politik und Wirtschaft» hat sie ihre Fragekunst angewandt, die ihr auch reichliche Antworten einbrachte (teilweise nachzulesen auf www.xn--felizitas-von-schnborn-bic.de). Einige Gespräche mit off-the-records-Charakter haben sich zu ganzen Büchern ausgewachsen: Jenes mit Eugen Drewermann ist darunter («Sind Propheten dieser Kirche ein Ärgernis?», 1993), dem Dalai Lama («Mitgefühl und Weisheit», 1994), Astrid Lindgren («Das Paradies der Kinder», 1996), Peter Ustinov («Ich glaube an den Ernst des Lachens», 1997) − und nun auch Paul Flora.
Wer Paul Flora und Felizitas Schönborn sind, ist nun geklärt. Was aber ist Paul Flora? «Der Zeichner ist mit dem Schriftsteller viel enger verwandt als mit dem Maler. Der Zeichner und der Schriftsteller, diese Zwillinge, sind Erzähler … Flora ist ein Bilderschriftsteller. Er ist ein Literat.», schrieb Erich Kästner 1957 im Vorwort zu «Menschen und andere Tiere» (1957). Und das gefiel Flora: «Diese Verwandtschaft hat wohl bedingt, dass ich gerade bei Schriftstellern auf viel Einverständnis gestoßen bin. Ich darf Dürrenmatt, Frisch, Canetti, Simenon, Buzzati und Hermann Hesse nennen.» Außerdem säumten noch andere seinen Lebensweg, Ingeborg Bachmann etwa, Thomas Bernhard, Ludwig von Ficker, Claus Gatterer, Arthur Koestler, Herbert Rosendorfer, Gregor von Rezzori oder Friedrich Torberg. Das ist ganz symptomatisch für Flora, der zwar seit 1927 in Innsbruck lebt, aber über seinen Schweizer Verlag Diogenes (dessen «dienstältester Autor» er ist) und aufgrund seiner Tätigkeit als Karikaturist bei der Hamburger «Zeit» stets auf internationalem Niveau angesiedelt war.
Gleichzeitig ist Flora ein wesentlicher Faktor Tiroler Kulturgeschichte, einer von denen, die vorhandene Valeurs schätzten, ohne in provinzieller Eitelkeit oder Selbstgenügsamkeit zu versumpfen. Nicht unstolz ist Flora etwa darauf, den Südtiroler Kult-Dichter Norbert C. Kaser auf den Weg gebracht zu haben. «Jochen Jung vom Residenzverlag, Verfasser eines Literaturalmanachs, ließ Flora wissen, es sei löblich, sich für einen Freund einzusetzen, aber die Qualität dieses Manuskriptes reiche nicht für ein Buch.», protokolliert von Schönborn 2007, da sich Kasers Geburtstag zum 70. Mal jährt und im Haymonverlag das von Raoul Schrott herausgegebene Kaser-Lesebuch «Elementar. Ein Leben in Texten und Briefen» herauskommt. Zweite große literarische Flora-Entdeckung: Jakob Philipp Fallmerayers «Fragmente aus dem Orient», die 2005 in der Edition Raetia wieder aufgelegt werden. Messlatte ist hier allemal, was Flora in jungen Jahren gelesen hat, Deutsches (Thomas Mann, Rilke), Amerikaner (Hemingway, Dos Passos, Wolfe), Joyce oder russische Klassiker.
Solche Aspekte gibt es in diesem Lebenspanoptikum zur Genüge, auch wenn das meiste so oder fast so schon an anderer Stelle gesagt oder geschrieben auftauchen mag. Felizitas Schönborn bringt doch − sei es nun durch ihre Kunst des Fragens oder ihr Handwerk der Recherche − den Jahrhundert-Zeichner Paul Flora auf den Punkt, auf Linie sozusagen, und hat ein Lebensbild verfasst, das man gerne und auch bewundernd betrachtet.
Bernhard Sandbichler