Rezensionen 2007

Raoul Schrott, Die fünfte Welt.
Innsbruck: Haymon Verlag 2007, 128 Seiten

Ahmed Pascha Hassanein, der in Oxford studierte und Ägypten 1920 als Fechter bei den Olympischen Spielen vertrat, hatte 1923 die «bis zu uns einzige Expedition, die das Sammeln wissenschaftlicher Daten über diese Region zum Ziel hatte», unternommen (79). «Wir», das sind der Archäo-Geologe, der Biologe, der Fernerkundler, die Ethnologin, ein Filmteam vom ZDF, die tschadischen Fahrer und schließlich der Schriftsteller Raoul Schrott. «Diese Region»: das Hochplateau des Erdi Ma im Nordosten des Tschad an den Grenzen zu Lybien und zum Sudan. Ausgangspunkt ist N’Djamena, die Route führt über Abeché, Wüste wird  gequert; und mit der Mourdi-Senke stößt man auf jene fünte Welt, die Schrotts neuem Buch den Titel gibt: «Es ist hier, daß die Fünfte Welt nun beginnt, wie die Quintessenz einer Realität hinter jedweder humaner Oberfläche: die eigentliche Erde.» (44) Im dokumentarischen Teil III dieses Logbuchs, mit Fotos, Kartografischem und Original-Dokumentarischem, taucht sie noch einmal auf, als «eine Wüste nämlich, in der einen Ort zu markieren eitel bleibt; eine Öde, in deren Indifferenz sich alles wieder verliert; eine Fünfte Welt, in der jede Mitte illusorisch ist.» (112)

Es ist eine Expedition zurück zum Ursprung: «Nicht das Zweistromland und auch nicht das Niltal waren die Wiege der Zivilisation, sondern diese ehemaligen Savannen hier, die mit ihren wiederholten Dürrephasen auch die Wanderbewegungen des Homo sapiens nach Europa mit auslösten.» (47) Die fachkundigen Gefährten helfen dem «ungeschulten Auge» (102) des Schriftstellers beim Spurenlesen, denn die Gegend ist bislang zwar daten-, aber beileibe nicht tatenlos. Der Mensch war hier und hat Zeichen gesetzt: «Wo die Sandsteinskulpturen des Ennedi wieder aus der Ebene stiegen, fand sich auf einer frei stehenden Felsnadel dieser Bildstreifen eingeritzt, eine Erzählung, älter als jede Schrift.» (104) Älter also auch als die erste, mit Namen greifbare Dichterin der Welt überhaupt, Enheduanna, mit deren im 23. Jahrhundert vor Christus im östlichen Zweistromland der Sumerer verfassten Gedichten Schrotts «Erfindung der Poesie» anhebt.

Schrotts wüstes Reisemotiv wird damit klar, aber es gibt, nebenbei, auch noch andere, in diese Gegend nahe von Michael Ondaatjes Setting im «Englischen Patienten» zu fahren; ein gerüttelt Maß an Zivilisationskritik etwa, die sich in Teil I des Logbuchs konzentriert und an der Darfur-Krise im Besonderen wie am Verhältnis Europa─Afrika im Allgemeinen reibt: Medienschelte, die an Handkes Jugoslawien-Ausflüge gemahnt; Häme für frustriertes Personal der Entwicklungshilfe und Scientific Community, das folkloristisch, ethnologisch, missionarisch in «die staubige Leere des Tschad» läuft: kein «Quentchen Abenteuerlust», kein «selbstloses Interesse» (25).

Teil II des Reiseberichts entdeckt das Endspiel des «Zeitalters der Exploration», beschreibt den Ausgang des Menschen aus selbst verschuldeten Irrfahrten in Zeiten des Satellitenhandys, schildert das Reise-Finale. Agoza, ein Fort der Fremdenlegion, Außenposten der Zivilisation vor dem Nichts und Ziel der Expedition, ist ein letzter Markstein der Kolonialisierung, durchzogen von nomadischen Spuren. «Vorfallslosigkeit» heißt der Befund der Reise in «eine leere Welt, das Licht darin, die Weite, mit der man zurückschauen konnte auf die eigenen Spuren und Zeugen einer Zeit, für die wir nicht zählen, nie gezählt haben.» (73) Das ist ein schöner Satz zum Ende. Schrott gelingt es, die gängige Reportage als Kolportage zu entlarven, aber gleichzeitig auch, der Enttäuschung über den nicht eingelösten «romantischen Mythos eines unentdeckten Landes» (49) einen neuen Mythos abzuringen. Der kann Schürfungen hinterlassen, wenn man ihn streift, so eckig, kantig und weniger rund sind hier die Wüste und ihre Bewohner.

Bernhard Sandbichler

Nach oben scrollen