Rezensionen 2007
Anton Holzer, Die andere Front. Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg
Darmstadt: Primus Verlag 2007
Was wäre, wenn es Anfang des 19. Jahrhunderts bereits funktionierende Fotoapparate gegeben hätte? Aus patriotischer Tiroler Perspektive gesehen: Wir hätten dann ein authentisches Bild von Andreas Hofer. Er und die Tiroler Freiheitskämpfer von anno neun und Kaiser Franz wären Helden, denen kundige, von ihren Auftraggebern wirtschaftlich abhängige Handwerker fotografische Denkmäler errichtet hätten, ähnlich jenen Svetozar Borovic von Bojnas, hochdekorierter Kommandant der 5. k.u.k. Armee, oder des dekorierten Infanteriebataillons 3/35 oder gar Karls, „Kaiser, Feldherr, Medienstar“, die man allesamt im Buch des Südtiroler Fotohistorikers Anton Holzer sehen kann. „Authentisch“ würde auch bedeuten: Diese Fotos des frühen 19. würden nicht anders lügen wie ihre realen Nachkommen des frühen 20. Jahrhunderts; sie würden lügen wie gedruckt, denn auch sie hätte man zu Tausenden reproduziert unters Volk gebracht, um die eigenen Reihen zu glorifizieren und die gegnerischen zu desavouieren, um ziviles Durchhalten im Krieg zu befördern und vom militanten Wahnsinn abzulenken.
Aber vielleicht fänden sich unter diesen Fotos des frühen 19. Jahrhunderts auch „Schattenbilder des Krieges“, die „Menschen-Material und Maschinen“, „Flucht und Deportation der Zivilbevölkerung“, „Die Toten und ihre Orte“ oder „Die Landschaft des Krieges“ zeigten, „Die andere Front“ mithin, die Titel gebend für Holzers Buch war? Unter den über 33.000 Kriegsfotografien, jenen realen Original-Glasplattennegativen und zeitgenössischen Silbergelatineabzügen des frühen 20. Jahrhunderts, die das Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien verwahrt, im praktisch vollständig erhaltenen Bildbestand der k.u.k. Propagandaabteilung zumindest finden sich beiderlei Arten. Zur Propaganda, so wird beim Betrachten der in thematischer Dramaturgie geordneten 520 daraus ausgewählten Fotos von Holzers Bild-Text-Band bald klar, taugte dem k.u.k. Kriegspressequartier die eine wie die andere Art. In kollektiver visueller Erinnerung blieben freilich nur die Kriegsbilder im Westen, der Osten und der Südosten waren aus dem Gedächtnis ausgeblendet: über die Zeitläufte des Zweiten Weltkriegs hin sowieso und auch während des Kalten Kriegs. Das Jahr 1989 markierte hier eine Wende, die den Blick auf eine gesamteuropäische Geschichte freimachte. „Zögernd wurden nun auch verschüttete und vergessen geglaubte Bilddokumente wieder ans Licht geholt. Darunter waren auch die Fotografien, denen dieses Buch sein Entstehen verdankt.“, führt Holzer einleitend aus.
In der Folge entdeckt man eine fotohistorische Arbeit, die Bild und Text in geradezu neuer Sachlichkeit präsentiert: vom Bildsujet ausgehend, zur Bildrecherche fortschreitend, reflexiv innehaltend, forschend interpretierend, den breiten historischen Kontext mit bedenkend, um zur ursprünglich intendierten Bildaussage zu gelangen. Das hat nichts mehr gemein mit jener Wissenschaft von der Geschichte, deren Textdominanz dem Bild rein illustrativen Charakter zubilligt. Holzer erzählt vielmehr Geschichten von Menschen hinter und vor dem Objektiv: von jenen, die abgelichtet wurden, jenen, die ablichteten, und schließlich jenen, die die Fotos beauftragten, manipulierten und vermarkteten. Insgesamt ergibt sich eine Mediengeschichte des kriegerischen Fotogeschäfts: „Im Laufe des Krieges kam es zu einer grundlegenden Umschichtung im Mediensystem. Zensur, Akkreditierungsmaßnahmen und die systematische ‚Einbettung‘ der fotografischen Berichterstattung in die militärische Logistik hatten zu einer engen Verzahnung von Militär und Medien geführt, zu einer Symbiose zwischen Kriegsführung und Propaganda.“
Zum Ende des 20. Jahrhunderts haben wir eine ähnliche Medienrevolution erlebt. Der Golfkrieg 1990/91 war von den TV-Bildern der ABC, CBS, NBC und CNN geprägt, die US-Politik in Bezug auf Pressefreiheit äußerst restriktiv. Die Krieg führenden Parteien haben ihre Medienarbeit seit dem Ersten Weltkrieg jedenfalls noch weiter perfektioniert. Was mit der nationalen Geschichtsschreibung eines Joseph von Hormayr zur Zeit der Koalitionskriege begann, wird mit anderen Mitteln (Medien) weiter fortgeschrieben. Beeindruckend ist in diesem Zusammenhang allerdings, was Kriegsfotografien über ihre offizielle Mission hinaus alles zu erinnern vermögen, wenn Sachverständige wie Anton Holzer ihre Geschichten nacherzählen. Man möchte anderen Medien derartige Sachkundige wünschen.
Bernhard Sandbichler